Balingen

Wie geht regionale, saisonale Landwirtschaft? Diskussion in Balingen mit hochrangigen Gästen

31.05.2023

Von Paul Braun

Wie geht regionale, saisonale Landwirtschaft? Diskussion in Balingen mit hochrangigen Gästen

© Paul Braun

Die vier Diskutanten (von rechts) Norbert Lins, Hans-Benno Wichert, Stefan Schopf und Carolin Dietz mit Moderator Jörg Max Fröhlich und Ministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut.

Am Freitagnachmittag fand auf der Plazabühne der Gartenschau die Veranstaltung „Regional. Saisonal. Klimaneutral.“ statt. Thema war dabei die Landwirtschaft, vor allem im Zollernalbkreis. Dazu eingeladen hatte die CDU-Landtagsabgeordnete und baden-württembergische Wirtschaftsministerin, Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, gemeinsam mit dem CDU-Kreisverband Zollernalb.

Bei strahlendem Sonnenschein hielten die Ministerin und der Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Norbert Lins (CDU), vor einem großen Publikum, Impulsvorträge über die Bedeutung der regionalen Landwirtschaft, bevor eine Podiumsdiskussion mit Vertretern aus der Wirtschaft, dem Bauernverband und der Landwirtschaft folgte. In der Einladung zur Veranstaltung schreibt der CDU-Kreisverband: „Wer sich mit regionalen, saisonalen Lebensmitteln ernährt, tut bewusst etwas für die eigene, gesunde Ernährung, unterstützt die heimische Landwirtschaft, die Jägerschaft und stärkt regionale Wirtschaftskreisläufe.“

Gute Initiativen in Baden-Württemberg

Nicole Hoffmeister-Kraut hob hervor, dass Baden-Württemberg bereits vieles richtig mache. Sie lobt unter anderem den Ernährungsführerschein, den Drittklässler in Baden-Württemberg machen können, um die eigene Ernährungskompetenz zu steigern, da Kinder früh für Regionalität und gesunde Ernährung sensibilisiert werden sollten, so die Ministerin.

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Dr. Nicole Hoffmeister Kraut möchte Verbraucher zu klimafreundlicheren und und saisonaleren Einkäufen animieren.

Auch lobte sie das sogenannte „Gelbe Band“, das Landwirte an nicht-abgeerntete Obstbäume binden können, um zu signalisieren, dass sich Passanten von ihnen bedienen dürfen.

„Produkte aus der Region in der Region vermarkten“

Im gleichen Zug mahnte Hoffmeister-Kraut jedoch an, dass die Resilienz der Landwirtschaft sehr fragil sei, was die Weizenkrise im Zuge des Ukraine-Kriegs verdeutliche. Außerdem führte sie aus: „Regionalität bedeutet für mich, dass die Produkte aus der Region auch in der Region vermarktet werden.“ Sie hält Verbraucher wie Wirtschaft dazu an, sich aktiv für die regionale Lebensmittelerzeugung einzusetzen, sie wertzuschätzen und sie zu unterstützen. Abschließend hielt sie ein Plädoyer für den Natur- und Umweltschutz – vor allem in der Landwirtschaft. „Der Mensch ist ein Teil der Schöpfung und muss auf die Schöpfung achtgeben.“

Kulturelle Identität der Landwirtschaft wahren

Danach begrüßte sie den Europa-Abgeordneten Norbert Lins auf der Bühne. Lins ist seit 2019 Vorsitzender des Agrarausschusses im EU-Parlament und hat einen Sitz im Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Er erzählte von seiner Arbeit in Brüssel und wies auf die unterschiedlichen Formen der Landwirtschaft innerhalb der EU hin.

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Die Plazabühne war gut besucht am Freitag. Die Ministerin begnügte sich während der Diskussion mit einem Zuschauerplatz.

So verglich er zum Beispiel die Weinberge Portugals, die weitläufigen Weideflächen in Irland und die Wälder Schwedens mit dem deutschen Ackerland. Ihm ist dabei wichtig, in jedem Land die „kulturelle Identität“ der Bäuerinnen und Bauern zu wahren und Traditionen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Kooperation statt Konfrontation

Lins‘ politische Arbeit stelle vor allem den ländlichen Raum in den Fokus: „Politik wird aus den Großstädten gemacht.“ Die „Städter“ wollen dem Land vorschreiben, wie sie zu wirtschaften haben. Er bemängelt das. Sein Wunsch sei ein Politikstil, der „Kooperation statt Konfrontation“ fördere.

