Zentralklinikums-Neubau in Balingen: „Firstäcker“-Gegner schalten Rechtsanwalt ein

Von Klaus Irion

Am Montag soll der Kreistag die 12 Millionen Euro teure Vorplanung für das Zentralklinikum in Balingen-Dürrwangen auf den Weg bringen. Doch ist dieses Vorgehen juristisch überhaupt haltbar? „Nein“, sagt Rechtsanwalt Volker Bettin. Beauftragt haben ihn Anwohner und Grundstücksbesitzer. Das steht in dem Anwaltsschreiben, das sagen die angeschriebenen Kreistags-Fraktionsvorsitzenden.

Zentralklinikums-Neubau in Balingen: „Firstäcker“-Gegner schalten Rechtsanwalt ein

Die Mehrheit der Kreisräte steht fest zum Zentralklinikumsstandort Firstäcker (Mitte rechts).

Von einem „unüblichen Vorgang“, der überrasche und die „Verschwendung von Haushaltsmitteln befürchten lässt“ ist in einem Schreiben zu lesen, das Anwalt Bettin von der Reutlinger Kanzlei Kroll und Partner dieser Tage an Landrat Günther-Martin Pauli und die Vorsitzenden der Kreistagsfraktionen verschickt hat. Mit dem „unüblichen Vorgang“ meint der Jurist die nun im Kreistag zur Abstimmung stehende Klinikums-Vorplanung.

„Grundstücke im Außenbereich“

Bettin geht davon aus, dass die Grundstücke im Gebiet Firstäcker, die eines Tages mit der Zentralklinik überbaut werden sollen, baurechtlich allesamt im sogenannten Außenbereich liegen. Laut Baugesetzbuch wären das Grundstücke, die weder im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans liegen noch zu einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil gehören.

Ausnahmen von Außenbereichs-Bauverboten, sogenannte Privilegierungen, stehen beispielsweise landwirtschaftlichen Betrieben zu. Eine solche Privilegierung in Sachen Zentralklinikums-Neubau sieht Anwalt Bettin nicht und zieht für sich daraus den Schluss: „Mangels einer Privilegierung des Bauvorhabens ist dasselbe derzeit also bauplanungsrechtlich unzulässig.“

„Grundlagen fehlen“

Die Vorplanung dem ohnehin notwendigen Bebauungsplan vorzuziehen, widerspricht aus Sicht des Juristen den gängigen Verfahrensgrundlagen. „Grundlegendes Element einer jeden Vorplanung ist, dass der beauftragte Architekt die Grundlagen für die durchzuführende Bebauung ermittelt“, heißt es in dem Schreiben.

Solche Grundlagen gebe es vorliegend nicht. „Es wurden lediglich ein Aufstellungsbeschluss für ein Sondergebiet gefasst, und es wurde die Änderung des Flächennutzungsplans in die Wege geleitet.“ Bettin und seine Mandanten, unter ihnen der Frommerner Textilunternehmer Matthias Eschler und Renate Sellner, von der in „Firstäcker“ angesiedelten, gleichnamigen Baumschule, gehen davon aus, „dass der auf den Weg gebrachte Bebauungsplan baurechtlich betrachtet zum Scheitern verurteilt sei.

Bekannte Kelleregert-Argumente

Die Argumente des Anwalts und seiner Mandanten: Es gebe mit Kelleregert einen besser bewerteten Alternativstandort. Auch werden „geringere naturschutzrechtliche Eingriffe im Bereich Kelleregert“, die dortige „bessere und nützlichere Anbindung an die B463“ und die „schwerwiegende Beeinträchtigung des Betriebs Sellner“ durch vom Klinikumsgebäude beschattete Sträucher und Bäume angeführt.

Wie aber sehen die Landkreisverwaltung und die Fraktionsvorsitzenden des Kreistags die juristische Anfechtung von „Firstäcker“? Wir haben nachgefragt und veröffentlichen hier die eingegangenen Stellungnahmen im Wortlaut:

Stellungnahme der Landkreisverwaltung:

Der Kreistag hat am 11. Dezember 2017 in öffentlicher Sitzung die Vor- und Nachteile möglicher Standorte für ein Zentralklinikum ausgiebig erörtert und nach ausführlicher Beratung mehrheitlich den Standort „Firstäcker“ für das Zentralklinikum bestimmt. Im Rahmen von zwei Grundstückseigentümer- und zahlreichen öffentlichen Bürgerversammlungen wurde die Bedeutung und Notwendigkeit des Zentralklinikums für unseren Landkreis umfassend dargelegt.

