Zollernalbkreis

Verantwortliche stehen Rede und Antwort: Was der Zollernalbkreis aus der Krise gelernt hat

21.07.2020

Von Pascal Tonnemacher

Verantwortliche stehen Rede und Antwort: Was der Zollernalbkreis aus der Krise gelernt hat

© Landratsamt

Standen Rede und Antwort (von links): Landrat Günther-Martin Pauli, Kreisbrandmeister Stefan Hermann, der auch das neugebildete Amt für Bevölkerungsschutz leitet, Dr. Ullrich Mohr, Vorsitzender der Kreisärzteschaft Zollernalb, und Dr. Erwin Biecker, stellvertretender ärztlicher Direktor und Chefarzt der Inneren Medizin am Zollernalbklinikum.

Ein neues Amt für Bevölkerungsschutz, womöglich aussichtsreiche Medikamente, aber auch Fragen zur Immunität und Kritik an einzelnen Kinderärzten. Verantwortliche standen am Dienstagabend Rede und Antwort zu diesen Themen: Was hat der Zollernalbkreis aus der Krise gelernt? Wie ist der aktuelle Stand, und ist der Landkreis auf eine mögliche zweite Welle vorbereitet?

Schnelle entschlossene Schutzmaßnahmen helfen, aber die Bevölkerung muss mitziehen. Das hat der Landkreis aus der Coronakrise gelernt. So lautete der Tenor beim 14. Online-Bürgerdialog des Landrats Günther-Martin Pauli am Dienstagabend.

Wie Pauli schon immer betonte, lief nicht immer alles sofort rund, man lernte stetig dazu. Eine Konsequenz nun: ein neugebildetes Amt für Bevölkerungsschutz.

Kreisbrandmeister leitet neues Amt

Geleitet vom krisenerprobten Kreisbrandmeister Stefan Hermann soll diese neue Schnittstelle die enge Zusammenarbeit aller Beteiligten verbessern, von Hilfsorganisationen, der Ärzteschaft, über das Gesundheitsamt bis hin zur Schwerpunktambulanz.

Zudem soll speziell das Kontaktpersonenmanagement nach Infektionen noch besser laufen – um die Verbreitung des Virus immer im Griff zu behalten.

Ziel: Weiter vor der Lage bleiben

„Wir wollen weiterhin vor der Lage bleiben“, sagte Hermann. Auch Landrat Pauli ist sicher, dass man sich einer möglichen zweiten Welle „gleich atmend stellen“ könne.

Man habe viel dazugelernt und die Kapazitäten, die man zu Beginn der Krise kurzfristig geschaffen und in ihrer Gänze nicht gebraucht hatte, könne man jederzeit wieder hochfahren, betont Hermann.

Weil sich derzeit viele mit Erkältungssymptomen testen lassen und es einen regelrechten Ansturm auf die Corona-Schwerpunktambulanz an der Klinik gebe, suche man einen neuen Standort, so Hermann. Ein Platz, wo man Wartenden auch einen Raum bieten könne.

Positive Rückmeldungen, beispielsweise zum Thema Homeoffice im Landratsamt oder auch bei digitalen Angeboten in den Schulen, habe Pauli von vielen Stellen erhalten. Man wolle weiterhin die Schulen unterstützen. Auch deshalb werde das Kreismedienzentrum, wie am Montag beschlossen wurde, umziehen und aufgestockt.

Zudem soll weiterhin der Breitbandausbau beschleunigt werden. Außerdem werden die öffentlichen Gesundheitsdienste vom Land gestärkt, lobte Pauli.

Digitalisierungsschub in manchen Bereichen

Ein Schub in Sachen Digitalisierung, wie Kreisbrandmeister Hermann formulierte, habe auch die Feuerwehr und die anderen Hilfsorganisationen erhalten. So werden Versammlungen per Videokonferenz, oder erstmals auch Übungen des Führungsstabs erstmals digital durchgeführt und getestet.

Wann Feuerwehr und Hilfsorganisationen wieder normal üben können, wollte Hermann nicht prognostizieren. Man gehe schon im Einsatz ein hohes Risiko ein. Deshalb versuche man dieses bei Übungen zu vermeiden – damit im Infektionsfall keine ganzen Abteilungen ausfallen.

Infektionsherde vermutet man bei einzelnen Ausbrüchen auch in Kindergärten oder Schulen, weshalb Kinder schon mit Erkältungssymptomen bestenfalls zuhause bleiben sollen oder auch nach Hause geschickt werden.

Kritik an einzelnen Kinderärzten

Mehrere Zuschauer fragten Dr. Ullrich Mohr, Vorsitzender der Kreisärzteschaft Zollernalb, deshalb, weshalb offenbar einzelne Kinderärzte Kinder mit solchen Symptomen oder lediglich Fieber nicht untersuchen wollen und sie direkt ins Testzentrum für einen Coronaabstrich schicken würden.

