Geislingen

War Familienstreit Auslöser für die Binsdorfer Bluttat? Gutachter hält Angeklagten für schuldfähig

15.10.2019

Von Rosalinde Conzelmann

War Familienstreit Auslöser für die Binsdorfer Bluttat? Gutachter hält Angeklagten für schuldfähig

© Rosalinde Conzelmann

Auch am dritten Prozesstag wurde die Öffentlichkeit bei der Befragung des Angeklagten ausgeschlossen.

Am dritten Prozesstag im Binsdorfer Mordprozess haben die Kinder und seine ehemalige Lebensgefährtin den Angeklagten als guten Vater und fürsorglichen Partner beschrieben. Die rechtsmedizinische Gutachterin bestätigte den Mordvorwurf. Der Messerstich war die Ursache, die letztendlich fortwirkte bis zum Tod.

Es war ein anstrengender Verhandlungstag für alle Prozessbeteiligten, an dem die Notärztin, der Leiter des Pflegeheims, in dem das Opfer drei Monate nach dem Messerangriff verstorben ist, die ehemalige Lebensgefährtin des Angeklagten, seine beiden Kinder sowie der psychiatrische und rechtsmedizinische Gutachter gehört wurden.

Zudem wurde der Angeklagte erneut nichtöffentlich befragt.

„Warum hat er das getan?“

Die Notärztin, die am 24. März um 8.08 Uhr alarmiert wurde, leistete die Erstversorgung des 80-jährigen Opfers, bis der Hubschrauber eintraf.

„Warum hat er das getan“, habe die lebensgefährlich verletzte Frau gesagt, berichtete die Zeugin. Und, dass sie nicht mehr leben wolle.

Zustand verschlechterte sich

Nach ihrem Krankenhausaufenthalt war das Opfer ab dem 4. Juni in einem Pflegeheim untergebracht. Dessen Leiter schilderte, wie rapide sich der Gesundheitszustand der von den Folgen der Messerattacke gezeichneten Frau verschlechterte.

Sie sei sehr schwach gewesen, habe weder stehen noch laufen können und die Nahrung verweigert. Gemeinsam mit der Tochter habe man sich darauf geeinigt, diese Verweigerung zu akzeptieren und sie nicht zu zwingen, zu essen und zu trinken.

Ihre Tochter und die beiden Enkel seien bei ihr gewesen, als sie am 26. Juni verstorben ist.

Ein zweigeteiltes Bild

Fürsorglich, liebevoll, aber auch wankelmütig, überfordert und betrübt – mit diesen Worten beschrieben die ehemalige Lebenspartnerin und die beiden Kinder den Angeklagten.

Seine ehemalige Partnerin bezeichnete ihn als einsamen Wolf, der unter den Streitigkeiten mit seiner Schwester gelitten habe. Das Paar, das eine fünfjährige Fernbeziehung führte, trennte sich nur kurze Zeit vor der Tat einvernehmlich.

Streit über Betreuung der Mutter

Ihr Partner sei überfordert gewesen mit sich und seinen überzogenen Ansprüchen an sich selbst. „Er wollte immer erfolgreich sein und hat es dann nicht hingekriegt“, meinte sie.

Anderseits sei er mit vielen Talenten ausgestattet: „Er ist eigentlich ein genialer Mann.“

Anfang des Jahres seien Briefe von seiner Schwester gekommen, die ihn unter Druck gesetzt hätten. Dabei ging es um die Betreuung seiner Mutter. Seine Schwester habe darüber aber nicht persönlich mit ihm reden wollen. „Er war so machtlos“, erzählte sie und mutmaßte, dass Mutter und Tochter Probleme miteinander hatten.

Er wirkte betrunken

Am Samstag vor der Tat hätten sie noch telefoniert. Er sei betrübt gewesen und habe ihr von Angst- und Panikattacken berichtet. Zudem habe er betrunken gewirkt, obwohl er sonst keinen Alkohol getrunken habe.

„Ich habe mir große Sorgen gemacht“, schilderte die 54-Jährige ihre damaligen Gefühle. Sie hat dann erst wieder am Sonntag von ihm gehört über eine SMS. Darin stand: „Ich werde gleich verhaftet und wünsche Dir ein besseres Leben.“

Der 24-jährige Sohn und auch die 20-jährige Tochter des Angeklagten bestätigten, dass es Streit mit der Schwester ihres Vaters wegen der Betreuung ihrer Oma gegeben habe.

