Zollernalbkreis

Was die Erdbebenserie im Zollernalbkreis zu bedeuten hat – und was nicht

28.01.2020

von Jens Skapski

Was die Erdbebenserie im Zollernalbkreis zu bedeuten hat – und was nicht

© Google Maps/Aero West, GeoBasis

Das Epizentrum: vom Zollersteighof (rechts) in Richtung Bisingen.

Um kurz nach 23 Uhr hat am Montagabend die Erde gebebt: Mit einer Magnitude von 3.6 auf der Richterskala war es das vorerst stärkste Beben der aktuellen Serie im Zollernalbkreis. Das Erdbeben war weithin zu spüren – Meldungen gibt es etwa aus Stuttgart, aber auch aus der Schweiz. Der Erdbebenexperte Jens Skapski analysiert für den ZOLLERN-ALB-KURIER das Geschehen – und beantwortet aktuelle Fragen unserer Leser.

Führt eine Erdbebenserie zu einem stärkeren Erdbeben oder nicht? Diese Frage wird wohl bis in alle Ewigkeit nicht zu beantworten sein, so relevant die Antwort auch wäre. Bestenfalls kann man eine ganz grobe Wahrscheinlichkeit angeben, die aber ebenfalls nicht sehr aussagekräftig ist.

So kann eine monatelange Erdbebenserie (wie zum Beispiel in der türkischen Provinz Elazig) ein katastrophales Beben ankündigen. Oder einfach nur dazu führen, dass man schlechter einschläft.

Unangenehm, aber ungefährlich

Das Erdbeben zwischen Albstadt und Bisingen am 27. Januar fällt in die letzte Kategorie. Mit Magnitude 3.6 und einer Herdzeit von 23.05 Uhr lässt es sich als unangenehm, aber ungefährlich beschreiben. Es ist das zweite Beben im oberen Magnitude-3-Bereich im Zollernalbkreis innerhalb weniger Monate.

Dem Erdbeben ging eine markante Vorbebenserie voraus, die am selben Tag gegen 2 Uhr morgens begann und im Laufe des Tages mindestens 20 Vorbeben über Magnitude 1 hervorbrachte. Das stärkste mit Magnitude 2.4 wurde nur Sekunden vor dem mutmaßlichen Hauptbeben registriert (nein, Fragen, ob dies tatsächlich das Hauptbeben war, oder noch etwas Größeres nachkommt, sind ebenfalls nicht beantwortbar).

Was das Bisingen-Beben außergewöhnlich macht

Nicht nur die Vorbebenserie ist auffällig beim Bisingen-Erdbeben. Trotz vergleichsweise geringer Magnitude war es erstaunlich weit spürbar, fast in ganz Baden-Württemberg und in Teilen der Schweiz. So umfasste das Schüttergebiet neben dem Zollernalbkreis Teile des Donautals, den zentralen Schwarzwald, Teile von Hoch- und Oberrhein sowie einige Städte entlang des Neckars einschließlich der Landeshauptstadt Stuttgart.

Es zeigt sich also ein ungleichmäßig orientierter Schütterradius von rund 90 Kilometern bei einer Maximalintensität von IV (was das genau bedeutet, lesen Sie hier auf erdbebennews.de), die sich auf Balingen, Hechingen, Albstadt und Mössingen beschränkt.

Zu später Stunde wird das Erdbeben gut wahrgenommen

Was man bei einem Erdbeben dieser Stärke nicht alle Tage sieht, lässt sich zumindest zum Teil durch die Uhrzeit des Erdbebens erklären. Während viele Menschen im Bett oder auf der Couch liegen und sich generell in einer ruhigen Umgebung befinden, sind die geringfügig wahrnehmbaren Symptome des Erdbebens wie leichte Vibrationen, eventuell klirrende Gläser und ein leichtes Grollen deutlich besser wahrnehmbar, als wenn man tagsüber am Bahnhof auf den Zug wartet. Diese minimalsten Auswirkungen eines Erdbebens waren es, die von einzelnen Bewohnern von Ludwigsburg, Karlsruhe, Rastatt und Waldshut-Tiengen verspürt wurden.

Das Schüttergebiet lässt sich gut darstellen

Mehr als 200 Zeugenmeldungen sind zu diesem Erdbeben eingegangen. Auf Basis dieser Daten konnte das Schüttergebiet des Erdbebens relativ genau ermittelt werden, wobei es aufgrund der großen Ausdehnung noch gewisse Unsicherheiten gibt. Auf folgender Karte sind die berechneten Intensitäten (farbige Flächen) auf Basis der Zeugenmeldungen sowie die Zeugenmeldungen selbst (farbige Kreise) mit entsprechender Intensität angegeben.

