Widerstand gegen das Naziregime: Die „Geislinger Weiberschlacht“ jährt sich zum 80. Mal

Von Pressemitteilung

Am 1. und 2. Dezember 1941 haben sich rund 200 Geislingerinnen gegen die Übernahme ihres katholischen Kindergartens durch das nationalsozialistische Regime gewehrt. Ihr Aufstand wurde blutig niedergeschlagen und ging als die „Geislinger Weiberschlacht“ in die städtischen Annalen ein. Die Stadt möchte die Erinnerung an die mutigen Frauen wachhalten und hat die Ereignisse vor 80 Jahren zusammengefasst – als ein vorbildliches Beispiel des Widerstands.

Widerstand gegen das Naziregime: Die „Geislinger Weiberschlacht“ jährt sich zum 80. Mal

„Der Aufstand der Geislinger Frauen 1941“ nannte der 2013 verstorbene Uwe Amann seine Zeichnung aus dem Jahr 2011.

Es gibt zwar noch einige „stille“ Zeitzeugen der Geschehnisse vom Dezember 1941, aber Maria Schmid, die dieses Jahr 100-jährig gestorben ist, war die letzte aktiv Mitbeteiligte der „Geislinger Weiberschlacht“. Der Stadt ist es sehr wichtig, die Erinnerung an die tapferen Frauen von damals wachzuhalten.

Anlässlich des 70. Jahrestags wurde ein Projektausschuss gegründet, der von dem ehrenamtlichen Stadtarchivar Alfons Koch geleitet wurde. Gemeinsam mit der Geschichtsstudentin Annegret Hägele haben die Verantwortlichen Zeitzeugen befragt, nach historischen Fotos und in Archiven geforscht. Das Ergebnis dieser umfangreichen Recherchen ist ist eine Broschüre eingeflossen, die 2011 von der Stadt herausgegeben wurde und das mutige Vorgehen der Katholikinnen und Mütter dokumentiert.

Ein Abriss der Geschehnisse

Anlässlich des 80. Jahrestags geben wir im Folgenden einen kurzen Abriss des heimatgeschichtlich bedeutenden Aufstands gegen die NS-Kindergartenpolitik aus der Broschüre, den uns die Stadt zugesandt hat.

Im Jahr 1937 begannen die ersten Versuche der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), auf den von der Gemeinde im Gebäude Brückenstraße 37 betriebenen und von Ordensschwestern aus Untermarchtal geleiteten Kindergarten zuzugreifen. Die Machthaber wollten zumindest eine NSV-Schwesternstelle dauerhaft in Geislingen einrichten, was nicht gelang.

Schwester Gilda stirbt

Aber dann kam das Jahr 1941 und am 29. November wurde Schwester Oberin Gilda, die 23 Jahre lang segensreich gewirkt hatte, unter großer Anteilnahme der Bevölkerung zu Grabe getragen. Bereits am 28. November übersandte das Kreisamt dem Geislinger Bürgermeister Informationen zur künftigen Besetzung des Kindergartens: Vier NSV-Frauen sollten die beiden Ordensschwestern ablösen.

Frauen gehen zum Rathaus

Die Geislinger Bevölkerung stand am Morgen des 1. Dezember völlig überrumpelt vor vollendeten Tatsachen. Den Ordensschwestern wurde mitgeteilt, dass man ihnen die „Kinderschule“ abnehmen wolle. So entschloss man sich, das Rathaus aufzusuchen, um eine Klärung herbeizuführen. Dort bekamen die Frauen die Bestätigung, dass NSV-Schwestern im Ort seien. Zuständig hierfür sei aber die NSV; der Bürgermeister behauptete, von nichts zu wissen.

So zogen die Frauen zu dem im Ort für die NSV zuständigen Lehrer Schienle, einem bekannten Nationalsozialisten. Mit „kräftigen Worten“ verlangten sie Auskunft von ihm. Er aber verweigerte, mit ihnen zu sprechen; ihn gehe das nichts an. Die Frauen waren empört und schimpften, worauf Schienle sich bedroht fühlte und versprach, dass um 14 Uhr der Kreisleiter in den Kindergarten komme und die Sache aufkläre.

Schwestern wird gekündigt

Annähernd 50 Frauen begaben sich daraufhin zunächst nach Hause, um gegen 13 Uhr in noch größerer Zahl im Schwesternhaus aufzukreuzen und den Kreisleiter zu erwarten. Wiederum jedoch vergebens: es geschah nichts und der Kreisleiter blieb aus. Um etwa 16 Uhr wurden die Schwestern aufs Rathaus zitiert. Die Frauen begleiteten die Schwestern. Es erfolgte die Kündigung der Kinderschwestern mit sofortiger Wirkung.

Die Frauen erstellten auf Anraten des Bürgermeisters eine Unterschriftenliste, welche dieser der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) zukommen ließ. Außerdem erhielten sie den Rat, nach Balingen zu fahren, was einige der Frauen per Omnibus taten. Ein Teil von ihnen wandte sich dort an den Kreisleiter, die anderen an den Landrat. Beide fühlten sich nicht zuständig.

200 Frauen versammeln sich

Die Frauen kehrten nach Geislingen zurück und einige von ihnen bewachten nachts das Schwesternhaus. Am nächsten Tag, es war der 2. Dezember 1941, hatten sie sich bereits morgens um 7 Uhr wieder vor dem verschlossenen Rathaus versammelt. Zunächst waren es 100 Frauen. Später, in der „Vesperpause“, haben sich weitere angeschlossen; sie hatten ihre Arbeit in den Betrieben niedergelegt, so dass es annähernd 200 Frauen waren.

