Von Schwefelwasser und Badehäusern: Warum man früher zur Kur nach Balingen reiste

Von Lydia Wania-Dreher

Fast hätte es ein Bad Balingen gegeben. Wieso und warum dann doch nicht, weiß Dr. Ingrid Helber. Die Historikerin forschte in den vergangenen Wochen zur Balinger Bäderkultur und mahnt, die steinernen Zeugen dieser Zeit zu erhalten.

Von Schwefelwasser und Badehäusern: Warum man früher zur Kur nach Balingen reiste

Dr. Ingrid Helber hat in den vergangenen Wochen zur Balinger Badegeschichte geforscht.

Was passiert mit dem Gebäude, in dem sich derzeit noch das Jugendhaus Insel befindet? Laut Oberbürgermeister Helmut Reitemann hat eine Untersuchung im Jahr 2017 gezeigt, dass dessen Statik und das Gewölbe problematisch sind. Eine Sanierung lohne sich daher wirtschaftlich nicht.

Dabei ist das Gebäude – die frühere Gaststätte Schwefelbad – eines der letzten baulichen Zeugen der Balinger Bäderkultur. Daher ist dem Bürgerverein sehr daran gelegen, das Haus und auch das angeschlossene Kino zu erhalten.

Welche Bedeutung das „Schwefelbad“ und seine Vorgänger für Balingen hatten, recherchierte Dr. Ingrid Helber in den vergangenen Monaten intensiv in verschiedenen Archiven.

Schon 1490 gab es eine Badstube

Die früheste Erwähnung auf die Dr. Helber in diesem Zusammenhang stieß, ist ein Dokument aus dem Stuttgarter Staatsarchiv von 1490. Darin ist eine obere Badstube in Balingen erwähnt, auf der ein Turm stand. Die Historikerin aus Frommern vermutet, dass es sich dabei um eine Einrichtung in einem Turm der Stadtbefestigung gehandelt hat. Welcher dies war und wo sich dieses Balinger Bad genau befand, konnte sie bisher noch nicht herausfinden.

Sicher ist jedoch, dass Balingen ein Süßwasserproblem hatte. Denn die wenigen Quellen die da waren, scheinen zu schwach gewesen zu sein, um die ganze Stadt mit frischem Wasser zu versorgen.

Einzig weniger sauberes Bachwasser war genügend vorhanden. Es wurde am Wasserfall der Steinach angestaut und in einem kleinen Kanal durch die Stadt geleitet. Der heutige Bachlauf in der Fußgängerzone zeichnet ein kurzes Stück davon nach.

Mensch und Tier tranken Schwefelwasser

Auf der Suche nach geeigneten Quellen stieß man auf Schwefelquellen. Diese plätscherten reichlich und so trank die ganze Stadt – Mensch und Tier – das mineralhaltige Wasser, das etwas nach faulen Eiern riecht.

Das hatte auch Vorteile. „Wenn Linsen in Schwefelwasser gekocht werden, sollen sie besser verdaulich sein“, weiß Dr. Ingrid Helber. Aber es hatte noch andere positive Effekte. So wird in historischen Dokumenten beschrieben, dass es in Balingen so gut wie keine Hautkrankheiten wie Fechte oder Krätze gab – dem Schwefelwasser sei Dank.

Auch die Menschen, die in wollverarbeitenden Betrieben gearbeitet haben, hätten im Gegensatz zu denen in anderen Städten keine Blessuren an der Haut gehabt.

Kurgäste aus der Schweiz

Die gesundheitsfördernde Wirkung des Schwefelwassers war schon länger bekannt und bald kamen Menschen von weit her, um in Balingen gesund zu werden. „Man hat damals richtige Badekuren gemacht“, erklärt Dr. Ingrid Helber. Sogar aus der Schweiz kamen Patienten über die sogenannte Schweizer Straße an den Fuß der Schwäbischen Alb.

Von der Wichtigkeit dieses Badeorts zeugt die Doktorarbeit im Fach Medizin von Benedictus Christophilus Duvernoy, dem Sohn des damaligen Balinger Dekans. Er schrieb 1736 über die Schwefelquellen in Balingen und Reutlingen.

Im Jahr 1802 untersuchte dann Georg Ludwig Offterdinger, ebenfalls im Rahmen einer medizinischen Doktorarbeit, die Zusammensetzung des Balinger Schwefelwassers und deren Reaktion mit anderen Stoffen. „Es war sehr viel Schwefel drin“, fasst Dr. Helber es kurz zusammen.

Sie fand heraus, dass nach dem Stadtbrand 1724 das Badehaus in die Nähe des heutigen Jugendhauses verlegt wurde. Aber nicht genau an den jetzigen Standort, sondern direkt auf der gegenüberliegenden Seite der Steinach.

Die Kurgäste aus nah und fern blieben auch schon mal bis zu 50 Tage in der Stadt. Währenddessen wohnten sie in den Balinger Wirtshäusern, was für diese ein lukratives Geschäft war. „Man sollte das Wasser vor und nach dem Frühstück sowie am Abend trinken“, so die Historikerin. Zudem empfahlen die Ärzte ein- bis zweimal täglich darin zu baden. Erst zehn Minuten und dann immer länger bis zu einer Stunde.

Neben Hautkrankheiten wurden so auch rheumatische Beschwerden, schmerzhafte Blasenentleerung und Verdauungsprobleme behandelt.

Im Jahr 1880 baute man dann im früheren Badgarten das neue Schwefelbad, das bis heute steht. In dem zweistöckigen Gebäude befand sich damals die Gaststätte mit Kegelbahn. Davor lag das einstöckige Badehaus mit zehn Badekabinetten und einem Kesselhaus, in dem das Wasser erwärmt wurde.

Um 1890 sprach sich Stadtschultheiß Eisele dafür aus, die Stadt in Bad Balingen umzubenennen.

Bad Sebastiansweiler als Konkurrenz

Doch es kam anders. Ein Tübinger Arzt errichtete in Sebastiansweiler ein modernes Badehaus mit schicken Unterkünften und fortan wurde der Ort als Bad bezeichnet. Das führte dazu, dass in Balingen die Gäste weniger wurden. Man verpasste, zudem die örtliche Badeanstalt entsprechend zu modernisieren.

Doch bis 1970 wurde der Badebetrieb an der Steinach noch aufrechterhalten. Dann riss man das einstöckige Gebäude ab.

Heute zeugt außer dem „Schwefelbad“ und der angrenzenden Badstraße nicht mehr viel von dem früher florierenden Kurbetrieb in Balingen. Einzig aus dem Schwefelbrunnen an der Ecke Spitalstraße/Wilhelm-Kraut-Straße fließt noch das mineralische Wasser aus dem Maul eines Frosches.