Wissenschaftler auf Spurensuche: Wie sah der Alltag der Häftlinge im Bisinger KZ aus?

Von Stephanie Apelt

In Bisingen läuft die erste und bislang einzige archäologische Ausgrabung in einem ehemaligen Konzentrationslager in Baden-Württemberg. Die Experten stoßen auf Fundamente und Rohre.

Wissenschaftler auf Spurensuche: Wie sah der Alltag der Häftlinge im Bisinger KZ aus?

Sechs Wochen sollen die Ausgrabungen auf dem ehemaligen Lagergelände dauern.

Vor genau 75 Jahren, am 24. August 1944, erreichte der erste Transport das KZ Bisingen. Es waren polnische Häftlinge. Sie fanden, außer der Aussicht auf Schrecken, nicht viel vor. Sie mussten sich ihr eigenes Lager einrichten. Heute ist von diesem nicht mehr viel zu sehen.

Archäologen nutzen die Chance

Die Fläche wurde teilweise bebaut. In der Mitte aber blieb Grünland. Für Archäologen ist dies nun möglicherweise die Chance, einen Einblick in den Alltag der Häftlinge zu gewinnen. Wie waren zum Beispiel die sanitären Anlagen? Wie der Küchenbereich? „Über das Lagerleben selbst gibt es tatsächlich erstaunlich wenig“, sagt Dr. Christian Bollacher vom Landesamt für Denkmalpflege; er ist Fachgebietsleiter Archäologische Inventarisation.

Seit drei Wochen wird gegraben

Seit Februar 2018 läuft ein auf vier Jahre angelegtes Projekt des Landesamtes für Denkmalpflege, in dessen Rahmen untersucht werden soll, was sich an den ehemaligen Standorten des nationalsozialistischen Konzentrationslagers Natzweiler – 35 davon lagen in Baden-Württemberg – noch findet.

Die Suche ist schwierig. So gab es KZs, die in bestehenden Gebäuden eingerichtet wurden. In Neckarelz wurden die Häftlinge in einer Schule untergebracht, später wurde aus dem Lagergebäude wieder eine Schule.

So groß wie acht Fußballplätze

In Bisingen dagegen stand ein Barackenlager am Ortsrand, knapp vier Hektar umfassend, so groß wie acht Fußballplätze. Mit Hilfe von Georadar und Geomagnetik, also im Prinzip eine Art Röntgenblick von oben, konnten ganz konkrete Spuren der Baracken und Wege entdeckt werden. Die Archäologen zogen zudem Luftaufnahmen der Alliierten zu Rate.

Mindestens 1187 Menschen starben

Das KZ Bisingen war im August 1944 als eines von sieben Außenlagern für das „Unternehmen Wüste“, ein Projekt des NS-Rüstungsministeriums, eingerichtet worden. Aus Ölschiefer sollte Treibstoff gewonnen werden, ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. „Es wurden in den Konzentrationslagern so viele Häftlinge und Zwangsarbeiter eingesetzt, um das Unmögliche mit aller Gewalt doch noch möglich zu machen“, sagt Christian Bollacher. In den acht Monaten, in denen das Lager in Bisingen bestand, kamen mindestens 1187 Menschen ums Leben.

Erinnerungskultur ist Gedenkstättenverein wichtig

Der KZ-Gedenkstättenverein Bisingen engagiert sich seit Jahren für eine aktive Erinnerungskultur. Nun kommt die Archäologie zur Hilfe. „Wir können die Grabungsfenster genau ansetzen“, erklärt Bollacher. Seit gut drei Wochen wird in Bisingen gearbeitet, meist ganz klassisch in Handarbeit mit Spaten und Schaufel, seit einigen Tagen kommt ein kleiner Bagger zum Einsatz. Leiterin vor Ort ist Dr. Barbara Hausmaier, Grabungstechniker Steffen Killinger. Hinzu kommen vier Mitarbeiter, teils vom Landesamt für Denkmalpflege, teils von der Uni.

Rohre kommen zu Tage

Es ist die bislang erste und einzige archäologische Ausgrabung in einem ehemaligen Konzentrationslager in Baden-Württemberg. Dort, wo sich früher wohl die Küchenbaracke befand, stießen die Archäologen auf ein Stück Rohr. Mitten durch die Magazin- und Waschbaracke führt eine dicke Binnenmauer, deutlich sind Rohrleitungen zu erkennen. Ein paar Nägel und Rohre Ein dritter Schnitt wird dort gemacht, wo der Lagerweg gewesen sein könnte.

Im Winter ein zäher Sumpf

Im nasskalten Winter 1944/45 muss sich das Gelände in zähen Sumpf verwandelt haben. Auf den Wegen sollen Holzstege gewesen sein, nicht für die Häftlinge, sondern für die Wachen, damit diese trockenen Fußes patrouillieren konnten. „Wir werden versuchen, das zu verifizieren“, so Bollacher. Nach dem Krieg wurde sicher einiges des Lagers als schnell greifbares Material verwendet. Unter der Grasnarbe stießen die Archäologen bislang auf einen Schuh, Metallobjekte wie Nägel, Glas (das von Fensterscheiben stammen könnte), viel Baukeramik, Reste von Rohren, teils mit Beschriftungen darauf.

Hat eine Bombe das Lager getroffen

Ein Stück geschmolzenes Glas deutet darauf hin, dass eine Bombe das Lager getroffen haben könnte. Sogar eine Bierflasche wurde zu Tage befördert, ob sie aber aus dem Lager stammt, vielleicht als Tauschobjekt, oder doch aus späteren Zeiten, wird sich zeigen. Es sind viele kleine Puzzlestücke, aus denen sich die Forscher ihr großes Bild zusammensetzen wollen.

Öffentliche Führungen

Am Tag des offenen Denkmals am Sonntag, 8. September, führen Archäologen der Landesdenkmalpflege um 11 und 13 Uhr über die Ausgrabung in Bisingen (Zugang über Verbindungsweg am Ende Hinter Stöck zu Schelmengasse).

Der Gedenkstättenverein

Die KZ-Gedenkstätte bietet an diesem Tag zudem Führungen zu den historischen Schauplätzen auf dem Lehrpfad zur Geschichte des Konzentrationslagers Bisingen an. Start ist um 10 Uhr beim Museum, Kirchgasse 15. Im KZ-Museum selbst erzählt eine Ausstellung von der Geschichte des KZs und des „Unternehmen Wüste“.