Mohr stellte klar, dass ein solches Vorgehen – wenn es so stattfinde – „nicht statthaft, unärztlich und nicht so empfohlen“ worden sei. Betroffene Eltern sollen das ansprechen und nötigenfalls Konsequenzen ziehen.

Mohr will mit Kinderärzten reden

Auch er, der auch als Vorsitzender der Kreisärzteschaft keine Weisungsbefugnis habe, will mit den Kinderärzten im Landkreis über dieses Problem reden.

Dr. Erwin Biecker nutzte die Gelegenheit um als stellvertretender ärztlicher Direktor und Chefarzt der Inneren Medizin am Zollernalbklinikum zu Testmöglichkeiten, Immunität und Medikamenten zu informieren.

Tests sind nicht zu 100 Prozent zuverlässig

So wolle er klar stellen, dass selbst beim besten Testmedium, das sie hätten, dem Abstrich, die Zuverlässigkeit bei rund 70 Prozent liege. 70 Prozent der Patienten, die die Krankheit wirklich haben, würden erkannt. Man könne damit dennoch wirksam Kranke identifizieren und die Ausbreitung in der Folge verhindern.

Auch der Antikörpertest sei, wie auch schon im ZAK berichtet, nicht zu 100 Prozent zuverlässig. Es gebe Fälle, bei denen bei sicher Infizierten keine Antikörper nachgewiesen worden seien. Zudem sei unklar, ob ein positiver Nachweis auch wirklich Immunität bedeute.

Was passiert, wenn Antikörper verschwinden?

Wenn zuvor gebildete Antikörper verschwinden, könne aber auch zelluläre Immunität vor einer erneuten Erkrankung schützen. Theoretisch.

Die spannende Frage der Zukunft bleibe, ob es eine dauerhafte Immunität gebe oder nur für einen gewissen Zeitraum wie bei Erkältungskrankheiten. Wie das bei Corona laufe, lerne man in den nächsten ein bis zwei Jahren, meint Biecker.

Zwei Medikamente können Verlauf verkürzen

Zur, nicht nur rein symptomatischen, Behandlung einer Coronavirusinfektion sind laut Biecker noch vier Medikamente im Rennen. Remdesivir, ursprünglich ein Ebolamittel, zeigt laut Studien Wirkung bei schweren Krankheitsverläufen, so Biecker. „Im günstigsten Fall kann es bei wenigen den Verlauf abkürzen“, sagte Biecker.

Auch Dexamethason, ein hochdosiertes Cortison, habe bei einzelnen diesen Effekt, wie Biecker aus eigener Erfahrung berichten konnte. Er könne zwar nicht sagen, was wäre ohne Behandlung geschehen, doch es scheine einen gewissen Effekt zu zeigen.

Zwei Medikamente helfen wohl eher nicht

Das Malariamittel Hydroxychloroquin, das auch US-Präsident Donald Trump nimmt, helfe „wahrscheinlich eher nicht“, wie Studien zeigen würden. Das Rheumamittel Tocilizumab werde zur Therapie außerhalb von Studien nicht empfohlen, sagt Biecker. Die Datenlage sei unübersichtlich.

Ähnliches klinisches Bild bei Influenza

Zudem wurde die Frage gestellt, ob Corona und Influenza möglicherweise verwechselt werden könnten. Biecker meinte, dass es ein ähnliches klinisches Bild gebe, das nicht immer einfach zu unterscheiden sei. Bis Mitte April habe man neben Corona auch immer auf Influenza getestet und auch Influenza-Fälle nachgewiesen.

Eine Influenza könne wie Covid-19 auch relativ harmlos verlaufen, aber auch schwere Lungenentzündungen verursachen. Das Risiko einer Influenza-Infektion sei aber außerhalb der Saison, also auch aktuell, unwahrscheinlich.

Das gelte auch für andere Erkältungsviren. Die könne man zwar bei Tests herausfiltern. Es stelle sich aber, vor allem aktuell, die Frage: Was ist wahrscheinlich, was nicht?

Dialog zu Plastikmüll in kommender Woche

Nach der kontroversen Diskussion um Gelbe Säcke und Plastikmüllvermeidung im Kreistag am Montag, widmet Landrat Pauli dem letzten Bürgerdialog vor der Sommerpause das Thema „Weniger Müll im ZAK: Plastik weg!“. Mit dabei sind in der kommenden Woche der Leiter des Abfallwirtschaftsamts Friedrich Scholte-Reh und Grünen-Kreisrat Dr. Ulrich Kohaupt.

Hinweis: In einer früheren Version des Artikels haben wir das Medikament Remdevisir als Malariamittel bezeichnet. Tatsächlich ist es ein Mittel gegen Ebola. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen!

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