Zwischenzeitlich sind diverse Vorbereitungen für die Umsetzung erfolgt; der Regionalverband hat den Regionalplan geändert, das Bebauungsplanverfahren der Stadt Balingen ist am Laufen und der Großteil der Flächen im Plangebiet mit 8,7 Hektar konnte vom Landkreis erworben werden. Eine neue Standortdiskussion würde die notwendige Realisierung des dringend notwendigen Projekts gravierend und unnötig verzögern. Die Vorplanung ist für die weitere Umsetzung des Projekts erforderlich und sinnvoll. Damit werden die Grundlagen für das Zentralklinikum konkret erarbeitet und keine öffentlichen Gelder verschwendet.

Im Gegenteil: Je früher wir ein Zentralklinikum in Betrieb nehmen können, desto schneller wird die Gesundheitsversorgung im Zollernalbkreis besser und durch die Zusammenlegung der beiden Standorte Albstadt und Balingen wirtschaftlicher. Das Bebauungsplanverfahren läuft parallel zur Vorplanung weiter und orientiert sich an den daraus folgenden Erkenntnissen, man spricht hier von einem „vorhabenbezogenen Bebauungsplan“.

Das bedeutet gerade nicht, dass erst dann eine Vorplanung entwickelt werden darf, wenn der Bebauungsplan fertig ist sondern umgekehrt: Da der Bebauungsplan explizit für die Entwicklung des Zentralklinikums aufgestellt wird, sind Vorplanungen erforderlich, entlang denen die Planfestsetzungen festgesetzt werden können. Die Auswirkungen auf Natur und Umwelt werden dabei ebenso wie die Interessen der Anlieger in die Abwägung aller Belange einbezogen. Die im Schreiben des Anwaltsbüros angesprochene Anregungen und Bedenken wurden bereits bei der damaligen Standortentscheidung beleuchtet und berücksichtigt.

Stellungnahme Helmut Reitemann (CDU):

“Mit diesem Schreiben machen betroffene Anlieger am geplanten Standort Firstäcker ihre privaten Interessen geltend. Der Kreistag hat sich vor seiner Standortentscheidung im Jahr 2017 intensiv mit den in Frage kommenden Standorten beschäftigt. Dabei wurden verschiedene Aspekte von der verkehrlichen Anbindung bis hin zu den planungsrechtlichen Gegebenheiten beleuchtet. Alle drei Standorte wiesen bei der damaligen Bewertung nur geringe Unterschiede bei den Punktzahlen auf.

Letztlich hat sich der Kreistag dann mit großer Mehrheit für das Gewann „Firstäcker“ als Standort für das Zentralklinikum entschieden. Auf der Grundlage der inzwischen durchgeführten Untersuchungen und Abstimmungen mit Fachbehörden, insbesondere auch zum Naturschutz, sind momentan keine Belange erkennbar, die einem weiteren Bebauungsplanverfahren absolut restriktiv entgegenstehen.

Die weitere Ausdetaillierung erfolgt nach Vorliegen einer konkretisierenden Planung des Kreises zum Zentralklinikum. Um letztlich einen bedarfskonformen und sachgerechten Bebauungsplan für das Zentralklinikum aufstellen zu können, bedarf es gerade der weitergehenden Planungen zum Kreisklinikum, damit alle relevanten Belange, Störungen, Betroffenheiten und Konflikte erkannt und (unter anderem gutachterlich) im weiteren Bebauungsplanverfahren abgearbeitet werden können. Hier wartet die Stadt Balingen derzeit auf eine Konkretisierung durch den Kreis, um das Bebauungsplanverfahren auch aktiv und fundiert weiter betreiben zu können.“

Stellungnahme Reinhold Schäfer (Freie Wähler):

Bei diesem Anwaltschreiben handelt es sich um die Geltendmachung von privaten Interessen der meines Wissens direkt von einem Standort Firstäcker des Zentralklinikums betroffenen Anlieger.

