Albstadt

Vendetta oder Verteidigung? Prozess um Tötungsdelikt am Ebinger Spitalhof beginnt mit Geständnis

08.06.2020

Von Pascal Tonnemacher

Vendetta oder Verteidigung? Prozess um Tötungsdelikt am Ebinger Spitalhof beginnt mit Geständnis

© Pascal Tonnemacher

Drei hauptberufliche Richter und zwei Schöffen: Das Schwurgericht der großen Strafkammer am Landgericht Hechingen um den Vorsitzenden Richter Dr. Hannes Breucker (Mitte) zieht zum Prozessbeginn in den Verhandlungssaal ein.

Der 42-jährige Angeklagte im Fall des Tötungsdelikts am Ebinger Spitalhof im vergangenen Dezember gestand, mit einem Klappmesser auf einen 36-Jährigen eingestochen zu haben. Die zentrale Frage: War es Rache, wie die Staatsanwaltschaft anklagt, und damit möglicherweise Mord – oder eine Abwehrreaktion, wie es der Angeklagte selbst beschreibt? Eine Zusammenfassung des Prozessbeginns am Montag vor dem Landgericht Hechingen.

„Gut so“: Diese beiden Worte stammen aus der Übersetzung eines Briefs eines angeklagten 42-jährigen Italieners, der damals wenige Tage nach der Tat in Haft saß. Falsch übersetzt aus dem Sardischen, sagt er.

Sie sollen – oder sollen eben doch nicht – für seine Reaktion auf den Tod des 36-jährigen Polen Damian Wiśniewski stehen, den der Albstädter im vergangenen Dezember in der Nähe des Ebinger Spitalhofs mit zwei Messerstichen verursacht hat.

Sinnbild für zentrale Frage

Der mögliche Übersetzungsfehler steht sinnbildlich für die zentrale Frage: War es Rache oder viel mehr so etwas wie eine Abwehrreaktion auf einen Angriff des Opfers? Die Anklage der Staatsanwaltschaft und die Angaben des Angeklagten gehen an dieser zentralen Stelle auseinander.

Sie könnten aber letztendlich bei einer möglichen Verurteilung den feinen juristischen Unterschied zwischen Mord oder dem angeklagten Totschlag machen, wie der Vorsitzendes Richter am Landgericht Hechingen, Dr. Hannes Breucker, in einem Hinweis klarstellte.

Rache gilt als Mordmerkmal

Denn Rache gilt als niedriger Beweggrund und damit als Mordmerkmal – damit droht lebenslange Freiheitsstrafe. Bei Totschlag ist eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren bis lebenslang vorgesehen.

Zunächst gilt es jedoch herauszuarbeiten, was sich mitten in der Nacht zum 15. Dezember 2019 rund um den Spitalhof zugetragen hat: Die Staatsanwaltschaft wirft dem 42-jährigen italienischen Staatsbürger vor, zunächst wegen eines Selfies, das er mit dem späteren Opfer und dessen Begleitung gemacht habe, in einer Kneipe in Streit mit diesen geraten zu sein. Der 36-jährige Pole habe daraufhin das Handy des Angeklagten aus dessen Hand gerissen und an die Wand geworfen.

Angeklagter schlägt in Kneipe zu

Der 42-Jährige Italiener soll in Rage geraten sein, ihn zu Boden geworfen und mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben. Die Begleitung des Opfers habe ihn dann weggezogen und dem Wirt Bescheid gegeben. Der habe den Angeklagten dann sprichwörtlich zum Vordereingang aus der Kneipe geschmissen.

Nun wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vor, aus Rache gehandelt zu haben. Vor der Kneipe soll der Mann, der mit Übersetzerin auf der Anklagebank sitzt, lautstark „Ich stech‘ dich ab, niemand fasst mich an“ und viel Nichtzitierbares gerufen haben.

Opfer zum Hintereingang raus

Der Wirt habe das spätere Opfer über den Hinterausgang nach draußen geschickt. Der Angeklagte soll das mitbekommen haben und den Entschluss gefasst haben, das spätere Opfer zu töten – „Vendetta“?

Er soll dazu um den Häuserblock gegangen sein. Beim Spitalhof hätten sich die Kontrahenten getroffen. Der Angeklagte soll mit einem Klappmesser auf ihn zu gegangen sein.

Zielgerichtet zugestochen

Das spätere Todesopfer habe den Angeklagten mit dem Fuß in den Bauch getreten. Es kam laut Anklage zu einer fünfsekündigen Rauferei. Zielgerichtet soll er dabei in Hüfte und Oberschenkel gestochen haben. Das Opfer sei daraufhin weggegangen und zusammengebrochen.