„Muss es die Tomate oder Erdbeere sein?“

Im selben Zug mahnte der CDU-Politiker jedoch auch Kooperation von Seiten der Verbraucher an. Sie müssten Initiativen annehmen und sich beim Einkauf für Saisonalität und Regionalität sensibilisieren. Das könne laut Lins so aussehen, dass man sich im Supermarkt fragt, „muss es jetzt die Tomate oder Erdbeere sein, oder tut’s im Winter auch Mal ein Kohl?“

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Norbert Lins stellt bei seiner politischen Arbeit den ländlichen Raum in den Fokus.

Trotzdem, betonte Lins, wolle man keine „Politik in die Kühlschränke der Bürger“ machen. Zur Wertschätzung der regionalen Landwirtschaft brauche es aber auch mehr Akzeptanz von der Bürgerschaft, „wenn Landwirte Gülle ausfahren oder abends noch mit dem Trecker unterwegs sind“.

Baden-Württemberg deckt eigenen Bedarf nicht

Als letzten Gedankenanstoß gab Lins noch zu bedenken, dass die Selbstversorgungsrate bei diversen Lebensmitteln zu niedrig sei. 2019 konnte die baden-württembergische Lebensmittelerzeugung zum Beispiel nur 58 Prozent des Milchbedarfs, 50 Prozent des Schweinefleischbedarfs und bei Gemüse sogar nur 24 Prozent des Bedarfs abdecken – der Rest stammt aus Importen; entweder aus anderen Teilen Deutschlands, meist jedoch aus dem Ausland.

Prominentes Panel

Für die anschließende Podiumsdiskussion versammelten sich Carolin Dietz, die Vizepräsidentin des LandFrauenverbands Württemberg-Hohenzollern, Stefan Schopf, der Geschäftsführer der b2 Bio pur GmbH, Diplom-Ingenieur Hans-Benno Wichert, der Vizepräsident der Landesbauernverbandes in Baden-Württemberg, und Norbert Lins auf der Bühne. Jörg Max Fröhlich, Kommunikations- und Politikberater aus Meßstetten, führte durch das Gespräch und stellte die Fragen. In seinen einleitenden Bemerkungen griff Fröhlich erneut den Umweltschutz auf und wies darauf hin, dass wir momentan das sechste große Artensterben erleben.

Kleine Familienbetriebe leiden

Als erstes ergriff Carolin Dietz das Wort. Die studierte Agrarwissenschaftlerin betreibt gemeinsam mit ihrem Mann die Ziegenhütte Zollernalb in Harthausen. Sie sprach sich dafür aus, den von Nicole Hoffmeister-Kraut angesprochenen Ernährungsführerschein sowie das Fach Hauswirtschaft verpflichtend für alle Grundschüler zu machen, statt es bei freiwilligen Angeboten zu belassen.

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Die Podiumsdiskussion wurde moderiert von Jörg Max Fröhlich (links). Mit dabei waren Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Landwirtschaft.

Zudem, erklärte sie, litten momentan viele kleine, landwirtschaftliche Familienbetriebe unter den übermäßigen Vorschriften durch die Bundespolitik (meist zum Umweltschutz) und dem Preisdruck durch große Supermarktketten.

„Regional bedeutet immer teurer“

Hans-Benno Wichert stimmte zu. Landwirte hätten immer weniger Planungssicherheit wegen der vielen Vorgaben von EU und Land. Wichert ist Vorsitzender des land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbandes in Baden-Württemberg, Präsident des Schweinezuchtverbandes Baden-Württemberg und Vizepräsident des Landesbauernverbandes in Baden-Württemberg und betreibt zudem einen eigenen Schweinezuchtbetrieb. Er erklärte: „Regional bedeutet immer teurer“. Durch Corona und Inflation hätten die Menschen jedoch immer weniger Geld und kaufen dann logischerweise weniger regionale Produkte. „Davon kann ein Bauer keinen Schweinestall planen.“ Wichert wünscht sich, dass die Ernährungssicherheit verbunden mit Nachhaltigkeit in das Grundgesetz aufgenommen werden.