Der Kreistag hat sich im Jahr 2017 bei der Standortfestlegung intensiv mit den in Frage kommenden Standorten auseinandergesetzt. Unter anderem wurden bereits damals die Faktoren Erreichbarkeit/Verkehrsanbindung sowie das Planungsrecht (Regionalplan, Flächennutzungsplan, Bebauungsplan, Schutzgebiete) untersucht. Alle drei Standorte haben im Ergebnis bei der damaligen Bewertung nur geringe Unterschiede bei den Punktzahlen aufgewiesen, so dass daraus keine abschließende Empfehlung nur für einen ganz bestimmten Standort abgeleitet werden konnte. Dementsprechend hat das Gremium die Standortfestlegung Firstäcker im Rahmen einer gründlicher Abwägung getroffen.

Zunächst ist festzustellen, dass mit der 5. Änderung des Regionalplanes keine raumordnerischen Belange dem Bebauungsplan Zentralklinikum entgegenstehen. Der Regionalverband hat in diesem Zusammenhang bereits eine Abwägung durchgeführt, einschließlich einer umfassenden Untersuchung aller Umweltbelange.

Zum Bebauungsplanverfahren haben wir eine kurze Stellungnahme der Stadt Balingen eingeholt, da dieses Verfahren ja von der Stadt Balingen durchgeführt wird. Die Stadt Balingen sieht auf der Grundlage der inzwischen durchgeführten Untersuchungen und Abstimmungen mit den Fachbehörden, insbesondere auch zum Naturschutz, momentan keine Belange, die einem Bebauungsplanverfahren absolut restriktiv entgegenstehen. Die weitere Ausdetaillierung erfolgt nach Vorliegen einer konkretisierenden Planung des Kreises zum Zentralklinikum.

Das heißt ohne eine Vorplanung des Zentralklinikums, woraus sich die Lage und Höhe der Gebäude samt den konkreten Nutzungen ergibt, kann das Bebauungsplanverfahren nicht weitergeführt und zum Abschluss gebracht werden. Dies würde auch für andere Standort so gelten. Insofern sehen wir die jetzt anstehende Grundsatzentscheidung über die Vorplanung als folgerichtigen nächsten Schritt für das Zentralklinikum an. Wie bereits ausgeführt gehen diesem Schritt umfangreiche Abwägungen samt Untersuchungen mit dem Regionalverband und den Fachbehörden voraus, so dass man sich als Gremium bei dieser Grundsatzentscheidung nicht dem Vorwurf der Gefahr einer möglichen Verschwendung von Steuergeldern aussetzen muss.

Stellungnahme Martin Frohme (SPD):

„Die SPD-Fraktion begrüßt den zügigen Einstieg in die Vorplanung der Zentralklinik im Gewann Firstäcker. Der Kreistag hat sich 2017 mit großer Mehrheit für den Standort Firstäcker ausgesprochen. Daraufhin wurde der Standort als Grundlage für eine Förderung beim Sozialministerium BW eingereicht und in den Krankenhausbedarfsplan aufgenommen. Um die Höhe einer Förderung festzustellen, bedarf es zwingend der von der Landkreisverwaltung vorgestellten Vorplanung.

Es darf bis zum avisierten Baubeschluss im Jahr 2024 nicht weitere Zeit verloren gehen. Die benötigten Flächen sind bereits erworben. Das Regierungspräsidium und der Regionalverband haben der Planung zugestimmt. Die Einlassungen des Anwaltsbüros entsprechen den Darlegungen der Gegner des Standorts Firstäcker und stellen insofern keine neuen Erkenntnisse dar. Die SPD-Kreistagsfraktion vertritt die Vorgehensweise allerdings nicht einstimmig.“

Stellungnahme Konrad Wiget (Grüne):

Die Fraktion der Grünen hat sich für die Einrichtung eines Zentralklinikums in öffentlicher Trägerschaft ausgesprochen. Bei der Standortfrage gab es verschiedenste Aspekte abzuwägen, was bereits 2017 geschah. Dass sich direkt betroffene Bürgerinnen und Bürger mit öffentlichen Bauentscheidungen nicht einverstanden erklären ist heute leider an der Tagesordnung. Für die Umsetzung eines solchen Bauvorhabens sind viele rechtliche Belange zu berücksichtigen.

Die hierfür notwendigen Informationen müssen erarbeitet und an die zuständigen Behörden (Stadt Balingen) weitergegeben werden. Auch hier können direkt betroffene Bürgerinnen und Bürger ihre Einwände im Bebauungsplanverfahren vorbringen. Der Kreistag, als ein der Allgemeinheit verpflichtetes Gremium wird sich in seiner Sitzung mit diesem Thema befassen. Der Entscheidung kann und will ich nicht vorgreifen.

