Hechingen

Heimische Streuobstwiesen sind in Gefahr: Hechinger Infotag will Bewusstsein wecken

24.04.2024

Von Olga Haug

Heimische Streuobstwiesen sind in Gefahr: Hechinger Infotag will Bewusstsein wecken

© Olga Haug

Blütenpracht in Hechingen: Auf der Hechinger Obstwiese „An der Breite“ gegenüber der Weiherschule findet der Streuobsttag statt.

Sie sind Lebensraum, Naherholungsgebiet und tragen zum Naturschutz bei: Streuobstwiesen sind nach zum Teil jahrelanger Vernachlässigung wieder vermehrt in den Fokus von Städten, aber auch von jungen Menschen gerückt – 18- bis 25-Jährige haben neuerdings Interesse. Um zu zeigen, wie wichtig die Flächen sind, lädt die Stadt Hechingen gemeinsam mit vielen weiteren Akteuren am Sonntag zum Streuobsttag ein.

Im Frühling sind sie besonders schön anzusehen: Obstbäume, die in voller Blüte stehen. Doch um diesen Anblick noch viele Jahrzehnte genießen zu können, bedarf es einer regelmäßigen Pflege der Streuobstwiesen. Sie sind jedoch viel mehr als reine Augenweide. Sie sind wertvoller Lebensraum für Flora und Fauna. „Ein breites Habitat für Igel, Feldhasen, Blindschleichen, Grünspechte und Fledermäuse“, erklärt Rainer Wiesenberger im Gespräch mit dem ZOLLERN-ALB-KURIER. Er ist Leiter des städtischen Sachgebiets Forst und Natur und weiß um die Bedeutung der heimischen Streuobstwiesen.

Veranstaltungen sind wichtig, um für das Thema zu sensibilisieren

Am kommenden Sonntag, 28. April, findet der Streuobsttag in Hechingen statt. Von 11 bis 16 Uhr erfahren die Besucher alles rund um das „Kleinod vor der Haustür“, wie es Wiesenberger trefflich formuliert. Solche Veranstaltungen sind wichtig, um für das Thema zu sensibilisieren. Das sagt auch Markus Zehnder, Obst- und Gartenfachberater des Landkreises – unter Kollegen auch der „Papst des Streuobsts“ genannt.

Heimische Streuobstwiesen sind in Gefahr: Hechinger Infotag will Bewusstsein wecken

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Streuobstwiesen sind wichtiger Lebensraum für viele Tiere.

60 Prozent der Streuobstwiesen im Zollernalbkreis seien nicht gut gepflegt, sagt Zehnder. Beim Streuobsttag am Sonntag soll vor allem der Wert der Flächen hervorgehoben werden. Es geht viel mehr als nur um Obst. Es geht um Naherholung, Landschaftspflege und Naturschutz. „Hier können sich Interessierte austauschen und sich gegenseitig motivieren, sich dem eigenen Obst zu widmen“, erklärt Zehnder. Denn wenn die Flächen vernachlässigt werden, überaltern die Bäume und brechen zusammen. Auch die Mistel könne sich folglich ungestört ausbreiten, was zu einem Absterben führt. „Die Mistel ist ein Schmarotzer, die mit ihren Saugnäpfen in das Leitsystem der Bäume geht“, erklärt Stadtförster Wiesenberger.

Streuobstwiesen in Gefahr

Sind die heimischen Streuobstwiesen also in Gefahr? „Immer!“, betont Wiesenberger. Vernachlässigung ist dabei weitaus nicht das einzige Problem. „Die Umnutzung in Wohnraum ist besonders schmerzhaft“, sagt der städtische Förster. Auch der NABU sieht in der Bebauung eine der größten Gefahren für die Streuobstbestände. In Ballungsräumen ist die Intensivierung in Gartengrundstücke mit englischem Rasen, Zäunen, Hütten und Nadelbäumen ein Problem, schreibt der Naturschutzbund.

Streuobstwiese: extensiv bewirtschaftetet, ohne Pestizide

Eine klassische und gut gepflegte Streuobstwiese definiert sich durch eine Mischung aus alten und jungen Hochbäumen, die extensiv bewirtschaftet wird. Sie ist also das Gegenteil einer intensiv bewirtschafteten Obstplantage mit kleinen Bäumen, die gedüngt und gespritzt sind und möglichst viel Ertrag bringen sollen.

Jahrelang vernachlässigt

Die Stadt Hechingen selbst betreibt rund 80 Hektar Streuobstfläche und widmet sich seit einigen Jahren wieder intensiver der Pflege. Dabei, so betont Wisenberger, sind sicher nicht alle städtischen Wiesen in einem optimalen Zustand. Auch sie wurden jahrelang vernachlässigt. Um diese wieder auf Vordermann zu bringen, braucht es schon rund ein bis zwei Jahrzehnte.

Und die privaten Flächen? Viele sind vernachlässigt worden, weiß Wiesenberger: „Wir können aber sicher niemanden zwingen, sich um seine Wiesen zu kümmern.“ Doch der Allgemeinzustand ist noch nicht allzu alarmierend. „Schlimm wäre es, wenn zwei Drittel der Flächen in einem schlechten Zustand wären“, erklärt Wiesenberger. Doch davon sei man noch weit entfernt. Aktuell sind es maximal ein Drittel.

