Balingen/Hechingen

„Wie Videoschleife im Kopf“: Zeugen im Balinger Bankräuberprozess schildern das Erlebte

17.10.2019

Von Lea Irion

„Wie Videoschleife im Kopf“: Zeugen im Balinger Bankräuberprozess schildern das Erlebte

© Lea Irion

Die Große Strafkammer um Richter Dr. Hannes Breucker (Mitte) spricht voraussichtlich am 24. Oktober ein Urteil im Balinger Bankräuberprozess aus.

13 Zeugen, ein einheitliches Täterbild: Am zweiten Verhandlungstag des mutmaßlichen Bankräubers mehrerer Filialen im südwestlichen Raum kamen weitere Details ans Licht. Einige der Geschädigten erzählten von psychischen Folgen, Arbeitsunfähigkeit und den Einzelheiten der begangenen Überfälle. Am Ende wurde vor allem klar: Der mutmaßliche Erpresser lebte jahrelang auf zu großem Fuß, wie ein ehemals ermittelnder Kriminalhauptkommissar den „spektakulärsten und einer der größten Fälle“ seiner Karrierelaufbahn beschrieb.

Auffällige Perücke, gepflegtes Erscheinungsbild, die Augen hinter Sonnenbrillen verdeckt: Der mutmaßliche Bankräuber von insgesamt sechs Überfällen in den vergangenen Jahren ging bei jeder seiner Taten ähnlich vor, wie sich bereits am ersten Verhandlungstag herauskristallisiert hatte.

Am Donnerstag wurden nun unter dem Vorsitz von Richter Dr. Hannes Breucker weitere 13 Zeugen im Landgericht Hechingen angehört. Dabei waren unter anderem Bankmitarbeiter und Polizeibeamte, die bei den Überfällen in Rastatt, Waldkirch und Balingen vor Ort waren. Ihre Erlebnisse schilderten sie der Großen Strafkammer des Landgerichts.

„Wie Videoschleife im Kopf“: Zeugen im Balinger Bankräuberprozess schildern das Erlebte

© Pascal Tonnemacher

Der Angeklagte am ersten Verhandlungstag mit seinem Verteidiger.

Besonders kurios: Fast alle der gehörten Zeugen berichteten von Temporollen oder Wattebäuschen, die der Angeklagte während der Taten in seinem Mund führte. Laut Aussage eines damals ermittelnden Kriminalhauptkommissars tat er dies, um womöglich sowohl sein optisches Erscheinungsbild zu ändern, als auch seine verbale Kommunikation mit den Bankmitarbeitern zu verzerren, um später nicht erkannt zu werden.

Täter blieb jahrelang unentdeckt

Mit Erfolg: Bis zu seinem Überfall in Balingen vom 2. Mai dieses Jahres blieb der Angeklagte unentdeckt. Das erbeutete Geld, oftmals Beträge von mehreren Zehntausend Euro, bunkerte der 80-Jährige in einer Holzkiste, gut versteckt hinter einigen Ordnern in einem Büroregal. Die gestohlenen Summen vermerkte der mutmaßliche Täter in einer Datei an seinem Rechner. Jeder einzelne Geldschein war separat dort vermerkt, das ergab eine Hausdurchsuchung unter der Leitung des Kriminalhauptkommissars aus Villingen-Schwenningen.

„Der Täter nahm es immer sehr genau mit seiner Buchhaltung“, beschrieb der Polizeibeamte die entdeckten Dateien. Offenbar habe der mutmaßliche Bankräuber jahrelang auf zu großem Fuße gelebt. Bis 2006 betrugen seine monatlichen Einnahmen noch etwa 6.000 Euro, danach sei es steil bergab gegangen.

Monatliche Fixkosten überstiegen die Rente

Der Verkauf seines Hauses brachte ihm zwar noch gerundet 300.000 Euro, seine Ausgaben summierten sich jedoch monatlich auf 4.000 bis 5.000 Euro. Allein die Fixkosten überstiegen die Rente seiner Frau mitsamt seiner eigenen bei weitem. Zu den Ausgaben gehörten offenbar Urlaube im Nachbarbundesland Bayern, einen Großteil des Rests verzockte der Angeklagte laut eigener Aussage aufgrund von Fehleinschätzungen des Aktienkurses.

Die weiteren Zeugen berichteten meist von Langzeitfolgen der erlebten Überfälle. Ein 55-jähriger Bankkaufmann, der bei der Tat im Oktober 2012 in Rastatt involviert war, sprach von Kreislaufstörungen, die er noch am selben Tag erlitt, sowie Schlafstörungen während der darauffolgenden Tage.

