Balingen

Wird es dieses Mal gelingen? Kandidat Erwin Feucht verweist auf „Ahnung und Erfahrung“

19.02.2021

Von Rosalinde Conzelmann

Wird es dieses Mal gelingen? Kandidat Erwin Feucht verweist auf „Ahnung und Erfahrung“

© Rosalinde Conzelmann

In Klein-Venedig hat der Balinger Erwin Feucht seine Kindheit verbracht. „Das war mein Kiez“, sagt er lachend.

Erwin Feucht will es noch mal wissen. Nachdem der Grüne bei der Landtagswahl vor fünf Jahren mit 29 Prozent zwar ein sensationelles Ergebnis erzielte, aber es dennoch nicht für ein Landtagsmandat reichte, kandidiert er 2021 erneut für den Wahlkreis 63 für seine Partei Bündnis 90/Die Grünen. Wir befragten den Balinger Urgrünen zu seiner Motivation, seinen Zielen und Visionen und zur aktuellen Corona-Lage. Ein Interview.

Grün, das ist Ihre Farbe seit Ihrer Jugend. Erzählen Sie uns von den Anfängen Ihrer politischen Karriere und Ihrer Motivation.

Erwin Feucht: Prägend war die „Atomkraft-Nein-Danke“- und Friedensbewegung Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre. Dazu kam der immer sichtbare werdende Raubbau an unserer Umwelt: Der Dioxin-Skandal, das Sevesounglück und der Einsatz von Agent Orange. Die Flüsse hatten plötzlich kein Leben mehr; die Fischen waren quasi ausgerottet und schimmerten in allen Farben! Dieser Mix und noch einige Tatsachen mehr haben mich geprägt. Mit Gleichgesinnten in Balingen schlossen wir uns der jungen Bewegung „Die Grünen“ an und stellten uns zum ersten Mal bei der Kommunalwahl 1985 auf –mit Erfolg.

Vor fünf Jahren bei der Landtagswahl ist Ihnen fast die Sensation gelungen. Nur 300 Stimmen trennten Sie von der CDU-Kandidatin Nicole Hoffmeister-Kraut. Was passierte da mit Ihnen?

Es war 2011 ein historisches Ergebnis, zum ersten Mal lagen wir Grünen in den Städten Albstadt und Balingen vor der CDU. Das positive Ergebnis verstand ich auch als Aufgabe. Viele Bürger*innen im Wahlkreis wollten eine ehrliche und nachhaltige Politik. Das war auch der Ansporn für mich persönlich und meine Fraktion bei der Bundestagswahl und der letzten Kommunalwahl noch mehr Leistung zu bringen. Was auch erfolgreich eingetreten ist: bei der Bundestagswahl gab es ein Plus von 4,5 Prozent und mehr Mandate bei der Kommunalwahl.

Was ist seither in Ihrem politischen Leben passiert?

Die letzten Jahre habe ich mich mehr der Landespolitik zugewendet und bei Parteitagen, Konferenzen und Veranstaltungen mein Netzwerk ausgebaut. Die Kontakte zu vielen Akteur*innen von Landesminister*innen und Bundespolitiker*innen habe ich intensiviert. Begleitend wurde ich auch von außen mehr beachtet. So sehen mich Unternehmen, Organisationen und Bürger*innen als Ansprechpartner.

Welche Rolle spielt das bitter-süße Ergebnis von 2016 für Ihre erneute Kandidatur? Zumal Sie erneut gegen die gleiche, starke CDU-Kandidatin antreten.

Es ist längst an der Zeit und schon überfällig, unseren Wahlkreis und den gesamten Zollernalbkreis mit grüner Kraft zu vertreten. Eine Ministerin ist gefangen in ihrem Amt. Als Landtagsabgeordneter der stärksten politischen Kraft kann ich gezielt die Interessen von unserem Wahlkreis vertreten und unterstützen. Das Ergebnis 2016 war so knapp, dass ich gar nicht anders entscheiden konnte, als erneut anzutreten.

Warum sind Sie als Grüner die bessere Wahl für den Zollernalbkreis als Ihre Mitbewerberin von der CDU?

Wir stehen vor sehr großen Herausforderungen und Entscheidungen in den nächsten Monaten und Jahren. Wirtschaft und Ökologie müssen zusammen gedacht werden, die Klimapolitik bedarf grüner Konzepte. Dafür ist das Original wichtig, nicht eine abgeschwächte Kopie. Ich kann mich mit voller Kraft auf unseren Landkreis konzentrieren. Ich bin ein Kommunalpolitiker und Grüner durch und durch seit vielen Jahrzehnten und habe entsprechende Erfahrung und Ahnung. All das unterscheidet mich wesentlich von meiner Mitbewerberin.

Corona verändert alles. Wie bewerten Sie das Krisenmanagement der Regierung? Was sagen Sie den Menschen, die aufbegehren und die Maßnahmen anzweifeln? Und denen, die verzweifeln und um ihre Existenz kämpfen?

