Zum Ärger kommunaler CDU-Vertreter: Hirrlingen und Starzach nun im Landtagswahlkreis Balingen

Von Klaus Irion

Der Landtag von Baden-Württemberg hat am Mittwochabend ohne jede Diskussion einstimmig das Landtagswahlgesetz geändert. Eine der Änderungen: Die beiden Gemeinden Hirrlingen und Starzach gehören künftig zum Wahlkreis Balingen. Die Entscheidung hatte schon im Vorfeld in der CDU in den Landkreisen Zollernalb und Tübingen für mächtig Ärger gesorgt.

Zum Ärger kommunaler CDU-Vertreter: Hirrlingen und Starzach nun im Landtagswahlkreis Balingen

So sieht der neue Landtagswahlkreis Balingen (gelb) aus. Hinzu kommen Starzach und Hirrlingen.

Die beiden CDU-Landräte Günther-Martin Pauli (Zollernalbkreis) und Joachim Walter (Tübingen, mit Wohnsitz Balingen) sind gegen die Neueinteilung. Der Hirrlinger CDU-Bürgermeister Christoph Wild ist es ebenfalls.

Sein Starzacher Amtskollege Thomas Noé ist zwar bei den Freien Wählern, aber auch er möchte seine Gemeinde nicht im Wahlkreis Balingen beheimatet wissen.

Landes-CDU sticht kommunale CDU aus

Das alles ist seit gerade eben aber nicht mehr von Relevanz. Denn die Mitglieder der grün-schwarzen Landtagskoalition in Stuttgart wollten die Wahlkreisänderung, haben diese innerhalb eines Wahlgesetz-Änderungsentwurfs eingebracht und haben sie nun auch in aller Eile bekommen. Da half auch keine Resolution des Tübinger Kreistages mehr, desen Mitglieder sich vergangene Woche einstimmig gegen die Abspaltung von Hirrlingen und Starzach ausgesprochen hatten.

Stimmenhilfe für die Balinger Direktkandidatin?

Die grün-schwarze Wahlkreis-Eintracht auf Landesebene hat natürlich ihren Grund: Mit Hirrlingen und Starzach bekommt der Wahlkreis Balingen zwei Gemeinden, deren Wähler entgegen dem Landestrend bei der Landtagswahl 2016 die CDU-Vorherrschaft aufrechterhielten.

In Hirrlingen waren die Grünen deutlich, in Starzach knapp auf den zweiten Platz in der Wählergunst verwiesen worden.

Knappes Rennen vor vier Jahren

Bei der Landtagswahl 2021 könnten diese beiden Gemeinden daher für die derzeitige Balinger CDU-Wahlkreisabgeordnete und Wirtschaftsministerin, Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, von enormer Wichtigkeit sein, denn das Balinger Direktmandat ging bei der Wahl 2016 wegen lediglich rund 300 Stimmen mehr an die CDU.

Tübinger Grüne noch stärker

Gerade anders herum sieht es im Wahlkreis Tübingen aus. Dort können die Grünen wohl getrost auf Hirrlingen und Starzach aus dem „schwarzen Hinterland“ verzichten. Sind sie doch der CDU in der Wählergunst weit voraus.

Als der ZAK im Sommer erstmals über die geplante Wahlkreisänderung berichtet hatte, wiesen auf Landesebene beide Parteien diesen „Deal“ weit von sich. Die Wahlkreisreform sei allein der erheblichen Steigerung an Wählern im Wahlkreis Tübingen in den vergangenen Jahren geschuldet. Was formal richtig ist.

Tatsächlich ist die Bevölkerung vor allem in der Unistadt stark angestiegen. Der Hauptgrund: Vor einigen Jahren entschieden sich der Grünen-OB Boris Palmer und der Tübinger Gemeinderat für eine Erstwohnsitzkampagne, später „garniert“ mit einer Zweitwohnsitzsteuer.

Ein Grund: Je mehr Einwohner, desto mehr Fördermittel vom Land. Und siehe da: Die Unistadt hatte plötzlich mehrere Tausend neue Tübinger, die ohnehin schon vor Ort wohnten, nur eben nicht mit Erstwohnsitz angemeldet waren. Und damit auch mehrere Tausend neue Wähler.