26-jähriger Bänker zeigt Zivilcourage

Die Geschädigten des Überfalls in Waldkirch vom April diesen Jahres schilderten ähnlich schaurige Erinnerungen an den Vorfall. Ein 64-jähriger Betriebswirt der überfallenen Bank etwa sprach von einem „computergeschriebenen Zettel in Größe 26“, auf dem er nur die Worte „Bombe“, „Geld“ und „keine Polizei“ wahrnahm, ehe er vor dem Täter zwei Etagen nach oben flüchtete und die Polizei verständigte.

„Wie Videoschleife im Kopf“: Zeugen im Balinger Bankräuberprozess schildern das Erlebte

© Lea Irion

Im Gerichtssaal 168 schilderten die Zeugen das Erlebte.

Diese Maßnahme verhinderte zudem, dass der Angeklagte Geld erbeuten konnte. Der Betriebswirt hatte dennoch mit den Folgen zu kämpfen: Lange Zeit hätten ihn die Vorkommnisse verfolgt. Eine involvierte Kollegin habe sich in Therapie begeben und werde wohl die Stelle wechseln müssen, da sie von dem Geschehen nicht loslassen könne.

Dem Angeklagten drohen maximal 15 Jahre Haft

Die Vereitelung des Plans aus Waldkirch hatte jedoch zur Folge, dass die Polizeibehörde eine sogenannte Bankwarnung an alle baden-württembergischen Banken ausschickte. Diese beinhaltete neben einer genauen Beschreibung des Täters auch Bilder von Überwachungskameras.

Die Warnung erreichte auch die Balinger Sparkasse in der Friedrichstraße. Ein 26-jähriger Bankkaufmann der genannten Filiale diskutierte noch vor dem Balinger Raubüberfall mit seinen Kollegen über den Ermittlungsstand. Was er zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste: Seine Aufmerksamkeit in diesem Fall sollte später zur Festnahme des Täters führen.

Psychische Langzeitfolgen bei den Geschädigten

Am 2. Mai betrat der 80-jährige Angeklagte die Sparkasse nahe der Innenstadt und ging seiner ihm gewohnten Erpressungsmasche nach. Der 26-jährige Mitarbeiter erkannte den mutmaßlichen Räuber anhand der Bankwarnung sofort wieder und setzte umgehend einen stillen Notruf ab. Er habe zu diesem Zeitpunkt „nur reagiert und nichts gefühlt“, wie er die Situation selbst beschrieb.

Sein 62-jähriger Kollege wurde von dem Angeklagten angesprochen und erhielt die typische Drohung per Brief. Der 26-Jährige baute Blickkontakt zu ihm auf und signalisierte, dass er bereits einen Alarm ausgelöst hätte.

Bomben entpuppten sich immer als Attrappen

Dennoch ließen sich die beiden Bankkaufmänner auf den Bankräuber ein, da sie um die Echtheit seiner mitgeführten Bombe im Unklaren waren. Zudem signalisierte der 80-Jährige, dass er die Bombe jederzeit mit einem Handauslöser zur Detonation bringen könne.

Hinzugezogen wurden daraufhin die Balinger Sparkassenleiterin und deren Stellvertreter. Der Angeklagte habe den beiden die Bombe präsentiert. Der 37-jährige Bankfachwirt erlitt daraufhin eine Schockstarre, die 42-jährige Leiterin zitterte am ganzen Körper.

Überfall bleibt „wie Videoschleife im Kopf“

Der mutmaßliche Erpresser ließ sich in den Tresor führen, wo ihm der dortige Kassier geschätzt 30.000 Euro aushändigte, ehe die zugerufene Balinger Polizei den Täter schließlich überwältigen konnte.

Die Sparkassenchefin litt in den darauffolgenden Wochen unter extremen Kopfschmerzen, musste eine Psychologin aufsuchen und begab sich in manuelle Therapie. „Mir stellt sich nur die Frage, hat er sich jemals in seine Opfer hineinversetzt?“, äußerte die 42-Jährige im Zeugenstand.

Am 24. Oktober wird ein Urteil erwartet

Die Geistesgegenwart des 26-Jährigen, der den stillen Alarm absetzte, wurde mehrfach seitens seines Arbeitgebers gelobt, wie er selbst aussagt. Zudem wurde ihm vor wenigen Wochen eine Ehrenmedaille vom Polizeipräsidium Tuttlingen für seine kühne Tat übergeben. Der Überfall verfolgte ihn nachts dennoch über mehrere Wochen „wie eine Videoschleife im Kopf“.

Im Prozess um den 80-jährigen Angeklagten wird nun kommende Woche, am 24. Oktober, ein Urteil erwartet. Zuvor wurden am Donnerstag die ersten beiden Anklagepunkte eingestellt, da in den jeweiligen Fällen keine Straftat begangen worden sei.

Diese wirken sich folglich nicht mehr auf die Gesamtstrafe aus, können aber dennoch gegen den mutmaßlichen Bankräuber verwendet werden. Ihm droht eine Freiheitsstrafe von mindestens drei bis hin zu 15 Jahren.

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