Wie die ARD-Korrespondentin Claudia Buckenmaier aus Hechingen die Unruhen in den USA erlebt

Von Hardy Kromer

Die USA sind in Aufruhr, seit der Schwarze George Floyd durch Polizeigewalt starb. Wie erlebt die aus Hechingen stammende ARD-Korrespondentin Claudia Buckenmaier die Lage in Washington?

Wie die ARD-Korrespondentin Claudia Buckenmaier aus Hechingen die Unruhen in den USA erlebt

ARD-Korrespondentin Claudia Buckenmaier (zu Corona-Zeiten mit Maske) ist für den „Weltspiegel“ ganz viel unterwegs in den USA, um zu erfahren, wie sich die große Politik auf die einfachen Leute im Lande auswirkt. Die aktuellen Unruhen nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd erlebt die gebürtige Hechingerin direkt in Washington.

Erst Corona, dann die Tumulte, nachdem der schwarze US-Bürger George Floyd unter dem Stiefel eines weißen Polizisten starb: Die Vereinigten Staaten von Amerika wirken erschüttert wie nie. Ganz nah dran am Geschehen ist eine gebürtige Hechingerin: die ARD-Nordamerika-Korrespondentin Claudia Buckenmaier. Ihr Hauptwerk diese Woche war ein „Weltspiegel extra“ zu den Protesten. Tags darauf beantwortete sie die Fragen der Redaktion.

Die USA, so wirkt es von Deutschland aus, sind in Aufruhr. Wie erleben Sie an Ihrem Wohn- und Arbeitsort Washington die Situation?

Claudia Buckenmaier: Es ist bedrückend. Vor allem an den Tagen, an denen ab 19 Uhr eine Ausgangssperre herrschte, war die Stadt wie ausgestorben. Überall kontrollierten Polizisten und Nationalgardisten. Einmal sind wir erst nach Mitternacht aus dem Büro gekommen. Da war alles abgesperrt. Ich wollte mit dem Auto nach Hause. Trotz meines Journalistenausweises und der damit verbundenen Ausnahmegenehmigung gab es kein Durchkommen. Ein Polizist sagte mir: „Ihr Journalisten, ihr gehört doch gar nicht wirklich zu den unverzichtbaren Berufen.“ Er gab mir dann aber doch Tipps, wie ich die Absperrungen umfahren konnte. Ich musste einen riesigen Umweg nehmen, kam aber sicher nach Hause. In Georgetown, dem Stadtteil, in dem sich das ARD-Studio Washington befindet, sind alle Geschäfte mit Spanplatten verrammelt. Eine Folge der gewaltsamen Proteste der ersten Tage. Vor einem Café, das hinter den zugenagelten Fensterscheiben geöffnet hatte, erzählte mir ein Mann, dass er die Stadt in 30 Jahren noch nie so erlebt hätte. Zuerst war alles geschlossen wegen Corona, jetzt wegen der Proteste. Niemand kann sagen, welche Geschäfte überhaupt wieder öffnen werden. Derweil gehen die Proteste in Washington D.C. weiter. Aber sie sind inzwischen friedlich. Die Bürgermeisterin hat die Ausgangssperre aufgehoben. Es sind vor allem junge Menschen, Schwarze wie Weiße, die jeden Tag vor dem Weißen Haus demonstrieren. Am Samstag wird die bisher größte Demonstration erwartet. Dort hat sich die Szenerie sehr verändert. Der Sitz des Präsidenten wirkt wie eingemauert. Alles ist weiträumig abgeriegelt. Um den kleinen Park vor dem Gebäude haben Arbeiter einen neuen Zaun gezogen. Dahinter oft mehrere Reihen eng stehender Sicherheitskräfte in voller Montur.

Es ist bekanntlich nicht das erste Mal, dass ein Schwarzer in den USA durch Polizeigewalt stirbt. Wie erklären Sie sich die Wucht der Ereignisse nach dem Tod von George Floyd?