Was dadurch „drohte“, war das Überschreiten der maximal pro Wahlkreis zulässigen Wählerzahl. Ergo musste der Wahlkreis nun vorsorglich verkleinert werden.

Landrat Pauli will einen Wahlkreis mehr

Wäre es nach Zollernalb-Landrat Pauli gegangen, wäre eine allgemeine Wahlkreisveränderung schon vor vielen Jahren, als er selbst für die CDU noch im Landtag saß, über die Bühne gegangen.

„Ich habe damals selbst Vorschläge gemacht.“ Pauli wollte (und will nach wie vor), dass der Regierungsbezirk Tübingen einen Wahlkreis mehr erhält als bisher, statt vorhandene Wahlkreise abzuändern. „Das würde der landesweiten Wählerverteilung auch entsprechen.“

Alternativen werden verworfen

Dieses Szenario aber ist derzeit wohl auf Landesebene nicht durchzubekommen.

Was jedoch möglich gewesen wäre: Nicht die beiden Gemeinden Hirrlingen und Starzach dem Wahlkreis Balingen zuzuschlagen, sondern die Gemeinde Bodelshausen dem Wahlkreis Hechingen-Münsingen. Das Problem: Damit wäre jener Wahlkreis plötzlich mit Kommunen aus drei Landkreisen bestückt gewesen.

Sigmaringen und Freudenstadt im Vorteil

Für Pauli ist aber schon ein Wahlkreis mit Gemeinden aus zwei Landkreisen unglücklich. „Die Landkreise Sigmaringen und Freudenstadt haben es da viel besser, sie sind und bleiben wohl deckungsgleich mit den dortigen Landtagswahlkreisen“, erläutert er.

Und das, obwohl der Wahlkreis Freudenstadt im Vergleich mit dem Wahlkreis Tübingen genau das umgekehrte Problem plagt. Dort sind es inzwischen eher zu wenig Wahlberechtigte.

Keine Verschiebung über RP-Grenzen hinweg

Warum also nicht die Gemeinden Hirrlingen und Starzach dem Wahlkreis Freudenstadt zuweisen? Denn rein von den Wahlberechtigten-Zahlen her bräuchte sie der Wahlkreis Balingen nicht.

Doch das geht nicht, weil baden-württembergische Wahlkreise nicht mit Kommunen aus unterschiedlichen Regierungsbezirken bestückt sein dürfen. Der Landkreis Freudenstadt gehört zum Regierungsbezirk Karlsruhe.

Aussprache kurzfristig abgesagt

Und so haben die Landes-CDU und die Landes-Grünen das Wahlgesetz und die Wahlberechtigten-Zahlen auf ihrer Seite, die kommunalen Betroffenen seit wenigen Minuten dagegen das Nachsehen.

Eine laut Tagesordnung vorgesehene Aussprache zur kompletten Gesetzesänderung wurde mittels Absprache unter allen Fraktionen kurzfristig gestrichen.

Kommentar: Die Abgeordneten wollen heim

Ruck zuck und ohne Federlesens wurde am Mittwochabend im Landtag einstimmig beschlossen, dass der Landtagswahlkreis Tübingen entgegen dem Willen etlicher Kommunalpolitiker die Gemeinden Hirrlingen und Starzach an den Landtagswahlkreis Balingen abzugeben hat.

Sicherlich, die besondere Konstellation hat die Abgeordneten in den Regierungsbezirken Freiburg, Karlsruhe und Stuttgart dem viel zu komplizierten baden-württembergischen Wahlsystem geschuldet kaum zu interessieren. Dass sich alle Fraktionen entgegen der Tagesordnung aber auch noch kurzfristig verständigten, die komplette Wahlgesetz-Änderung ohne jede Aussprache durchzuwinken, war eine Frechheit.

Wer den Livestream des Landtags verfolgt und gesehen hat, mit welcher Hektik und Fahrigkeit die stellvertretende Landtagspräsidentin Sabine Kurtz den Tagesordnungspunkt und kurz danach die Sitzung beendet hat, der konnte nur einen Eindruck gewinnen: Die Parlamentarier wollten nur noch nach Hause.