Balingen

Vier „Menschen von hier“ erzählen in Balingen aus ihrem Leben: „Glauben ist ein Geschenk“

09.07.2020

Von Nicole Leukhardt

Vier „Menschen von hier“ erzählen in Balingen aus ihrem Leben: „Glauben ist ein Geschenk“

© Rosalinde Conzelmann

Luise Lohrmann, Christoph Braunmiller, Lisa Maria Burger und Reinhold Schäfer gaben bei der Reihe "Menschen von hier" Einblicke in ihre Glaubenswelt.

Als ihr eine gute Freundin auf dem Friedhof das Grab zeigte, wo sie in wenigen Wochen, nach ihrem unausweichlichen Krebstod, beerdigt sein würde – dieser schwere Spaziergang war für Luise Lohrmann, der stellvertretenden Bürgermeisterin von Rosenfeld, ein prägendes Erlebnis. Am Mittwochabend erzählte sie offen und nahbar in der katholischen Kirche in Balingen, in welchen Momenten sie in ihrem Leben mit dem Glauben haderte und wie er ihr trotzdem im Alltag Geborgenheit und Heimat ist. Mit ihr in der Runde waren auch Balingens Bürgermeister Reinhold Schäfer, Pastoralassistentin Lisa Maria Burger und Engstlatts Pfarrer Christoph Braunmiller.

Dekanatsreferent Achim Wicker freute sich sichtlich, dass die Vortragsreihe „Menschen von hier“ nach den Corona-Beschränkungen wieder Menschen von hier zusammengeführt hat, natürlich unter den gegebenen Abstands- und Hygienevorgaben.

Er führte gemeinsam mit Monika Blocher von der Katholischen Erwachsenenbildung durch die Fragerunden, die den Teilnehmern spannende Einblicke in ihre Glaubenswelt und ihre Lebensgeschichten entlockten. Für den musikalischen Rahmen sorgte Tobias Conzelmann aus Meßstetten mit einfühlsamen Klavier- und Gesangsstücken.

Glaube als Saatgut

Dass Glauben wie eine Art Samen von Kindesbeinen an in einem Menschen keimen und aufgehen kann, diesen Eindruck vermittelte Balingens Bürgermeister Reinhold Schäfer. „Mich hat ein sehr christliches Elternhaus geprägt“, erzählte er.

Mit der Kirche direkt neben dem Haus und dem familiären Engagement für die Gemeinde war Schäfer immer nah dran am Thema Gläubigsein, und das nicht nur räumlich. Eine prägende Schulzeit in einem Franziskanerinternat habe den Glauben als ein Stück Heimat in ihm verankert, berichtete er.

Wesentlich prägendere Erlebnisse haben Luise Lohrmann zum Glauben gebracht. Nicht nur das streng-katholische Elternhaus, bei dem das Abendgebet ein festes Ritual war, haben sie geprägt. „Ich hatte zwei lebensbedrohliche Unfälle“, schilderte die Rosenfelderin, die mit ihrem Mann auf dem Jakobshof lebt, eindrücklich.

Beide Male habe sie auf die Macht der schon von ihrer Mutter beschworenen Schutzengel geglaubt und sei beidesmal nicht enttäuscht worden. „Ich habe ein tiefes Vertrauen und kann nicht weiter fallen als in die Hand von Gott“, fasste sie bildhaft zusammen.

„Glaube ist ein Geschenk“

Ganz anders und für einen Gottesmann beinahe untypisch schilderte hingegen Pfarrer Christoph Braunmiller seinen Weg zum evangelischen „Berufschristen“, wie er sich später am Abend mit einem Augenzwinkern selbst nannte. Das Elternhaus sei nicht besonders fromm gewesen.

„Mein Vater hätte Pfarrer werden sollen, ist aber vom Seminar abgehauen und lieber Werkzeugmacher geworden“, erzählte er mit einem Schmunzeln. Und an der Kinderkirche hätten ihn vor allem „die bunten Bildchen zum Sammeln“ begeistert.

Braunmillers Begegnung mit seinem Konfirmationspfarrer war es schließlich, die sein Auge für die Theologie geöffnet hatte. „Er hat Glauben nie mit Zwang oder Druck verbunden“, erinnerte er sich. Heute den Glauben in sich zu tragen, „das ist für mich ein Geschenk“, formulierte er.

Für Lisa Maria Burger schließlich war die Geburt der behinderten Schwester ein wichtiger Punkt auf dem eigenen Weg zur Gläubigkeit. „Ich habe oft gehadert mit der Frage, warum sie das treffen musste“, schilderte sie. Der Wunsch, selbst katholische Theologie zu studieren, reifte schließlich nach einem Umweg über zwei Semester Jura in ihr heran. „Ich habe davor beim Friedensdienst in Südafrika erlebt, wie lebendiger Glaube aussehen kann und das hat mir gefallen“, erzählte sie.

