Winterlingen/Hechingen

„Weiß nicht, warum ich geschossen habe“

01.10.2018

von Michael Würz

Der Mann, der in Winterlingen seine Frau ermordet haben soll, hat am Montag vor dem Landgericht ausgesagt.

„Weiß nicht, warum ich geschossen habe“

Ein Rettungswagen rückt am Abend des 1. April vom Tatort in Winterlingen ab. Foto: Michael Würz/Archiv

Zwei Stunden hatte das Gericht für die Schilderung des Angeklagten anberaumt. Seine Aussage war mit Spannung erwartet worden – auch deshalb, weil er in Vernehmungen der Polizei geschwiegen hatte. Nur einmal, im Polizeiauto, da habe der Angeklagte geredet, berichtete ein Kripo-Ermittler heute. Und sich darüber beklagt, dass „Frauen westliche Werte annehmen würden“, schilderte der Beamte. „Ich glaube, dass er damit seinen eigenen Fall gemeint hat.“ Der Angeklagte, der albanische Wurzeln hat und in Winterlingen als gut integriert galt, sei oft eifersüchtig gewesen – einen Anlass dafür habe ihm seine Frau den Ermittlungen zufolge nicht gegeben, sagte der Kriminalbeamte.

Ein prominenter Anwalt

Heute nun, am zweiten von neun geplanten Prozesstagen, ergriff der 49-Jährige das Wort. (Alles zum Prozessauftakt lesen Sie an dieser Stelle.) Gefasst und zunächst gut sortiert schilderte er seine Sicht der Dinge vor einem beachtlich großen Publikum. Ihm gegenüber: der Staatsanwalt und Angehörige des Opfers, die in dem Prozess als Nebenkläger auftreten – vertreten von dem bekannten Fernsehanwalt Ingo Lenßen. Im Publikum verfolgten unterdessen nicht nur Angehörige und Pressevertreter den Prozess. Sowohl der Staatsanwalt wie auch beteiligte Anwälte brachten zahlreiche Rechtsreferendare mit. Der Winterlinger Mordfall wird zum Ausbildungsstoff für Nachwuchsjuristen.

Die Waffe kam vom Vater

Woher hatte der Angeklagte seine Pistole? Diese bislang offene Frage scheint nach dem heutigen Verhandlungstag geklärt. Sie gehörte dem Vater des 49-Jährigen, der ihm einst auch den Umgang damit beigebracht haben soll. Die Waffe allerdings habe er am Tattag nicht nutzen wollen, beteuerte der Angeklagte. Und schon gar nicht habe er damit seine Frau erschießen wollen. Gleichwohl räumte der Mann ein, die Waffe bereits im Auto geladen und schussbereit – verdeckt durch eine Jacke – in seiner Hose getragen zu haben, bevor er die Wohnung am 1. April dieses Jahres betrat.

Folgt man den Ausführungen des Angeklagten, die für die Angehörigen im Saal nur schwer zu ertragen waren, habe er sich mit der Pistole vor den Brüdern seiner Frau schützen wollen. Ihnen hatte er verboten, die Winterlinger Wohnung zu betreten. Denn, so sagt der Mann: Sie sollen ihm in der Vergangenheit angedroht haben, ihn zu verprügeln. Das Verhältnis – schon lange Zeit getrübt. Genau das allerdings hatte seine Frau dem Angeklagten zufolge angekündigt: Ihre Brüder sollten am Tattag nach Winterlingen kommen, um ihr beim Umzug zu helfen. Wie berichtet hatte die Frau geplant, sich von ihrem Mann zu trennen und in eine Wohnung in Tailfingen zu ziehen. Doch dazu kam es nicht. „Wir haben uns heftig gestritten“, schilderte der Angeklagte. Seine Frau habe gesagt: „Ich werde dich fertigmachen, ich werde dir alles nehmen, du wirst deine Kinder nie mehr sehen.“ Als sie ihm dann im Wohnzimmer eine Grimasse gezeigt habe, habe er geschossen. Vor den Augen der Kinder. „Ich weiß nicht, warum ich das getan, warum ich geschossen habe.“

Dramatische Notrufe

Zweimal habe er abgedrückt, schilderte der Angeklagte zum Erstaunen des Gerichts. Die Rechtsmedizin hatte hingegen fünf Schüsse dokumentiert. Lediglich einen dritten Schuss wollte der 49-Jährige nicht ausschließen. Diesen, behauptet der Mann, könnte seine Tochter aus Versehen abgefeuert haben, als sie ihm in die Waffe griff.

Fest steht: Sie, die Tochter, war es, die den ersten Notruf abgesetzt hatte, während ihr Vater zunächst seine Schwester angerufen hatte. Einige Minuten später setzte auch er einen Notruf ab. Die Aufzeichnungen beider Notrufe wurden in der heutigen Verhandlung abgespielt. Beide waren für Prozessbeteiligte- wie beobachter ebenfalls nur schwer zu ertragen. Die Telefonate gaben Einblicke in die dramatischen Minuten, die sich kurz zuvor in der Winterlinger Wohnung abgespielt haben. Der Angeklagte in diesem Moment der Verhandlung: sichtlich angefasst.

Die Suche nach dem Motiv

Dass seine Ehe kaputt war – das muss dem Angeklagten klar gewesen sein. Er räumte heute ein: „Ich habe einmal gesagt, dass ich nicht weiß, was dann passiert.“ Auch dass er seine Frau in der Vergangenheit während eines Streits mit einem Holzstück geschubst hatte, räumte der Mann ein. Und auch, dass er seinen Sohn einmal geschlagen habe. Zugespitzt dürfte sich die Situation haben, nachdem das spätere Opfer ihren Mann angezeigt hatte – sie gab bei der Polizei an, dass ihr 10 000 Euro gestohlen worden seien. Ob es das Geld gab, woher es kam und ob es gestohlen wurde, lässt sich wohl aber nicht mehr aufklären. Die Verhandlung wird am Donnerstag um 9 Uhr fortgesetzt.

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