Hechingen

Hechinger Politologe sieht „Renaissance rechtsextremer Einstellungen“

19.04.2024

Von Michael Würz

Hechinger Politologe sieht „Renaissance rechtsextremer Einstellungen“

© Michael Würz

Keine leichte Kost: Dr. Rolf Frankenberger hat im Bildungshaus St. Luzen über rechtsextreme Netzwerke aufgeklärt.

Wie verbreitet sind rechtsextremistische Ansichten in der Bevölkerung? Dr. Rolf Frankenberger geht dieser Frage von Berufswegen nach: Der Hechinger ist wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Rechtsextremismusforschung an der Uni Tübingen. Auf Einladung der Bunten Liste beleuchtete Frankenberger am Donnerstagabend „Entwicklungen und Gefahren für die Demokratie“.

Das Thema scheint in der Region viele umzutreiben: Der Saal im Bildungshaus St. Luzen jedenfalls war proppenvoll; es kamen mehr Zuhörer „als bei meinem Vortrag tags zuvor in Reutlingen“, merkte Frankenberger an. Darunter fanden sich, über Parteigrenzen hinweg, zahlreiche Vertreter der Hechinger Kommunalpolitik.

Der Politikwissenschaftler mahnt zur Differenzierung

Der Wissenschaftler zeichnete in seinem Vortrag ein differenziertes Bild: Der überwiegende Teil der Bevölkerung bekenne sich ganz klar zur Demokratie, erläuterte er anhand von Statistiken. Und Frankenberger warnte davor, das rechte politische Spektrum gleichzusetzen mit der extremen Rechten. Von links bis rechts gebe es Menschen, die klar auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Einerseits. Auf der anderen Seite zeigte Frankenberger aber auch ganz deutlich Entwicklungen auf, die Grund zur Sorge geben. So habe BKA-Präsident Holger Münch mit Blick auf die Kriminalstatistik jüngst bereits durchblicken lassen, dass politisch motivierte, rechtsextreme Gewalt heuer ein „Allzeithoch“ erreicht habe.

Rassistische Aussagen gibt es quer durch die Gesellschaft

Und, auch das weiß der Forscher: Klar rassistische Aussagen etwa fänden sich quer durch die Gesellschaft, auch in bürgerlichen Milieus, und durchaus auch unter Linken. Frankenberger rät dazu, diese klar zu benennen und aufzuzeigen: „Das, was du gerade gesagt hast, war rassistisch.“ Dazu gehöre gleichwohl auch, sich selbst immer wieder kritisch zu hinterfragen: „Wo habe vielleicht auch ich Vorurteile?“ Doch wie können Menschen wieder zueinanderfinden? Diese Frage warf Almut Petersen auf, die die Diskussion, etwa vor dem „Refugio“, nicht scheut, aber mitunter ratlos aus derlei Gesprächen zurückbleibe.

Wer ein abgeschlossenes Weltbild hat, ist meist nicht mehr zu erreichen

Frankenberger machte an dieser Stelle nur überschaubare Hoffnung: Wer etwa ein abgeschlossenes Weltbild habe, wer glaube, das Land werde von einer ominösen Elite gesteuert – „den erreichen Sie nicht mehr, da ist dann jedes Argument verschwendet“, machte Frankenberger die Problematik deutlich. Denn die Mechanismen dahinter seien durchaus vergleichbar etwa mit denen von Sekten.

Ob man die AfD inhaltlich stellen sollte, wollte unterdessen Hechingens CDU-Vorsitzender Christoph Kühner mit Blick auf das jüngst bei Welt TV ausgestrahlte Fernsehduell mit Björn Höcke wissen. Wurde Höcke dort entzaubert? „Ich finde schon, dass das gelungen ist“, befand Frankenberger. Was jedoch vor allem der guten Leistung der Moderatoren geschuldet gewesen sei – und dem „sehr gut vorbereiteten Mario Vogt“, Höckes Gegenspieler der CDU in dem TV-Duell.

„Die sagen, was ich denke“

Frankenberger merkte jedoch zugleich auch an: Viele AfD-Wähler geben als Grund für ihre Wahl schlicht an, „dass die sagen, was ich denke“. Dabei, und da stimmte der Forscher einem Zuhörer im Saal zu, sei es durchaus so: Viele AfD-Wähler wären unter einer AfD-Regierung paradoxerweise schlechter gestellt als heute.

Ob die Medien insbesondere der AfD eine zu große Plattform bieten, wollte ein anderer Besucher wissen. Frankenberger kritisierte in diesem Zusammenhang Fernseh-Talkshows, hielt jedoch zugleich ein Plädoyer für Qualitätsjournalismus. Denn, so Frankenberger: „Vieles, was wir heute über Rechtsextremismus wissen, verdanken wir investigativen Journalisten.“

Szene der „Reichsbürger“ ist laut Frankenberger stark bewaffnet

Sorge bereitet dem Forscher im Übrigen die hohe Zahl vor allem in Baden-Württemberg registrierter Waffen. Zumal Experten davon ausgehen, dass es eine enorm hohe Zahl an Waffen gibt, die sich in illegalem Besitz befinden. Insbesondere die Szene der „Reichsbürger“ sei sehr stark bewaffnet, betonte Frankenberger.