Tags darauf stirbt der 36-Jährige wegen des massiven Blutverlusts in der Klinik – Totschlag, klagt die Staatsanwaltschaft deshalb an.

Angeklagter gesteht Messerstiche

In einer Erklärung, die der Verteidiger verliest, gibt der Angeklagte zu, zugestochen zu haben. „Es tut mir schrecklich leid“, wird er zitiert. Dass der 36-Jährige gestorben sei, mache ihn fassungslos. Es sei nicht „gut so“, wie falsch übersetzt worden sei. Er wollte sich mit dem Opfer schlagen, ihn aber nicht töten. Er wünsche sich, dass er noch lebe.

Mit Streit nicht gerechnet

Mit dem Streit habe er nicht gerechnet, denn „wir hatten Spaß“, beschreibt der Angeklagte die anfängliche Situation in der Kneipe. Er sei betrunken gewesen, allen anderen gegenüber aber nicht aggressiv gewesen. Was er dann im Zorn gerufen habe, wisse er nicht mehr.

Draußen sei das Opfer schnell auf ihn zugekommen. Er habe mehrere Schritte zurückgehen müssen, hatte einen Rucksack auf, den er kaum habe abnehmen können. Es sei schnell gegangen.

Video der Tat ist von schlechter Qualität

Zunächst hatte er von mehreren Angreifern berichtet. Ein Video aus einer Überwachungskamera widerlege das jedoch, heißt es in der Erklärung. Durch den Angriff des Opfers und den Alkohol sei er möglicherweise verwirrt gewesen.

Vendetta oder Verteidigung? Prozess um Tötungsdelikt am Ebinger Spitalhof beginnt mit Geständnis

© Volker Bitzer

Blick auf den Spitalhof.

Dieses Video, Richter Breucker spricht von „sehr schlechter Bildqualität“, soll im späteren Verlauf des Prozesses noch genauer begutachtet werden und könnte Aufschluss darüber geben, ob die Angaben des Angeklagten stimmig sein könnten.

Zugestochen, um Angriff aufzuhalten?

Denn: Der Angeklagte behauptet mehrfach getreten worden zu sein, auch gegen den Kopf. Er habe zugestochen, um den Angriff aufzuhalten. Also keine Vendetta.

Die Briefe aus der Haft werden nun erneut übersetzt, wenn nötig mit Experten für die sardische Sprache. Zudem sollen mehrere Zeugen des Tötungsdelikts gehört werden.

Wie schnell konnte er das Klappmesser öffnen?

Ein Waffensachverständiger soll zudem die Frage klären, wie schnell ein solches Klappmesser geöffnet werden kann.

Polizeibeamte aus dem sächsischen Bautzen berichten über eine andere Tat, für die der Angeklagte bereits verurteilt worden war, und zu der es möglicherweise Parallelen geben könnte.

Auch die Frage, ob die Jacke des Angeklagten aus der Tatnacht beispielsweise Risse aufweist, soll auf Antrag der Verteidigung geklärt werden.

Angehörige reisen als Nebenkläger zum Urteil an

Angehörige des Getöteten werden von einem Rechtsanwalt als Nebenkläger vertreten. So erhalten sie beispielsweise Akteneinsicht, könnten vor Gericht auch Fragen stellen. Sie wollen aber wohl erst zur Urteilsverkündung aus Polen anreisen.

Beides steht im Raum, doch was ist der Unterschied zwischen Mord und Totschlag? Bei Mord sieht das Gesetz eine lebenslange Freiheitsstrafe vor. Fünf bis 15 Jahre sind es bei Totschlag, in besonders schweren Fällen ebenfalls eine lebenslängliche Strafe.

Mordmerkmale als großer Unterschied

Sowohl Mord als auch Totschlag gelten als vorsätzliche Tötungsdelikte. Der Täter führt also willentlich den Tod eines Menschen herbei. Bei der fahrlässigen Tötung wiederum wird der Tod „lediglich“ in Kauf genommen.

Damit im juristischen Sinne aus Totschlag Mord wird, muss eines der möglichen Mordmerkmale vorliegen. Darunter fallen Heimtücke, Habgier, Grausamkeit, Mordlust, die Befriedigung des Geschlechtstriebs – oder andere niedere Beweggründe wie Rache. Auch die Ermöglichungs- oder Verdeckungsabsicht ist ein mögliches Merkmal.

Info: Die Verhandlung wird am kommenden Montag, 15. Juni, ab 8.30 Uhr fortgeführt.

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