„Papa wollte Oma helfen“

Diese habe mehrfach geäußert, dass sie mit der Pflege des Hauses überfordert sei und ihr alles zu viel werde. „Papa hatte das Ziel, Oma zu helfen“, meinte der Sohn.

Allerdings habe es Streit gegeben, weil die Tante dann keine Bleibe mehr gehabt hätte, wenn ihre Mutter in eine Wohnung gezogen wäre. „Oma war verunsichert und wollte nichts falsch machen“, meinte der 24-Jährige.

Ihre Tante habe den Vater schriftlich angegriffen und diese Briefe auch an sie geschickt. Das habe ihren Vater sehr belastet.

Der 24-jährige Zeuge bestätigte auf Nachfrage von Richter Hannes Breucker, dass am Freitag vor der Tat der Satz „So, Mutter muss jetzt sterben“ gefallen sei.

Gutachterin referiert

Dr. Adina Schweickhardt, rechtsmedizinische Gutachterin, bezeichnete die Verletzungen des Opfers als lebensgefährlich. Bei dem Stich in die Bauchmitte seien die Leber, die Bauchspeicheldrüse und eine Vene verletzt worden.

Dass es nur ein Stich gewesen ist, wie es der Angeklagte in seinem Geständnis dargelegt hatte, hält die Gutachterin für plausibel.

Die leichten Verletzungen an den Händen ließen auf Abwehrbewegungen schließen, erklärte sie. Ohne eine ärztliche Versorgung wäre der Tod in ein bis zwei Stunden eingetreten, lautete ihre Schätzung.

Ausführlich erläuterte sie den Obduktionsbericht, der den schlechten körperlichen Zustand des Mordopfers offenbarte, das nach der Messerattacke noch vier Mal operiert worden ist.

Als die 81-Jährige starb, wog sie noch 38 Kilogramm. Als Todesursache nannte die Gutachterin eine beidseitige Lungenentzündung als Folge einer Bettlägerigkeit.

Ein unnatürlicher Tod

Und dieser Zustand wäre ohne den Messerstich nicht eingetreten, stellte sie klar: „Es ist ganz klar ein unnatürlicher Tod.“

Depression als Lebensbegleiter

Dr. Ralph Schulte, Facharzt für Psychiatrie, hat den Angeklagten zweimal ambulant begutachtet und stellte eine emotionale Störung in der Kindheit und Jugend fest. Der Angeklagte habe unter der Gewalterfahrung durch den Vater und einer Zurückweisung in der Familie gelitten.

Es liege aber keine Persönlichkeitsstörung vor. Der Angeklagte leide jedoch an Depressionen in unterschiedlicher Stärke, je nach Lebenssituation.

Die Mutter war die Übeltäterin

Die Tat deute auf eine Autoaggression hin, die Tat erlebe der Angeklagte wie eine Projektion des eigenen Versagens. „Die Mutter war für ihn die Übeltäterin“, erklärte der Mediziner, der das Verhalten am Tatmorgen als logisch, zielgerichtet und planvoll beschrieb.

Der Angeklagte neige dazu, sein eigenes Versagen auf andere zu projizieren. Sein abschließendes Urteil: „Eine Depression bestand, aber nicht so gravierend, dass die Schuld- und Steuerfähigkeit eingeschränkt ist.“

Ebenso schloss der Gutachter eine dissoziative Störung aus.

Weil der Psychiater nicht ausschließen konnte, dass der Angeklagte sich etwas antut, bat er darum, dass er nach der Lockerung wieder in eine Gemeinschaftszelle kommt. Der Angeklagte intervenierte dagegen, er brauche Zeit für sich.

Sicherheitsmaßnahmen treten wieder in Kraft

Das Gericht entschied, dass die Sicherheitsmaßnahmen vorläufig wieder in Kraft gesetzt werden. „Ich verspreche Ihnen, dass wir in Absprache mit der Anstaltsleitung eine individuelle Lösung für Sie finden werden“, richtete Dr. Breucker das Wort an den Angeklagten.

Das Urteil wird voraussichtlich am 21. Oktober gesprochen.

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