Kritik an Cem Özdemir

Norbert Lins ging währenddessen hart mit dem Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir, ins Gericht. Lins habe in vielen Punkten die selben Anliegen wie der Minister, doch könne es nicht sein, dass Özdemir am Dienstag, 30. Mai, zum ersten Mal in Brüssel beim Agrarausschuss vorstellig werde. „Wenn man gute und wichtige Anliegen hat, muss man sie auch vertreten.“

„Ich bin der Buhmann“

Carolin Dietz bekam die Frage gestellt, wie sie die Haltung der Politik und Bevölkerung den Bäuerinnen und Bauern gegenüber empfindet. Ihre Antwort: „Ich bin der Buhmann.“ Es heiße immer, Landwirte zerstören den Boden, töten Insekten, düngen und spritzen zu viel und kümmern sich nicht um das Wohl der Tiere. All das stimme nicht.

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Carolin Dietz und Stefan Schopf (rechts) wünschen sich beide mehr Wertschätzung für Landwirtinnen und Landwirte.

Sie appellierte an die Politik und die Menschen auf und vor der Bühne: „Hier wird immer so groß (von der Politik) geredet aber hinter diesen Entscheidungen stehen immer Familien, auf die das Auswirkungen hat.“ Das Publikum gab ihr Recht.

„Sie wissen nicht Bescheid“

Stefan Schopf, der Geschäftsführer des b2-Bioladens in Balingen, möchte das Image von Bio-Produkten aufbessern; am liebsten im Einklang mit mehr Anerkennung für landwirtschaftliche Berufsbilder – Werte die Schopf mit seinem Unternehmen vertreten möchte. „Es muss in unser aller Interesse sein, dass nicht in jedem Dorf der Metzger zu macht.“ Weiterhin wurde Schopf von Fröhlich über das Qualitätszeichen Baden-Württemberg gefragt. Dieser erklärte, sie nutzen das Siegel in ihrem Laden seit der Einführung, doch mangele es bei den Verbrauchern an Aufklärung: „Sie wissen nicht Bescheid.“ Eigentlich soll das Qualitätszeichen Baden-Württemberg Kunden darauf hinweisen, dass die damit gekennzeichneten Produkte aus Baden-Württemberg stammen oder mit Zutaten aus Baden-Württemberg hergestellt sind und besondere Anforderungen hinsichtlich ihrer Qualität oder des Produktionsprozesses erfüllen.

Amerika als Vorbild

Auch Lins wünschte sich eine verstärkte Förderung regionaler Landwirtschaftsbetriebe – nach amerikanischem Vorbild. Im Stile des „Inflation Reduction Act“ von Joe Biden solle die EU „Steuerermäßigungen und Anreize statt Überregulierung und Bürokratie“ zur Hand nehmen. Lins forderte im selben Zug ein Regulierungsmoratorium in der EU.

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Auch Fragen von Seiten der Zuschauer wurden gehört.

Das hörte Wichert gern und fügte an: „Früher hieß es einmal, wenn ein neues Gesetz kommt, sollte ein altes gestrichen werden“, und auch er erhielt Applaus von den Zuhörenden.

Appelle statt Lösungen

Bei der abschließenden Fragerunde wollte eine Frau wissen: „wieso müssen denn die Verbraucher alles richten?“ Sie störe sich an den ständigen Appellen der Politiker an die Bevölkerung, die Probleme der Welt in Eigenverantowrtung lösen zu müssen, statt schärfere Gesetze zu machen und die Steuern auf regionale Produkte zu senken.

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Nur appellieren, aber keine Lösungen einbringen? Diese Frage, die die Zuhörerin stellte, beschäftigte wahrscheinlich viele.

Lins erklärte, man sei im Spagat, wie sehr man einschränken beziehungsweise regulieren wolle, und merkte an, dass man zum Beispiel innerhalb der Union bereits heftig über die Tierwohlabgabe, die Fleisch aus Massenhaltungsbetrieben verteuern würde, diskutiere. Er habe den Eindruck, dass es in der momentanen Regierung die FDP sei, die solche Vorstöße bremse.

Waldhof steht nicht zur Debatte

Zu guter Letzt meldete sich noch eine Frau von der Bürgerinitiative Waldhof zu Wort und bat die Politiker – vor allem Norbert Lins – um ihren Einsatz für die Erhaltung der landwirtschaftlich wertvollen und nutzbaren Flächen, die zum Absprunggebiet für KSK-Truppen der Bundeswehr werden sollen. Jörg Max Fröhlich würgte jedoch ab, eine Antwort erhielt sie nicht. Trotzdem durfte sie Lins und Hoffmeister-Kraut ein Schreiben der Bürgerinitiative mitgeben.

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