Olaf Scholz auf Tiktok: „So funktioniert das einfach nicht“

Und noch ein weiteres Thema treibt dem Wissenschaftler ebenfalls gewaltige Sorgenfalten auf die Stirn: Es sei erschreckend, konstatierte Frankenberger, wie gut rechte Influencer Jugendliche auf Tiktok erreichen. Sein Fazit: Demokratische Parteien haben diese (digitale) Entwicklung „einfach verpennt“. Ausdruck dessen sei bereits Angela Merkels „Neuland“ gewesen. Und auch dass Bundeskanzler Olaf Scholz neuerdings auf den Tiktok-Zug aufzuspringen versucht, werde da wohl eher nichts retten, befürchtet der Wissenschaftler. Frankenberger sagt: „So funktioniert das einfach nicht.“

„Viele waren vielleicht zu lange apathisch“

Man erlebe, sagt Frankenberger, dieser Tage gewissermaßen eine Renaissance rechtsextremer Einstellungen. „Viele waren vielleicht zu lange apathisch.“ Hoffnungsvoll stimmt den Wissenschaftler gleichwohl, dass sich mittlerweile viele deutlich zur Demokratie bekennen, auch vor Ort. Das habe beispielsweise die Demokratie-Demo im Januar auf dem Obertorplatz in Hechingen gezeigt. Aus Frankenbergers Sicht sei dies der richtige Weg – vielleicht ja auch, um zu der Erkenntnis zu gelangen, mit der er seinen Vortrag in Hechingen eingeläutet hatte: „Politik ist das Mittel, um Lösungen zu finden, ohne sich die Köpfe einzuschlagen.“

Der Experte im ZAK-Interview

Herr Frankenberger, welche Rolle spielen die von Ihnen angesprochenen Themen auf der Zollernalb, vor unserer Haustür?
DR. ROLF FRANKENBERGER: Vertreter der Identitären Bewegung sind hier aktiv, die auch gerne über die Alb „spazieren“ und ihre Ideologien verbreiten. Im Killertal gibt es Netzwerke. Und bekanntlich demonstriert die AfD jeden Montag direkt vor dem „Refugio“ in Hechingen. Das ist auch ein Zeichen in Richtung der Geflüchteten, dass man sie hier nicht haben will. All das ist letztlich Ausdruck von Menschenfeindlichkeit. Wir haben diese Dinge direkt vor unserer Haustür.

Welche Rolle spielen „Reichsbürger“ in der Region und bei Ihrer Arbeit, der Rechtsextremismusforschung?
In Deutschland gibt es zu „Reichsbürgern“ bislang wenig systematische Forschung. Es gibt aber Überschneidungen. In der Region fallen „Reichsbürger“ vor allem im Albstädter Raum auf.

In Ihrem Vortrag kamen Sie auch auf den in Rottenburg angesiedelten Kopp-Verlag zu sprechen.
Dort gibt es viele esoterische Sachen, auch verschwörungsideologische. Beispielsweise spielt auch die „Neue Germanische Medizin“ eine Rolle. Da geht es um Mystik, es geht aber auch ins extrem Rechte.

Sie selbst sind kommunalpolitisch engagiert, sitzen in Stetten im Ortschaftsrat. Welche Möglichkeiten gibt es darüber hinaus, sich – für die Demokratie – zu engagieren?
Wichtig ist das private Umfeld. Man kann Aussagen hinterfragen: Was steckt denn da dahinter? Und man sollte Dinge auch zurückweisen, seinem Gegenüber sagen: Das ist zutiefst rassistisch, oder etwa frauenfeindlich. Wer sich aktiv engagieren möchte, muss das nicht unbedingt in einer Partei tun. Auch Engagement in Bürgerinitiativen oder Vereinen ist wichtig. Soziales Engagement ist die Grundlage für eine gut funktionierende Demokratie. Das spielt eine zentrale Rolle für den sozialen Frieden. Aber auch politisches Engagement ist wichtig. Eigentlich wäre es schön, wenn es jeden Montag, wenn die AfD in Hechingen demonstriert, eine Gegendemo geben würde. Und natürlich kann man sich für die Wahl in Ortschafts- oder Gemeinderäte aufstellen lassen.


Dr. Rolf Frankenberger aus Hechingen ist wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Rechtsextremismusforschung der Universität Tübingen. Es wurde im Mai vergangenen Jahres per Senatsbeschluss gegründet. Der Gründung vorausgegangen war eine Handlungsempfehlung des zweiten NSU-Untersuchungssauschusses des baden-württembergischen Landtags.

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