Über diese Arbeitsniederlegungen gibt es Namenslisten und die Zahl wäre wohl noch größer gewesen, hätten nicht einige Betriebsinhaber ihren Arbeiterinnen die Teilnahme kategorisch untersagt.

Landrat verständigt Gestapo

Was nun geschah, ist nur durch einen Bericht des Landrats an den Innenminister vom März 1942 überliefert. Der Balinger Landrat schickte den Leutnant der Gendarmerie mit einigen Gendarmen nach Geislingen und verständigte die Außenstelle Oberndorf der Geheimen Staatspolizei. Der Landrat fuhr dann in Begleitung des Kreisleiters nach Geislingen. Sie erreichten den Ort, als die Gestapo gerade angekommen war. Sogleich wurde gegen die Frauen mit Gewalt vorgegangen. Sie wurden auseinandergetrieben, es wurde auf sie eingeschlagen, Blut floss, die Frauen erhielten Tritte und Schläge. Auch vom Einsatz von Knüppeln wird berichtet.

Es gibt Verhaftungen

Es kam zu Verhaftungen; mindestens drei Frauen wurden festgenommen und acht Tage lang in Oberndorf in Gewahrsam gehalten mit der Begründung: Gebrauch beleidigender Ausdrücke. Es gibt weitere Hinweise auf Verhaftungen von 17 Frauen im Arrest in Balingen.

Der Bericht des Landrats an den Innenminister lautet dagegen wie folgt: Die Beamten haben aus den schimpfenden Frauen einige herausgegriffen und dank ihrer Überredungskunst sei es gelungen, die Frauen zum Verlassen des Platzes zu bewegen. Von Schlägen und Tritten erwähnte er nichts. Der Landrat nannte dem Innenminister die Zahl von 160 Frauen, die von der Gestapo „unterschriftlich gebührenfrei verwarnt“ worden seien.

Pfarrer wird auch verhört

Auch der Pfarrer wurde verhört, obwohl sie nichts gegen ihn in der Hand hatte. Dass Frauen selbst so aufbegehrt hatten, ohne Anleitung oder Unterstützung von Männern erschien den männlichen Gegenübern ganz offenbar unvorstellbar oder gar etwas unheimlich – es passte jedenfalls keineswegs in ihr Weltbild.

Diese Erlebnisse müssen auch die junge Witwe Frida Straub zutiefst erschüttert und empört haben, denn einige Wochen später griff sie mutig zur Feder. Am 6. Januar 1942 wandte sich Frida Straub in dieser Sache an den Württembergischen Innenminister Christian Mergenthaler in Stuttgart – also noch vor dem Balinger Landrat, der mit seiner Version erst im März über die Geschehnisse berichtete.

Witwe äußert harsche Kritik

Ihr Brief enthielt harte Kritik an Teilen des Staatsapparats: „Die Behörde in Geislingen hat uns Frauen feige angelogen.“ Sie betonte besonders die Bedeutung des Kindergartens und der Schwestern für die Geislinger. Aber sie zeigte sich auch darüber entsetzt, wie Frauen, deren Männer, Söhne und Brüder im Krieg ihr Leben ließen, von Beamten und Behörden eben des Reiches, für das jene im Krieg standen, behandelt wurden.

Mütter boykottieren Kindergarten

Nach diesem Gewaltakt gegen die Frauen war jedenfalls klar: Körperlich waren sie unterlegen, der aktive Aufstand hatte zwar ein Zeichen gesetzt, doch zum Erfolg war er nicht gekommen. Die Frauen mussten ihr Vorgehen ändern. Nun blieb noch ein anderes Mittel: der Boykott des NSV-Kindergartens. Anfangs hatten die NSV-Schwestern nur ein einziges Kind zur Betreuung erhalten. Ende 1941 kamen etwa acht Kinder in den Kindergarten, ca. 140 waren es vor der Übernahme gewesen.

Drohungen laufen ins Leere

Das Ziel, in Geislingen einen gut besuchten NSV-Kindergarten einzurichten, war gescheitert. Etwa zehn Kinder besuchten diesen nämlich in den folgenden Jahren. Mehrfach wurde den Frauen gedroht, dass die Machthaber Mittel und Wege finden würden, die Geislinger unter den Daumen zu nehmen. „ Doch die Mütter blieben hart und ließen ihre Kinder zuhause. Schließlich wurden zwei der vier vor Ort eingesetzten NSV-Schwestern abgezogen und auch während der nächsten Jahre ließen sich die Frauen nicht beirren.

Nach dem Krieg Wiedereröffnung

Nach Kriegsende, Mitte Mai 1945, erhielt der Landrat in Balingen folgende Mitteilung: „Nach dem dringenden Verlangen der gesamten Geislinger Bevölkerung soll hier der Kindergarten wieder eröffnet werden, und zwar in der Form, wie er vor dem 1. Dezember 1941 bestand, indem die Kinder von katholischen Ordensschwestern betreut werden.“

Standhaftigkeit wird gelobt

Am 25. August 1945 konnte die Kinderschulschwester Eata abgeholt werden und kurz darauf, am 27. August, wurde der Kindergarten wieder eröffnet. Am Sonntag, den 26. August 1945, wurde zu diesem Anlass ein Gottesdienst gefeiert; die Mütter und ihre Kinder sowie heimgekehrte Männer waren anwesend. Der Pfarrer erinnerte vor allem auch an die Standhaftigkeit der Geislinger Frauen. Die Schwesternchronik berichtet: „Er lobte den Mut und die Glaubenstreue der Geislinger Frauen, die standgehalten haben, auch in der schwersten Zeit.“ Wie wahr!