Was die Erdbebenserie im Zollernalbkreis zu bedeuten hat – und was nicht

© Schweizerischer Erdbebendienst

Hier war das Erdbeben zu spüren.

Deutlich erkennbar die Ausdehnung nach Norden, Süden und Westen mit jeweils lokalen Wahrnehmungen entlang des Rheins, in einigen Schwarzwaldtälern sowie rund um Stuttgart. Nach Osten hingegen scheint die Ausdehnung deutlich geringer zu sein, nur wenige Meldungen von dort liegen vor. In der Berechnung konnte dies jedoch nur teilweise berücksichtigt werden.

Überraschende Meldungen kommen aus dem Schwarzwald

Besonders aus dem Schwarzwald gibt es einige doch recht überraschende Meldungen. Diese sind vor allem akustischer Natur und hängen mit den Geräuschen zusammen, die Erdbebenwellen von Lokalbeben beim Durchqueren des Gebirges machen. Effekte, die bei vielen Lokalbeben im Schwarzwald und Umgebung beobachtet wurden.

Verstärkte Wahrnehmungen (nicht nur akustisch) gibt es zudem entlang des Hochrheins sowie in angrenzenden Teilen der Schweiz (hier nicht berechnet). Auch in der näheren Epizentralregion zeigen sich einige Muster:

Was die Erdbebenserie im Zollernalbkreis zu bedeuten hat – und was nicht

© erdbebennews.de

Zeugenmeldungen zum Erdbeben am Montagabend.

Die höchste Intensität wurde nicht direkt am Epizentrum in Bisingen, sondern aufgrund geologischer Bedingungen Richtung Nordwesten sowie in den Ortszentren von Albstadt verzeichnet. Dort wurden zudem in einem Fall kleinere Schäden in Form von sich vergrößernden Rissen in Fliesen gemeldet. Strukturelle Schäden gab es jedoch nicht.

Zunächst gibt es keine Nachbeben

Fehlende Nachbeben überraschten angesichts der Vorbebensequenz ein wenig: In der Nacht zum Dienstag wurden zunächst keine Nachbeben gemesen. Um 6.08 Uhr registrierte der Landeserdbebendienst im Regierungspräsidium Freiburg dann ein leichtes Nachbeben mit der Magnitude 1.4, ein noch leichteres mit der Magnitude 0.8 bereits zuvor.

In der Regel können von Beben der Stärke 3.6 Nachbeben bis etwa 2.5 erwartet werden. Sie können auch in der direkten Umgebung des Epizentrums verspürt werden, müssen jedoch nicht innerhalb von Stunden auftreten, sondern können auch Tage oder Wochen später passieren (so wie beim Erdbeben am 4. November) – oder aber überhaupt nicht.


Vorhersagen sind nicht möglich

Was in den kommenden Wochen passieren wird, ist (wie eingangs erwähnt) nicht vorhersehbar. Generell kann man sagen, dass Phasen mit erhöhter Erdbebenaktivität im Zollernalbkreis bekanntermaßen nicht unüblich und kein unmittelbares Anzeichen eines bevorstehenden großen Erdbebens sind.

Die kleineren Erdbebenserien sowie die zwei größeren Beben der letzten Monate können genauso gut für eine längere Zeit die letzten deutlicheren Lebenszeichen der Albstadt-Scherzone sein.

Ein Rhythmus lässt sich nicht wissenschaftlich belegen

Auch der vermeintliche 35-Jahres-Rhythmus, der starken Zollernalb-Beben wie in den Jahren 1911, 1943 und 1978 gerne nachgesagt wird, hat keine Aussagekraft. Schließlich muss man berücksichtigen, dass das letzte starke Erdbeben vor dem Jahr 1911 nicht bekannt ist.

Das heißt: Wenn man den Rhythmus auf das viertletzte Erdbeben erweitert, könnte sich schnell ein Durchschnitt von mehreren Jahrhunderten zwischen einzelnen Erdbeben ergeben. Es ist also ebenso möglich, dass in diesem Jahrtausend kein schweres Erdbeben auf der Schwäbischen Alb mehr passiert.

Ein Indiz, aber kein unmittelbarer Grund zur Sorge

Dennoch sollten die immer wieder auftretenden Beben als Indiz genommen werden, dass schwere Erdbeben überall in Baden-Württemberg jederzeit möglich sind. Ein unmittelbarer Grund zur Sorge sind sie aber nicht.

Unser Gastautor

Jens Skapski, 25, studierte an der Ruhr-Universität Bochum zunächst Geowissenschaften (Bachelor of Sciences) und spezialisierte sich später auf Erdbebenphysik und -gefährdung. Seit Sommer 2019 arbeitet er als Data Analyst in Karlsruhe. Er betreibt das vielbeachtete Internetportal erdbebennews.de.

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