Nie wieder seit 1945 war unsere Gesellschaft und somit auch unsere Politik vor eine solche Aufgabe gestellt. Trotz aller, teilweise berechtigten Kritik, kann ich die getroffenen Entscheidungen im Allgemeinen befürworten. Am wenigsten Verständnis habe ich für die schleppenden Auszahlungen und Unterstützungen der zugesagten Hilfen. Dazu, die bis jetzt sehr ungenauen Angaben darüber, wie die schrittweisen Lockerungen nach entsprechenden Entwicklungen in den nächsten Wochen weiter gehen werden. Da benötigen wir mehr Planungssicherheit.

Wir sind aber, trotz aller Widrigkeiten am Ende des Tunnels angelangt. Spätestens ab Ostern werden wir Schritt für Schritt zu einer neuen Normalität gelangen, da bin ich sehr sicher. Daher sollten wir jetzt die längst schon notwendigen Konzepte vorstellen, in denen wir aufzeigen, wie wir den Spätfolgen der Pandemie begegnen. Dies gilt für den Bereich der Bildung, der Wirtschaft, Kultur und allen sozialen Bereichen.

Was sind Ihre Vorbilder?

Meine selbst ge-erlebte Vergangenheit: Petra Kelly, Joschka Fischer und Willy Brand. Aktuell Winfried Kretschmann, Gerhard Schick, Katrin Göring-Eckart, Annalena Baerbock und Robert Habeck.

Für welche Werte stehen Sie beziehungsweise welche Themen liegen Ihnen am Herzen?

Der grundsätzliche Leitfaden: Wir haben die Erde von unseren Kindern geborgt. Das zieht sich durch mein politisches Handeln. Meine politischen Schwerpunkte sind Landwirtschaft und Ernährung, Energie, Mobilität und sozialer Zusammenhalt.

Was wollen Sie für Ihre Wähler erreichen, sollten Sie den Sprung in den Landtag schaffen?

Ich werde mich für eine attraktive Mobilitätswende, die Reaktivierung der Talgangbahn und der Regio-Stadtbahn einsetzen. Auch für die Sanierung von Brücken und Straßen sowie sinnvoller Projekte wie zum Beispiel der Hurdnagelstraße in Frommern/Weilstetten. Förderung einer qualitätsvollen Innenentwicklung in unseren Städten und Gemeinden. Ein Radschnellweg von Hechingen über Balingen nach Albstadt. Dann die Umstellung aller öffentlichen Kantinen, Kitas, Schulen, Behörden, bei der Beschaffung ihrer Lebensmittel. Die sollen zukünftig aus regionaler-bio-produzierter Landwirtschaft stammen oder aus Fair gehandelten Lieferketten stammen. In Balingen werde ich mich gezielt für einen baldigen Neubau des Polizeireviers stark machen. Unsere Kitas benötigen eine noch bessere Förderung im Bereich der frühkindlichen Betreuung und auch unsere Schulen sind nach wie vor immer einen Schritt hinten dran, was die Digitalisierung und auch den Ganztag anbelangt. Dabei meine ich die qualitativ gute Umsetzung von Konzepten.

2016 wünschten Sie sich, unter der Ägide des „alten Politfuchses“ Winfried Kretschmann grüne Landespolitik zu betreiben. Ist das noch so? Halten Sie ihn trotz seines Alters für den richtigen Mann an diesem Platz?

Ja unbedingt. Winfried Kretschmann ist eine Person mit Kanten und sehr viel Wissen. Auf eine Zusammenarbeit mit ihm freue ich mich besonders.

Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus Ihrem Wahlkampf mit?

Die wichtigste Erkenntnis ist ein Wahlkampf ohne Präsenzveranstaltungen. Hier leidet der persönliche Kontakt. Sehr schmerzhaft für mich war die Absage meiner geplanten Tour im Oberen Schlichemtal in den Gemeinden Schömberg, Dautmergen und Dormettingen mit dem Fraktionsvorsitzenden Andreas Schwarz und den Bürgermeistern. Der Vorteil ist die Konzentration wieder auf das geschriebene Wort und den direkten Austausch per Mail oder Videokonferenz. Anstrengend im ländlichen Raum ist das persönliche Verteilen von Informationsmaterial in den Gemeinden. Hier sind die Briefkästen schon weit voneinander entfernt. Zu schätzen ist die Mentalität in unserem Zollernalbkreis , einerseits sehr verwurzelt und doch weltoffen.

Warum braucht das Land Ihrer Meinung nach jetzt eine grüne Politik?

Die Aufgaben für unsere Gesellschaft und der Menschheit sind sehr groß. Das Klima lässt nicht mit sich verhandeln, da müssen wir liefern. Mit alten Gedanken aus verstaubten Schubladen werden wir das nicht lösen können. Wir brauchen eine mutige, grüne, nachhaltige und soziale Politik und dafür stehen Wir. Und das nicht erst seit heute!

Die persönliche Vita

• geboren am 12.10.1959 in Balingen

• wohnt mit seiner Lebenspartnerin Michaela Kraus und den Kindern Damien (22) und Emily (17) in Balingen

• absolvierte den Realschulabschluss in Balingen 1976

• lernte Konditor in Konstanz

• leistete Zivildienst bei AWO Balingen

• machte seinen Abschluss als Konditormeister 1984

• arbeitete selbstständig als Gastronom von 1985 bis 2010

• ist seit 2010 auf dem Hofgut Domäne angestellt

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