Stetten a.k.M.

Training für den Ernstfall: Landesweit größte Terrorabwehr-Übung in Stetten am kalten Markt

17.10.2019

von Jens Schmitz/SWP

Training für den Ernstfall: Landesweit größte Terrorabwehr-Übung in Stetten am kalten Markt

© Pixabay

Auch Hubschrauber sollen bei der Terrorabwehrübung am Samstag in Stetten am kalten Markt eingesetzt werden (Symbolfoto).

In einer großen Terrorabwehr-Übung in Stetten am kalten Markt proben Polizei, Rettungskräfte und Militär am Wochenende den Einsatz im Fall eines Anschlags in der nachgestellten Konstanzer Fußgängerzone.

Es ist die größte Terrorabwehrübung, die jemals in Baden-Württemberg stattgefunden hat, und in mehrfacher Hinsicht wohl auch bundesweit bislang einmalig: Von Donnerstag bis Samstag kommen im Süden des Landes 2500 Polizisten, Soldaten und zivile Helfer zusammen, um den Katastrophenfall durchzuspielen – sie sind größtenteils unvorbereitet.

Zusammenhalt der Sicherheitskräfte soll trainiert werden

„Es ist für unsere Sicherheitskräfte außerordentlich wichtig, dass wir bestimmte Szenarien immer und immer wieder üben“, sagte Innenminister Thomas Strobl (CDU) am Dienstag, eine Woche nach dem versuchten Massenmord an Juden in Halle. Insbesondere das Zusammenspiel unterschiedlicher Sicherheitskräfte müsse trainiert werden.

Bis zu 30 Tote und 70 Verletzte in Übung

In der dreitägigen BWTEX (Baden-Württembergische Terrorismusabwehr Exercise) in Stetten am kalten Markt wird ein Terroranschlag in der Konstanzer Fußgängerzone simuliert, bei dem es bis zu 30 Tote und bis zu 70 Verletzte gibt.

Ein Teil der Verletzten muss gerettet werden, bevor die Lage unter Kontrolle ist. Echte Krankenhäuser übernehmen Patienten aus Hubschraubern.

Hohe Materialkosten für möglichst reales Szenario

Das Anschlagsszenario wird nicht im realen Konstanz, sondern auf dem Truppenübungsplatz Heuberg aufgebaut. „Wir werden nicht die Innenstadt von Konstanz abbilden können, aber es wird durchaus ein Bereich sein, der urban anmutet“, sagt Projektleiter Daniel De Giuli vom Landespolizeipräsidium.

Dazu gehört eine vergleichbare Infrastruktur: Neben Digitalfunk und einem Telekommunikationsmast sind 100 Kilometer Daten- und Stromleitungen nötig. Allein die Materialkosten werden mit 250.000 Euro veranschlagt.

Krankenhäuser proben das Szenario mit

An diesem Donnerstag gibt es auf dem Truppenübungsplatz eine Fahrzeugschau für die Bevölkerung. Den Freitag belegt eine Stabsrahmenübung.

An der Hauptprobe am Samstag sind 1000 Polizisten, 270 Soldaten, 500 Ehrenamtliche aus dem Bevölkerungsschutz und die Krankenhäuser Friedrichshafen, Konstanz und Sigmaringen beteiligt. Das Bundeswehrkrankenhaus in Ulm stellt Mediziner, die auf Sprengsatz- und Schuss-Verletzungen spezialisiert sind.

Auch Schweizer Kantonspolizei involviert

Die Schweizer Kantonspolizeien St. Gallen und Thurgau wären im Ernstfall schnell vor Ort und sind deshalb ebenfalls eingebunden. Dazu kommen zahlreiche Helfer und Gäste.

Die Terroristen-Darsteller wiederum stellt die Polizei Rheinland-Pfalz. De Giuli: „Wir wollen eine realitätsnahe Übung ermöglichen, und dazu gehört eben auch, dass sich Interventionskräfte und Terroristen nicht kennen.“

Komplettdurchlauf von Alarm bis Rettungsflug ist Premiere

Nicht nur die Größe der Übung ist ungewöhnlich. Die Formulierung „Vom ersten Schuss bis in den OP“ sei zwar etwas flapsig, sagt De Giuli. „Das trifft‘s aber ziemlich genau“: Der Komplettdurchlauf vom Alarm über die Täteridentifizierung bis zum Rettungsflug sei eine Premiere.

Vorausgesetzt wird eine Vorgeschichte mit anderen verheerenden Anschlägen. Nur katastrophale Gesamtumstände könnten den Einsatz der Bundeswehr im Innern rechtfertigen, betonen die Organisatoren.

Polizei soll Militärfähigkeiten abrufen können

Das Militär hat aber Fähigkeiten, die entscheidend sein können, von Sprengstoffexperten bis zu großräumigen Rettungshubschraubern. Das soll die Polizei im Ernstfall abrufen können.

„Dickblech“ nennt Oberstleutnant Frank Peter Thomas vom Landeskommando Baden-Württemberg seine gepanzerten Bergungsfahrzeuge.

Polizei behält Führung – Militär darf nicht schießen

Das Zusammenspiel muss geübt werden, denn schon beim Funk oder bei der Software operieren die Kräfte auf unterschiedlichen Systemen. Die Führung, betonen De Giuli und Thomas, behält immer die Polizei. „Das ist gesetzlich so geregelt“, sagt Thomas. Auch Schusswaffengebrauch sei der Polizei vorbehalten. „Wir schießen in Deutschland grundsätzlich nicht.“ Lediglich zur Selbstverteidigung sei das auch Soldaten erlaubt.

Aus Fehlern das lernen, was man noch nicht kann

Für die meisten Teilnehmer der Terrorabwehr-Übung BWTEX gibt es kein konkretes Drehbuch. Wie im Ernstfall wissen sie nicht, was genau auf sie zukommt. Den Veranstaltern zufolge ist das ein Unikum.

„Da werden auch viele Fehler passieren“, sagt Bundeswehr-Oberstleutnant Frank Peter Thomas. Aber: „Wir lernen aus Fehlern mehr als das, was wir schon können.“

Szenario ist nur wenigen bekannt

Das genaue Szenario kennen demnach vorab nur acht Personen. Nach dem Hauptdurchlauf am Samstagmorgen soll es am Nachmittag eine etwas verringerte Wiederholung der Übung geben, die den Einsatzkräften schon die ersten Korrekturen ermöglicht.

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