Stellungnahme Dr. Dietmar Foth (FDP):

“Die FDP-Fraktion hat sich im Dezember 2017 nach sorgfältiger Abwägung aller für und gegen die drei zur Diskussion stehenden Standorte Firstäcker, Kelleregert und Bisingen mit Priorität 1 für den Standort Firstäcker ausgesprochen. Sie steht auch heute zu dieser vom Kreistag dann mit deutlicher Mehrheit getroffenen Entscheidung. Das eingereichte Rechtsanwaltsschreiben ändert hieran nichts. Es gibt keine neuen Argumente. Alle waren auf dem Tisch. In der Bewertungsmatrix, die analytisch die Standorte bewertete, lagen die Standorte sehr dicht beieinander.

Auch für das Gebiet Kelleregert wären Änderungen in der Raumordnung und Bebauungsplanverfahren notwendig, ebenso Grundstücksaufkäufe, welche keineswegs gesichert wären. Die eingeleiteten planungsrechtlichen Verfahren für Firstäcker haben bislang keine Anhaltspunkte ergeben, dass der beschlossene Standort Firstäcker nicht realisierbar sein könnte. Die Änderung der getroffenen Standortentscheidung würde den Weg zum Zentralklinikum, das für die stationäre ärztliche Versorgung der Menschen im Zollernalbkreis von herausragender Bedeutung ist, um Jahre zurückwerfen, wenn nicht vereiteln.

Auch kostet jede weitere Verzögerung den Kreis Jahr für Jahr Millionen. Dies gilt wegen der Entwicklung der Baupreise, aber auch wegen des jährlichen Defizits des Zollernalbklinikums. Die bestehende Zwei-Standortlösung ist nicht zukunftsfähig. Weder ist in den bestehenden Strukturen dauerhaft qualifiziertes ärztliches Personal in ausreichender Zahl zu gewinnen, noch kann eine hohe Qualität der ärztlichen Versorgung gesichert werden. Wenn wir es nicht schaffen, sehr zeitnah ein Zentralklinikum am Standort Firstäcker zu verwirklichen, besteht die Gefahr, dass der Zollernalbkreis gar kein Klinikum mehr haben wird.“

Stellungnahme Stefan Buck (KBV/Basis)

„Ich schließe mich dem Schreiben der Anwaltskanzlei in vollem Umfang an und hoffe, es gibt neue und vernünftige Standortdiskussionen. Das Gewann Firstäcker ist meines Erachtens nach in jeglicher Hinsicht für ein solches Bauvorhaben ungeeignet. Die Echobildung durch den angrenzenden Berg ist den Anwohnern nicht zuzumuten. Landende und startende Rettungshelikoptern muten den direkten Anwohnern einen unzumutbaren und ohrenbetäubenden Lärm zu, welcher erheblich die Lebensqualität beeinträchtigt.

Die Firma Sellner ist seit 1978 dort ansässig und verwurzelt. Eine gleichwertige Alternative zu finden ist äußerst schwer, durch eine jahrelange Baustelle sehe ich die Existenz der Familie Sellner bedroht. Ein Berg hinter einem Gebäude, welcher Art auch immer, bringt bei schweren Unwettern ein weiteres Problem durch das vom Berg schießende Regenwasser dar. Beim Gewann Firstäcker handelt es sich um ausgewiesene Vogelschutzgebiete und der Gleichen, was einen Bau an dieser Stelle nicht möglich macht. Ebenso ist das im Anwaltsschreiben aufgeführte Verlegen einer Hochspannungsleitung eine Erschwernis.

Hier muss schlicht und ergreifend die Standortfrage neu gestellt werden. In der Vorlegislatur wurde durch den Verwaltungs- und Finanzausschuss bereits das Gebiet Kelleregert als Beschlussvorschlag an den Kreistag übersandt Weshalb von diesem abgerückt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis.

Sollte die Standortfrage nicht neu und ordentlich debattiert werden, werde ich dem Gesamtvorhaben nicht zustimmen. Ein Zentralklinikum ist eine richtige und wichtige Sache, trotzdem bin ich nicht dazu bereit, gewissen Herren die Steigbügel zu halten. Mein Gewissen welchem ich ausschließlich unterstellt bin, lässt eine derartige Verschwendung von Steuergeldern nicht zu!“