Was dürfen Medien zeigen? So spannend war die Diskussion in der Balinger Stadthalle

Von Michael Würz

Katastrophen, Leid und Tod – oder heile Welt? Experten debattierten in Balingen, was Medien zeigen dürfen. Und was sie zeigen müssen.

Was dürfen Medien zeigen? So spannend war die Diskussion in der Balinger Stadthalle

Sie waren Gegenstand der Diskussion: drastische Fotos aus dem World Press Photo Contest.

Den Machern der World-Press-Photo-Ausstellung war es gelungen, am Mittwochabend namhafte Fachleute auf die Bühne des kleinen Saals der Stadthalle zu bekommen: Die Fernsehjournalistin Christiane Brehl diskutierte mit dem Chefredakteur der Südwest Presse, Ulrich Becker, dem mit mehreren Preisen ausgezeichneten Fotografen Ingmar Nolting, dem Professor für Fotografie an der Hochschule Mainz, Stefan Enders, und Dr. Giovanni Panno, der am Balinger Gymnasium Ethik und Philosophie unterrichtet.

Schwierige Entscheidungen

Es sind Fotos wie die des kleinen Flüchtlingsjungen Aylan, dessen Leichnam 2015 an der türkischen Mittelmeerküste angeschwemmt worden war, um die Verantwortliche in den Medienhäusern jeden Tag ringen. Das Foto ging seinerzeit um die Welt; die Südwest Presse hatte es nicht gedruckt. „Wir hatten uns nach einer langen Diskussion in der Redaktion dafür entschieden, ein distanzierteres Foto zu zeigen, auf dem Polizisten den Jungen abtransportierten und auf dem nur noch dessen Beine zu sehen waren“, erklärte SWP-Chefredakteur Ulrich Becker. Der aber auch sagt: „Aus heutiger Sicht war das vielleicht ein Fehler.“

So erhielten die Besucher am Mittwochabend einen gleichermaßen spannenden wie seltenen Einblick in die schwierigen ethischen Abwägungen, mit denen Journalisten im Alltag konfrontiert sind. Durch das Internet, betont Becker, seien die klassischen Medien massiv unter Druck geraten. „Alles ist heute viel schneller geworden“, schilderte der Chefredakteur. Was ein heikles Problem mit sich bringe: „Wir haben gar nicht mehr die Zeit, alle Fotos aus Krisengebieten genau zu verifizieren.“

Gedruckt wird nur, was verifizierbar ist

Für Becker ist aber klar: Gibt es Zweifel an der Glaubwürdigkeit eines Fotos, könnte es gar manipuliert sein, „drucken wir es nicht“. Aufgabe der klassischen Medien sei es, hier „als Bastion dagegenzuhalten“. Für den Philosophen Dr. Giovanni Panno steht gleichwohl außer Frage, dass Fotos auch dann ihren Weg in die Medien finden müssen, wenn sie schwer zu ertragen sind: „Nur so bleiben die Krisen der Welt im kollektiven Gedächtnis.“ Panno sieht aber auch ein allgegenwärtiges Dilemma: „Durch die Vielzahl an krassen Fotos in den Medien stumpfen wir ab.“

Journalisten stünden deshalb vor der Herausforderung, Fotos so auszuwählen, dass sie beim Betrachten eine emotionale Bindung hervorrufen. Was auf dem Podium nicht nur einmal die spannende Frage aufwarf: Ist es überhaupt Aufgabe von Journalisten, Emotionen zu wecken? Oder sollten sie die Wahrheit möglichst nüchtern zu Papier bringen? Und wie gehen Fotografen mit schrecklichen Ereignissen um? Sollten sie draufhalten oder sich zurückziehen?

Im Zweifel fotografieren

„Ich würde ein solches Foto immer machen, mir aber gut überlegen, ob ich es veröffentliche“, sagt Ingmar Nolting, der Mann aus der Praxis. „Als Fotograf bin ich derjenige, der anderen Menschen die Geschichte erzählen kann, die ich gerade erlebe.“ Dem pflichtete auch Professor Stefan Enders bei, der einst als Stern-Fotograf beim G8-Gipfel in Genua einen von der Polizei erschossenen Demonstranten fotografierte. „Als Fotograf muss ich das Foto immer machen, ich weiß ja in dem Moment noch gar nicht, was da für ein Beweismoment dahintersteckt.“

Die Experten auf dem Podium waren sich jedoch einig: Pressefotos sollten nicht in erster Linie besonders brutal sein, sondern immer dem Thema dienen – und uns die Krisen der Welt nicht vergessen lassen.