Corona hinterlässt auch beim Glauben Spuren

Dass die Corona-Pandemie bei den vier Gästen ganz unterschiedliche Auswirkungen gehabt hat, machte eine weitere Fragerunde deutlich. „Ich musste meine Mutter beerdigen mit gerade einmal zehn Gästen. Ich war wütend, es gab keinen Trost. Wer war da für mein seelisches Wohl da?“, machte Luise Lohrmann ihrem Ärger Luft, den auch ein nachgeholtes Requiem nicht mehr zu lindern vermag.

Pfarrer Braunmiller drückte sein Bedauern aus, schilderte aus seinem Alltag in des andere Erfahrungen: „Die Situation war bedrängend und bedrückend, aber trotzdem war ich dankbar, dass vieles umgesetzt werden konnte.“ Den Rückzug der Kirchen wollte er ausdrücklich nicht als ängstlichen Selbstschutz, sondern vielmehr als gelebte Rücksichtnahme verstanden wissen. „Wir wollten niemanden zurückweisen, wir mussten uns an die Vorgaben halten.“

„Bei mir hat die Angst regiert“

„Bei mir hat die Angst regiert“, gab Lisa Maria Burger unumwunden zu. Angst, sich und andere anzustecken „Aber dann habe ich mich gefreut, dass diese Pandemie auch kreative Entwicklungen vorangetrieben hat, wie zum Beispiel Gottesdienste auf instagram“, erzählte sie.

„Glauben ist Vertrauen“, fasste Reinhold Schäfer zusammen, was ihn durch die schlimmste Zeit der Pandemie getragen habe. Er, der beruflich bedingt damit beschäftigt war, täglich neue Verordnungen umzusetzen, habe doch immer wieder ruhige Momente gefunden, in sich zu gehen.

Zweifel am Glauben gehören dazu

Dennoch kennen alle vier auch Momente, in denen sie an ihrem Glauben zweifeln. „Ich habe den Glauben nie als Koffer empfunden, den man bei Bedarf aufmachen kann“, erklärte Braunmiller. Sein Beruf bringe immer wieder die Konfrontation mit Tod und Trauer mit sich, werfe Fragen auf, die am Glauben rütteln. „Doch immer wieder wird uns auch ein neues Türle aufgemacht.“

Für Lisa-Maria Burger war die Begegnung mit einer Prostituierten in Afrika ein prägender Moment, „da hatte ich einfach keine Worte mehr“, erinnerte sie sich. Momente, die Reinhold Schäfer als wichtig ansieht: „Man muss auch die Grenzen des eigenen Glaubens erleben und hadern, um wieder neues Vertrauen zu fassen“, sagte er. Antworten auf die Fragen nach dem Warum – „ich habe akzeptiert, dass es die nicht gibt“, fasste Luise Lohrmann zusammen.

Sie habe oft gezweifelt, weil enge Freunde viel zu früh sterben mussten, als ein katholischer Pfarrer ihren evangelischen Mann als Ehehindernis bezeichnet hatte und nicht zuletzt daran, dass Ökumene noch immer nicht die absolute Normalität sei. „Ich hoffe, da bewegt sich ganz oben mal etwas, denn unten funktioniert es längst“, sagte sie und Applaus brandete auf.

Glauben gehört mit Leichtigkeit in den Alltag

Die letzte Frage hatten alle vier Gäste eigentlich schon vorab beantwortet – ist Glaube Privatsache? „Mein Glauben lässt sich nicht von meinem Leben trennen“, fasste Lisa Maria Burger zusammen. Sie trage Gott immer in sich und sei Gesprächspartner für all diejenigen, die in Grenzsituationen nach Halt suchen.

Bürgermeister Schäfer betonte, er hole den Glauben in den Alltag, in dem er nach christlichen Prinzipien lebe.

Für Luise Lohrmann gehört das Tischgebet und das Eingebundensein in kirchliche Rituale zum Alltag und zum Leben. Und für den Pfarrer in der Runde? „Über den Glauben zu reden ist für viele das letzte Tabu“, erzählte er aus seinen Erfahrungen. Es gelte, das Thema mit Leichtigkeit zu behandeln und auch nach der Coronazeit nicht aus dem Alltag zu verlieren.

Damit die Erinnerung an den Abend nicht verloren geht, bekamen die Gäste von Achim Wicker und Monika Blocher Windlichter überreicht.

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