Wenn keiner mehr über Syrien berichtet, ist dann dort kein Krieg mehr?

Von Sabine Stotz

Was wäre eigentlich, wenn man nicht mehr über Syrien berichten würde? Wäre dann dort kein Krieg mehr? „Ganz im Gegenteil“, erklärt Wolfgang Bauer, „es wird aber immer schwieriger in diesen Ländern zu recherchieren. Mittlerweile verschlingt etwa 70 bis 80 Prozent der Zeit die sogenannte Logistik – also der organisatorische Aufwand dort“.

Wenn keiner mehr über Syrien berichtet, ist dann dort kein Krieg mehr?

Der Journalist Wolfgang Bauer berichtete unter anderem über Syrien.

Die vom ZOLLERN-ALB-KURIER und der Volkshochschule Balingen gemeinsam veranstaltete Matinée im Café „Ce La Vie“ am vergangenen Sonntagmorgen stieß auf großes Interesse. Der mehrfach preisgekrönte Reporter schilderte zunächst auf äußerst sympathische Weise seinen Lebenslauf vom Lokaljournalisten beim Schwäbischen Tagblatt bis zu seiner heutigen Tätigkeit als Reporter bei der Zeit.

Marita Linder-Schick interviewt Bauer

Im Interview mit Marita Linder-Schick von der Volkshochschule Balingen, erzählte er von seiner Zeit als Kriegsberichterstatter im syrischen Homs, kurz vor der Bombardierung der Stadt, die den so genannten Islamischen Staat (IS) erstarken ließ. Diese wiederum hatte viele Syrer zur Flucht in die Nachbarländer oder auch ins Ausland gezwungen.

Vor etwa eineinhalb Jahren sei er zuletzt in Rakka gewesen. Sowohl er, als auch viele Kollegen und Nahost-Experten hatten bereits vor der Bombardierung auf die Gefahr einer Eskalation hingewiesen. Wie sich heute zeigt zu recht.

Auf die Frage von Marita Linder-Schick, ob es denn für jenen Konflikt dort überhaupt noch eine Lösung geben könne, machte er einmal mehr deutlich, dass das Einrichten einer Flugverbotszone im Jahre 2013 die letzte verpasste Chance dafür gewesen wäre. Wer konnte, sei damals geflohen. Geblieben seien nur die Ärmsten der Armen und diese seien auch die Bevölkerungsgruppe, bei der die Ideologie des „Daesh“ auf fruchtbaren Boden fällt. „Daesh“ nennen die Franzosen die Gruppierung, die bei uns unter dem Namen IS bekannt ist.

Weshalb der IS den Begrif „Daesh“ ablehnt

„Daesh“ jedoch ist ein Begriff, den der IS ablehnt. Im Arabischen kann das Wort verschieden gebraucht werden. Beispielsweise bezeichnet Daesh/Daish Leute als „Fanatiker“, „jemand, der anderen seinen Willen aufzwingt“ oder „jemand, der Zwietracht sät“. Damit will die Terrorgruppe nicht in Verbindung gebracht werden.

Nach einer kurzen Analyse der aktuellen politischen Situation befragte Marita Linder-Schick den Gast nach den von ihm verfassten Büchern „Die geraubten Mädchen – Boko Haram und der Terror im Herzen Afrikas.“ Und seinem neuesten Buch „Bruchzone“ in dem es um Krisenreportagen geht. Nachdem er daraus eine Passage zum Krieg in Syrien vorgelesen hatte, trat zunächst nachdenkliche Stille bei den Zuhörern ein.

Soziale Wüste Deutschland

Ebenso nachdenklich zeigte sich die interessierte Zuhörerschaft, als Bauer von der „sozialen Wüste“ Deutschland sprach. Hier im Land herrsche zwar häufig keine existenzbedrohende, materielle Not, dafür erlebe er aber zunehmend eine Vereinzelung, die immer öfter in Selbstmord ende.

In der sich an das Interview anschließenden Fragerunde wurde die drängende Frage aufgeworfen, was der Einzelne hier in Deutschland tun könne. Abschließend wies Wolfgang Bauer im Einzelgespräch auf die Organisationen „ La Maison de Journalistes“ und „Reporter ohne Grenzen“ hin. Beide Organisationen bieten verfolgten Journalisten vorübergehend Wohnungen in politisch stabilen Ländern Europas an, damit diese sich ausruhen und anschließend wieder ihrer Arbeit nachgehen können. Finanziert wird das über Spenden.

Appell an die Menschlichkeit

Damit eben alle wissen: Es ist noch Krieg in Syrien – auch wenn dieser Krisenherd nicht mehr als erster Tagesordnungspunkt auf der außenpolitischen Agenda steht. „Die Außenpolitik ist einer der undemokratischsten Bereiche in Deutschland überhaupt. Wir müssen uns schon fragen: Was sind unsere außenpolitischen Interessen?“, schloss Wolfgang Bauer seine Ausführungen. Verbunden mit einem Appell an die Menschlichkeit und ein gutes Miteinander aller.