Balingen

Vizepräsident des Europaparlaments Rainer Wieland zum Brexit: „Europa ist kein Rosinenkuchen“

15.09.2019

Von Renate Deregowski

Vizepräsident des Europaparlaments Rainer Wieland zum Brexit: „Europa ist kein Rosinenkuchen“

© Alexander Stoll

Von links: Martin Schäfer (Vertreter der Sparkasse Zollernalb), Heide Pick (Vorsitzende des Kreisverbands Zollernalb der Europa-Union Deutschland), Rainer Wieland und Landrat Günter-Martin Pauli.

Einblicke in die Funktionsweise und Aufgabengebiete des Europäischen Parlaments hat dessen Vizepräsident Rainer Wieland auf Einladung des Kreisverbands der Europa-Union Deutschland (EUD) in Balingen gegeben. Er beleuchtete aktuelle Vorgänge in der Europäischen Union, sah dabei die „Kernschmelze eines politischen Systems“ bei den Briten und bei den Deutschen einen möglichen Exportschlager.

Vor einigen Jahren hatte der EUD-Kreisverband Heinrich Haasis zum Europatalk geladen. Dass zur Fortsetzung der Reihe Rainer Wieland als Gastredner gewonnen wurde, freute Landrat Günther-Martin Pauli, denn Wieland sei quasi der Gründervater des Kreisverbands.

Aus dem Brexit wird ein Brexstop

Ein Jahrzehnt bekleidet der Rechtsanwalt mit Wurzeln im Schwabenland bereits das Amt des Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments und gehört mehreren Ausschüssen an. So hatte auch er die Europawahl im Mai genauestens im Blick. Als Grund für die seit Jahren erstmals gestiegene Wahlbeteiligung führte er die Vorgänge in Europa der vergangenen fünf Jahre an: „Die Bürger haben gemerkt, dass vieles nicht selbstverständlich ist.“

Zu diesen Vorgängen zählt etwa der Brexit, der sich immer mehr zu einem Brexstop entwickle, meinte Wieland. Einen positiven Effekt habe der Brexit gehabt: „Die EU ist in bemerkenswerter Weise zusammen gerückt.“ Nach seinen Ausführen überwiegen jedoch die negativen Auswirkungen.

Riss durch Großbritannien

Durch die Gesellschaft in England und Großbritannien ziehe sich ein Riss, den er mit Besorgnis beobachte. Das politische Hin- und Her der Engländer habe die „Kernschmelze eines politischen Systems“ zur Folge. Klar sei, dass ein harter Brexit Geld kosten werde. Vor allem Irland sei dabei der Verlierer.

Im Europäischen Parlament sei die Richtung klar, meinte Wieland: „Wir geben keine weiteren Rabatte. Europa ist kein Rosinenkuchen, war noch nie einer und wird auch keiner werden.“ Er selbst sei jedoch an einer Stelle großzügig, nämlich wenn es um zu gewährende Zeit bei vernünftigen Vorschlägen geht.

Weiter gab Wieland einen Einblick in die Zusammensetzung und die Aufgaben des Parlaments. Er betonte dabei, dass Anschuldigungen auch fälschlich gemacht werden. Bei der DSGVO etwa habe die deutsche Bundesregierung viel restriktivere Regeln angesetzt, als es vom EU-Parlament gewünscht worden sei. Die Österreicher hätten die Vorgaben besser umgesetzt, in dem sie etwa nicht-gewinnorientierte Einrichtungen von den Regelungen ausgenommen haben.

Die Deutschen müssen sich lockerer machen

Wieland sagte weiter, dass die Deutschen sich lockerer machen müssten. Raus aus der moralischen Opferrolle derjenigen, die ihrer Ansicht nach pro Kopf am meisten in Europa zahlen. Wie sich die Lage in Europa bei den aktuellen Negativzinsen entwickeln werde, könne auch er nicht abschätzen. Derweil könnten die Deutschen sich auf mögliche Exportschlager konzentrieren, nämlich indem sie das Modell der Volksbanken und Sparkassen in anderen europäischen Staaten bekannt machen und etablieren.

Generell müssten die Länder erkennen, dass jeder seine Interessen hat. Jedes Land habe zudem seinen Platz – auf der Landkarte und innerhalb der Geschichte. „Wir tun gut daran, Verständnis für die anderen zu entwickeln,“ betonte Wieland. Das gelte besonders auch für Deutschland: „Wir sind in der Mitte des Kontinents, können deshalb am meisten profitieren, aber auch am meisten verlieren.“

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