„Man besinnt sich auf das Eigene, auf das Regionale“

Zudem gibt es guten Grund, zu hoffen: Haben Städte und Gemeinden das Thema vermehrt im Fokus, sind es auch immer mehr junge Leute, die sich für den heimischen Obstbau interessieren. „Rund die Hälfte meiner Kursbesucher ist unter 40 Jahre alt“, sagt Streuobstexperte Zehnder. In Zehnders Augen eine überaus positive Entwicklung und eine reelle Chance, das heimische Streuobst auch über weitere Generationen hinweg erhalten zu können. Mit dabei sind aber nicht nur Mittdreißiger, die vielleicht schon Familie haben, nein auch junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren haben neuerdings Interesse. Wie kommt's? Das ist eine Entwicklung, die mit Corona gekommen ist, beobachtet Zehnder: „Man besinnt sich auf das Eigene, auf das Regionale.“

Von Saft, über Chutneys, bis zum Bratapfel

Selbstverständlich spielt auch das neue Bewusstsein für Umweltschutz eine bedeutende Rolle – und die Erkenntnis, was man aus Obst alles machen kann: Saft, Most, Chutneys, Marmelade, Kuchen, Bratapfel. In seinen Kursen rund um den Obstbau sind auch die vielfältigen Verarbeitungsarten der Ernte ein bedeutendes Thema, erklärt Zehnder. Obligatorisch ist ein Abend, an dem alle Kursteilnehmer ihr Selbstgemachtes mitbringen und sich gegenseitig Inspiration geben.

Heimische Streuobstwiesen sind in Gefahr: Hechinger Infotag will Bewusstsein wecken

© Olga Haug

Wo der Nektar nicht weit ist, lässt es sich für Bienen und Co. wunderbar leben.

Hierin hat die Streuobstwiese auch ihren Ursprung: Selbstversorgung. Saft und Most standen in der Nachkriegszeit hoch im Kurs. „Viele haben noch das typische Mostfass im Keller“, sagt Förster Wiesenberger lachend. Doch in den 70er- bis 80er-Jahren wurde der Most von Bier und Wein verdrängt – und die Streuobstwiese verlor zunehmend an Bedeutung.

Wie schädlich war der jüngste Frost?

Und wie ist es um die diesjährige Ernte bestellt? „Vermutlich gut“, sagt Zehnder. Der Frost der jüngsten Tage hat den Blüten, die ohnehin in diesem Jahr rund 3 Wochen zu früh gekommen sind, zugesetzt. Je früher die Blüte, desto größer die Gefahr. Die Schwelle für Schäden, erklärt Zehnder, liege bei -3 Grad. In manchen Gegenden sei es nicht so kalt geworden, in anderen, wie Schlatt, waren es in der Nacht hingegen mehr als -4 Grad geworden. Ob der Frost die Blüten oder Früchte geschädigt hat, ist also lageabhängig.

„Es bleibt genug übrig“

Wie die Lage tatsächlich ist, davon will sich der Experte in den kommenden Tagen ein Bild machen. Allzu schwarz, auch wenn seine eigenen Kirschen ebendies sind – schwarz, weil vom Frost geschädigt –, will er die Prognose nicht sehen. 2024 sei im Gegensatz zum Vorjahr ein blütenreiches Jahr. Dass die Bäume 2023 keinen hohen Ertrag gebracht haben, sei ein normaler und natürlicher Vorgang. Die ungeraden Jahre bringen wenig Blüten, die geraden viel. Die Bäume stehen in diesem Jahr ungewöhnlich stark in der Blüte. „Es bleibt genug übrig“, so Zehnders vage, aber optimistische Prognose.

Dritter Hechinger Streuobsttag

Am Sonntag, 28. April, findet der Hechinger Streuobsttag auf der Wiese „An der Breite“, gegenüber der Weiherschule, statt. Von 11 bis 16 Uhr gibt es ein buntes Programm, Kinder sind ausdrücklich willkommen, werden auch Streuobstpädagogen zum Programm beitragen.

Nach der Begrüßung des Bürgermeisters Philipp Hahn, folgt das Programm mit Streuobstwiesenführungen, Kinderprogramm, Beratungen und Informationen an den Ständen und einer Probier-Theke.

Akteure sind: NABU-Gruppe Hechingen, Streuobstpädagogen im Zollernalbkreis, Untere Naturschutzbehörde im Zollernalbkreis, Baum- und Fachwarte Zollernalb, Obst- und Gartenbauvereine, Bezirksverein der Bienenzüchter Hechingen, Obstmanufaktur Wetzel aus Hechingen, Destillerie Schäfer aus Weilheim, Stingel Fruchtsäfte aus Balingen-Weilstetten, Schäferei Matthias Storr, Baumschule Karle aus Dautmergen und der Verein Schwäbisches Streuobstparadies.

Parken: Die Stadt Hechingen bittet, auf dem Festplatz im Weiher zu parken. Von dort ist der Veranstaltungsort über den Weg zwischen Tennisplatz und Campingplatz in wenigen Minuten erreichbar.

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