Geislingen

Wo bleibt die Gerechtigkeit? Aufruf von Tiagos Eltern auf Facebook polarisiert

20.02.2020

Von Rosalinde Conzelmann

Wo bleibt die Gerechtigkeit? Aufruf von Tiagos Eltern auf Facebook polarisiert

© Rosalinde Conzelmann

Tiagos Mutter Stephanie de Freitas ist enttäuscht und traurig über das Vorgehen der Krankenkasse.

Stephanie de Freitas und Jens Hafner posten ihren verzweifelten Kampf mit der Krankenkasse. Die AOK wehrt sich gegen die Vorwürfe und fordert zu Fairness im Umgang miteinander auf.

Das Reutlinger Sozialgericht wird demnächst über den Fall Tiago entscheiden. Jetzt machen die Eltern des Zweijährigen, der an spinaler Muskelatrophie (SMA), Typ 2, leidet, in einem Post auf ihrer Website Fightforhope der AOK Baden-Württemberg ihrer Verzweiflung Luft, nachdem sie erfahren haben, dass sich auch die Kasse einen Rechtsbeistand ins Boot geholt hat.

Sie müssen um jede Kleinigkeit kämpfen

Tiagos Eltern schildern, dass sie seit der Diagnose SMA um jede Kleinigkeit kämpfen müssten. Ärztlich verordnete Hilfsmittel würden grundsätzlich abgelehnt. Auf ein Korsett, das eigentlich zur Vorbeugung vor Skoliose dient, hätten sie monatelang warten müssen.

Sie gehen auch auf die Behandlung mit dem Medikament Spinraza ein. Eine Gentherapie, die Tiago alle vier Monate in der Freiburger Uniklinik gespritzt wird und laut Einschätzung der AOK gut anschlägt.

Das sehen die Eltern anders: „Tiago kann nicht laufen, nicht stehen, nicht krabbeln oder robben oder seine Arme hoch strecken“, schreiben sie. Es werde ständig zwischen Typ 1 und Typ 2 unterschieden, jedoch gebe es Kinder mit Typ 1, die motorisch gesehen besser unterwegs seien als Tiago und teilweise sogar laufen können.

Verzweiflung ist spürbar

In den Worten der verzweifelten Eltern ist die Anspannung der vergangenen Wochen spürbar, die sich nun in Vorwürfen gegen die AOK entlädt. Das Binsdorfer Paar weist die „Selbstdarstellung der AOK auf Facebook“ zurück, dass sie in direktem und engem Kontakt mit ihnen stünde.

Laut Stephanie de Freitas gab es nur einen persönlichen Kontakt, nämlich im Dezember vergangenen Jahres, als die AOK die Nachricht überbrachte, dass die Behandlung abgelehnt wird.

Die AOK bewertet dies anders

In ihrer Stellungnahme fordert die Leiterin der Stabstelle Kommunikation und Politik zu einem fairen und den Fakten entsprechenden Umgang miteinander auf.

„Die tragische Geschichte von Tiago geht uns natürlich auch nahe“, lautet der erste Satz des Schreibens. Weiter heißt es: „Die AOK Baden-Württemberg hatte durchaus engen Kontakt zur Familie von Tiago, so war der Geschäftsführer der Bezirksdirektion Klaus Knoll Mitte Dezember persönlich bei der Familie von Tiago, um Unterstützung und Hilfe anzubieten.“

Auch die Kasse nimmt einen Anwalt

Die Beantragung der Behandlung mit Zolgensma habe die Familie über einen Anwalt bei der AOK Baden-Württemberg eingereicht, der von Anfang an eingeschaltet war – auch die Krankenkasse nehme vor diesem Hintergrund anwaltliche Unterstützung in Anspruch.

Das Angebot der Kasse steht

Zudem weist die AOK wiederholt darauf hin, dass der Fall erneut geprüft werde, wenn eine ärztliche Zweitmeinung eines Spezialisten vorliegt, der bescheinigt, dass eine Behandlung mit Spinraza nicht ausreichend und eine Behandlung mit Zolgensma im konkreten Fall auch unter Abwägung der Risiken dringend geboten sei. Eine Rückmeldung zu diesem Angebot sei von der Familie jedoch bisher nicht gekommen.

Wo bleibt die Gerechtigkeit?

Die Eltern hadern auch deshalb mit dem Schicksal, weil sie nicht verstehen, dass andere betroffene Kinder, wie Hannah aus Schleswig-Holstein, der „Stern-TV-Fall“, die Zusage für eine Behandlung mit Zolgensma von ihrer Kasse bekommen haben.

Warum nicht bei der AOK? Und warum nicht in Baden-Württemberg? Wo bleibt hier die Chancengleichheit? Wo bleibt die Gerechtigkeit? fragen sie.

Sie haben mit den Eltern der kleinen Hannah Kontakt aufgenommen.

Nachdem die Barmer, wie berichtet, die Behandlungskosten für das Kind übernommen hat, ist die Familie nun verzweifelt auf der Suche nach einem Arzt, der ihrem Kind die Millionenspritze verabreicht.

Die Solidarität ist groß

Die Menschen aus dem Zollernalbkreis nehmen großen Anteil an Tiagos Schicksal und sprechen den Eltern weiterhin viel Kraft und Zuversicht zu.

Nach dem aktuellen Post überschlagen sich die Kommentare auf Facebook. Der AOK wird Herzlosigkeit vorgeworfen, die Verantwortlichen sehen sich teils bösen Kommentaren gegenüber.

Fast eine Million Euro sind über Spenden zusammengekommen. 1,9 Millionen Euro kostet die einmalige Injektion.

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