Viel Papierkrieg, wenig Perspektive: Die Kümmerer griffen ein, damit die Hilfen ankommen

Von Nicole Leukhardt

Ein leerer Kühlschrank, desaströse Wohnverhältnisse und keine Perspektive, wie es weitergehen soll: Das Team des Sozialkaufhauses Domiziel Zollernalb, für das wir in unserer ZAK-Weihnachtsspendenaktion sammeln, half mit seinen „Kümmerern“ einer alleinerziehenden Mutter von fünf Kindern, schnell auf die Beine zu kommen.

Viel Papierkrieg, wenig Perspektive: Die Kümmerer griffen ein, damit die Hilfen ankommen

Einen Wust an Unterlagen galt es bei der alleinerziehenden Mutter, die die Dokumente nicht verstehen konnte, zu sichten und zu sortieren.

Nathalie Hahn und Peter Blechmann, Leiter des Sozialkaufhauses und Initiatoren des Projekts „Kümmerer“, erzählen die eindrückliche Geschichte einer Frau auf ihrem Weg in ein neues Leben so:

„Im Frühjahr 2021 kam eine völlig verzweifelte Frau ins Sozialkaufhaus Zollernalb. In wenigen Sätzen und gebrochenem Deutsch bat sie weinend um Hilfe. Als alleinerziehende Mutter von 5 Kindern kam sie über das Frauenhaus nach Balingen. Der Umzug in eine eigene Wohnung sollte ein Schritt in die Freiheit und in eine Zukunft ohne Gewalt in ein neues Leben sein. Doch statt eines Zuhauses erwartete sie Chaos pur.

Sehr viele Beratungsstellen, Helferinnen und Helfer waren in der Familie tätig, leider mangelte es daran, dass alle an einem Strang gezogen haben und dass Hilfen in engen Absprachen stattgefunden hätten. Nach dem Besuch der Frau im Domiziel war schnell klar, dass wir uns hier erst einmal einen Überblick bei ihr zu Hause verschaffen müssen.

Die Wohnung war in einem beschämenden Zustand

Der erste Einblick vor Ort in die Wohnverhältnisse der Familie war beschämend und ist in Worten nicht zu beschreiben. Das Cerankochfeld war mit Panzertape festgeklebt, die Möbel, die sie vom Vormieter teuer übernehmen musste, sonst hätte sie die Wohnung nicht bekommen, waren kaputt, zusätzlich hatte man ihr Sperrmüll hinterlassen, den sie nicht entsorgen konnte. Es hingen Steckdosen aus der Wand, in den Kinderbetten lagen verdreckte Matratzen vom Sperrmüll.

Ostern stand vor der Türe, der Kühlschrank war leer, die Unterstützungsleistungen vom Jobcenter waren noch nicht gekommen. Also musste sofort eine „Lebensmittel-Notkiste“ über die Balinger Tafel organisiert werden. Für uns und unser Team war klar: hier müssen wir sofort Abhilfe schaffen.

Das Team hilft sofort

Eine gebrauchte Küche wurde besorgt und eingebaut, die Steckdosen repariert. Aus dem Sozialkaufhaus wurden schöne Möbel geholt, der gesamte Sperrmüll wurde entsorgt und die Wohnung gestrichen und den Umständen entsprechend „nett“ hergerichtet. Der Vermieter wurde aufgefordert, die seit langem kaputten Rollläden zu reparieren, damit endlich Tageslicht in die Wohnung kommen konnte.

Auch die Mutter selbst legte Hand an und noch spät am Abend kamen Fotos, sie hatte die Farbreste verarbeitet und nach weiterer Farbe für die restlichen Zimmer gefragt. Bei uns Helfern war die Freude groß, dass sie hier selber Initiative gezeigt hat und nicht nur untätig zuschaute. Die Kinderaugen leuchteten vor Freude über die neuen Stockbetten und die Erleichterung war groß, dass jetzt auch noch Platz für einen Kleider- und Wäscheschrank in der beengten Wohnung gefunden wurde.

Täglich wurde mehr klar, dass viele Hilfen, die in die Familie geflossen sind, ohne Wirkung verpufft sind. Ein Koffer und eine große Plastiktüte voller wichtiger Unterlagen und Dokumente galt es zu sortieren, womit mehrere ehrenamtliche Personen tagelang beschäftigt waren. Gelder vom Jobcenter kamen nicht, da Unterlagen fehlten.

Es mangelte an Sprachkenntnissen

Sachbearbeiter A wartet auf Unterlagen von Sachbearbeiter B mit dem Ergebnis, dass Sachbearbeiter C Unterstützungsgelder nicht bewilligen konnte, weil z.B. der Kindergeldbescheid nicht vorlag. Die Liste schien endlos. Immer wieder kam kein Geld, immer wieder kamen zum Teil horrende Rückforderungen wegen fehlender Papiere. Immer wieder gab es Sanktionen, weil die Mutter ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachkam. Niemand nahm zur Kenntnis, dass die Mutter weder deutsch lesen und noch weniger deutsch schreiben konnte.