Ein Grund ist mit Sicherheit, dass es trotz des Videos, das die rücksichtslose Brutalität der Polizisten gegen George Floyd minutiös dokumentiert, relativ lange gedauert hat, bis zumindest der Polizist verhaftet wurde, der acht Minuten und 46 Sekunden auf dem Hals des Opfers gekniet hatte. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft ja gegen alle vier beteiligten Beamten Anklage erhoben. Aber das dauerte vielen zu lang. Und sie haben Recht. Schwarze werden nicht nur von der Polizei, sondern auch von der Justiz hier, in der Mehrheit der Fälle, anders behandelt als Weiße. Alltäglich gelebter Rassismus in den USA. Die Corona-Pandemie verschärft diese Ungerechtigkeiten noch. Schwarze Menschen erkranken überproportional oft an dem Coronavirus. Und sie sterben sehr viel häufiger an der Krankheit als Weiße. Das hat mit Vorerkrankungen zu tun, die durch Armut befördert werden, mit einer schlechten Gesundheitsversorgung in den Gegenden, in denen mehrheitlich Schwarze leben. Die Menschen im Südosten von Washington D.C. können sich den Luxus nicht leisten, von zuhause zu arbeiten. Sie sind diejenigen, die in den Geschäften arbeiten, an der Kasse stehen, die Regale auffüllen, die für andere einkaufen und Essen ausliefern. Es sind mehrheitlich Schwarze und Latinos, die während der Pandemie das aufrechterhalten haben, was zum Überleben notwendig war. Und das oft zu erschreckend niedrigen Löhnen. Damit waren sie aber auch dem Virus stärker ausgesetzt als die meisten Weißen. Das spielt mit Sicherheit eine Rolle, dass sich so viel Wut nach dem Tod von George Floyd Bahn brach.

Beobachter sehen die Vereinigten Staaten wahlweise am Rande des Zerfalls der Union oder auf dem Weg in eine Diktatur? Was meinen Sie, wo das alles hinführt?

Ich kann diese Befürchtung verstehen. Sie hat mich in den vergangenen Wochen auch immer wieder beschlichen. Die Skrupellosigkeit, mit der die US-Regierung unter Donald Trump Tabus bricht, ist erschreckend. Der Kongress kann seine Kontrollfunktion kaum ausüben, da sich das Weiße Haus immer wieder früher üblichen Vorgängen verwehrt. Zum Beispiel wenn die zuständigen Stellen es Regierungsmitarbeitern untersagen, einer Vorladung vor einem Ausschuss zu folgen und sich den Fragen der Abgeordneten zu stellen. Erschwerend kommt hinzu, dass es in der Republikanischen Partei so gut wie keine kritischen Stimmen mehr gibt. Kaum einer bietet Donald Trump die Stirn, wenn er zu weit geht. Dann gab es aber doch eine Überraschung: Als der US-Präsident vor wenigen Tagen damit drohte, das Militär in andere Bundesstaaten zu schicken, wenn es den Gouverneuren nicht gelingen sollte, für Ruhe zu sorgen, kam der Verteidigungsminister aus der Deckung. Er lehnte das ab. Dafür seien die Voraussetzungen noch nicht gegeben. Nach allem, was wir hören, war der US-Präsident darüber nicht begeistert, aber es macht auch Hoffnung, dass er nicht bei allen einen Freibrief hat. Richtig ist, dass das Vertrauen in viele Gouverneure seit Beginn der Corona-Pandemie gewachsen ist. Je offenkundiger das Versagen der Zentralregierung wurde, desto mehr orientierten sich die Menschen an den Politikern, die in den Bundesstaaten das Sagen hatten. Aber ich sehe darin, bisher zumindest, lediglich die Möglichkeit, dass die Rolle der Bundesstaaten wächst, aber keinen Hinweis auf den Zerfall der USA. Ich bin vorsichtig optimistisch, dass sich die Lage hier nicht so zuspitzt, dass die USA in Richtung einer Diktatur driften könnte.

Über allem schwebt der Tag der Präsidentschaftwahl, der 3. November: Sind die aktuellen Ereignisse für Donald Trump, der täglich neue bizarre Auftritte liefert, der Anfang vom Ende?

Momentan sieht es in vielen Umfragen nicht gerade gut für den Präsidenten aus. Vor allem in Staaten, auf die es ankommt, wie zum Beispiel in Wisconsin oder Arizona, hat Trump deutlich an Zustimmung verloren. Aber es ist viel zu früh, um über das mögliche Wahlergebnis zu spekulieren. Wer hätte Anfang des Jahres gedacht, dass in den USA wenige Monate später mehr als 40 Millionen Menschen ihre Arbeit verloren haben würden? Wer hätte damit gerechnet, dass Unruhen das ganze Land erschüttern? Es gibt nach wie vor viele Menschen, die zu Donald Trump stehen. Die einen vertrauen darauf, dass er derjenige ist, der die Wirtschaft schnell wieder in Schwung bringen kann. Anderen gefällt sein kompromissloser Auftritt gegen die Demonstranten. Und dann gibt es auch die Gruppe, die in der Corona-Pandemie eine Verschwörung fremder Mächte sieht. Für mich ist nur eines sicher: Unabhängig davon, wie die Wahl im November ausgeht, sie wird die Spaltung in diesem Land nicht beenden. Dafür braucht es mehr als ein Wahlergebnis.