Was die Mutter am meisten belastet hatte, war, dass ihr ältester Sohn in einer Wohngruppe untergebracht war und sie ihn wochenlang nicht sehen konnte, weil niemand Zeit hatte, das Kind aus einem Nachbarlandkreis für Wochenendbesuche nach Hause zu holen. Dies hat uns, wir alle sind selber Eltern, am allermeisten belastet und deshalb haben wir uns sofort bereit erklärt, das Kind am Freitag nach Hause zu holen und am Sonntag wieder zurück zu bringen.

Der Junge konnte nach Hause kommen

Als klar war, dass es eigentlich keinen Grund für die Unterbringung in einer Wohngruppe gab, wurden alle Verantwortlichen an einen Tisch geholt und die Heimkehr des Jungen auf den Weg gebracht. Besonders schön war die letzte Abholung. Und die leuchtenden, aber auch fragenden Kinderaugen – „muss ich wirklich nicht mehr dort hin zurück?“ Seit den Sommerferien ist der Junge wieder in seiner Familie und für seine Mama eine große Unterstützung.

Täglich gibt es neue Herausforderungen, täglich eine Papierflut, Krankheiten, Krankenhausaufenthalte, Termine bei Ärzten, Schulbesuch. Aber nachdem inzwischen alle Beteiligten zusammenarbeiten, Absprachen getroffen werden, viel ehrenamtliche Unterstützung durch die Kümmerer und eine Mitarbeiterin vom Domiziel mit arabischen Sprachkenntnissen unterstützt, kommen die Hilfen in der Familie an.

Die Familie fasst langsam Fuß

Alle kleinen Kinder besuchen den Kindergarten, die großen Kinder die Schule und die Mutter kann endlich in den Sprachunterricht und die deutsche Sprache lernen, was sie mit viel Fleiß und Eifer auch tut.

Haben Sie schon einmal versucht, arabische Briefe zu lesen? Zu verstehen, wenn man ihnen Gerichtsurteile und Paragraphen vorliest ohne sie zu erklären? Arabischen Gesprächen über die Zukunft ihrer Kinder zu folgen ohne Dolmetscher? Ein Ding der Unmöglichkeit, das ist unser Fazit in diesem Extremfall.

Danke an alle Verantwortlichen dafür, dass erkannt wurde, was falsch läuft. Dass alle auf allen Ebenen zusammenarbeiten, dass sich Menschen ehrenamtlich engagieren, um auch in so schwierigen Fällen eine Integration in unsere Gesellschaft möglich zu machen.

Auf viele Tränen folgt nun ein bisschen Hoffnung

Heute besuchen wir die Familie gerne, es ist sauber und ordentlich im Haushalt. Wenn auch das Lernen in der Schule noch schwerfällt, gehen die Kinder doch alle regelmäßig zum Unterricht. Dass sich die Mutter um viele Dinge bis heute nicht selbst kümmern kann, liegt einzig und alleine daran, dass es bei 5 Kindern im Alter von zwei bis 14 Jahren bisher nicht möglich war, den Sprachunterricht zu besuchen, da keine Kinderbetreuung zur Verfügung stand.

Um diesen jetzt sehr guten Ist-Zustand zu erreichen, waren sehr viele Gespräche und Abstimmungen notwendig und oftmals musste auch für die Interessen der Mutter und vor allem für die des Sohnes gekämpft werden. Es gab viele verzweifelte Anrufe von Mutter und den Kindern bei uns, viele Tränen. Aber oftmals auch ein glückliches Lachen, vor allem bei den Kindern.

Ein Ausflug in die Wilhelma ist der größte Wunsch

Ihr großer Wunsch ist, einmal als Familie einen Ausflug machen zu dürfen. Mit dem Zug in die Wilhema. Mit den Menschen, die ihnen in den letzten Monaten auf dem schweren Weg in ein geordnetes Leben geholfen haben. Vielleicht können wir im nächsten Frühjahr diesen Wunsch erfüllen.

Wer die Kümmerer-Arbeit unterstützen möchte, kann dies mit einer Spende tun. Verwendungszweck: ZAK-Weihnachtsaktion (und der Vermerk, ob der Spender mit der Namensnennung im ZAK einverstanden ist, für eine Spendenbescheinigung bitte Adresse angeben.) Gespendet wurden in der vergangenen Woche 100 Euro, 33 Euro, 50 Euro, 100 Euro, 100 Euro, 400 Euro, 50 Euro, 100 Euro, 60 Euro, 100 Euro, 50 Euro, 300 Euro, 20 Euro, 50 Euro, 50 Euro. Der Spendenstand aktuell beläuft sich auf 1813 Euro.

Die Spendenkonten

Sparkasse Zollernalb

IBAN: DE71 6535 1260 0134 1239 70

BIC: SOLADES1BAL

Volksbank Hohenzollern-Balingen eG

IBAN: DE 176416 3225 0417 9170 07

BIC: GENODES1VHZ