Tacheles in der Technologiewerkstatt Albstadt: Warum der Mittelstand vor dem Burn-Out steht

Von Holger Much

Begriffe wie Wohlstand, Wachstum und Innovation wurden vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen bei dem Diskussionsabend analysiert. Letztlich wurde es aber auch ein sehr konkreter Hilferuf des hiesigen Mittelstandes.

Tacheles in der Technologiewerkstatt Albstadt: Warum der Mittelstand vor dem Burn-Out steht

Eine der Referentinnen des Abends, Dr. Katharina Reuter vom BNW, und Dr. Ulrich Kohaupt, Initiator der Veranstaltung (rechts).

Überbordender Bürokratismus in Deutschland und auf EU-Ebene schnüren dem deutschen Mittelstand die Luft ab und ersticken jeglichen Handlungsspielraum und jegliche unternehmerische Kreativität.

So könnte man die klar transportierte, alarmierende Botschaft der zahlreichen Mittelstandsvertreter zusammenfassen, die sich am Montagabend in und auch vor der Tailfinger Technologiewerkstatt zu Wort meldeten.

Welche Wirtschaft ist heute zukunftsfähig?

Bei der vom Zollern-Alb-Kurier präsentierten Expertenrunde in der Technologiewerkstatt sollte über die Bedeutung der für den Mittelstand zentralen Begriffe wie Wohlstand, Wachstum und Innovation diskutiert werden.

Hauptinitiator der Veranstaltung, Dr. Ulrich Kohaupt, Mitglied im Kreisverband Zollernalb der Grünen, führte durch die Diskussion. „Wie“, formulierte er, „müssen wir Wirtschaft gestalten, um zukunftsfähig zu bleiben?“

Nicht-nachhaltiges Wirtschaften lohnt sich bald nicht mehr

Vom Bundesverband nachhaltiges Wirtschaften (BNW) beteiligte sich Dr. Katharina Reuter. Schon bald, sagt sie, lohne nicht-nachhaltiges Wirtschaften nicht mehr.

Der Staatssekretär des Bundeswirtschaftsministeriums und Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, Michael Kellner, war nur per Video zugeschaltet und war in Teilen sehr schwer zu verstehen.

Verschiedene Beteiligte waren dabei

Von der Gruppierung „Perspektive Zeigen“ aus Hechingen brachte sich Markus Buckenmayer in die Diskussion ein.

Und Textil-Unternehmerin und Vertreterin des Verbands „Gesamtmasche“, Martina Bandte (Nina von C.), fasste einige Einblicke in die Praxis mittelständischen Unternehmertums in der heutigen Zeit in deutliche, teils harte, wenn auch immer sehr verbindliche und freundliche Worte.

Weg von fossilen Energieträgern

Dass ein modernes, zukunftsfähiges Unternehmen auch nachhaltig wirtschaften und seiner Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt gerecht werden müsse, darin schienen sich alle Beteiligten einig.

Auch darin, dass, so formulierte Staatssekretär Michael Kellner wiederholt, „gemeinsam den Weg“ in die Transformation, weg von fossilen Energieträgern gehen müsse.

„Der Mittelstand stirbt leise“

Darüber hinaus wurden jedoch auch deutliche Gräben in der Wahrnehmung der aktuellen Situation deutlich.

Vor der Technologiewerkstatt wurden die ankommenden Diskussionsteilnehmer von zahlreichen Mittelstandsvertretern mit Schildern in Sargform empfangen, auf denen stand „Der Mittelstand stirbt leise“.

Weitere Slogans waren „Ohne Mittelstand kein Wohlstand, Wachstum, Innovation“, „Bürokraten wacht auf“ oder „Bürokratiemonster gleich unternehmerischer Burnout“. Und mit diesen Aussagen war es den Unternehmern ernst.

Aktion sei „pietätlos“

Dr. Katharina Reuter empfand die Aktion der Mittelständler, sagte sie, als extrem „pietätlos“. Das mache sie fassungslos. Im Ahrtal seien Menschen „in echt“ gestorben an den Folgen mangelnden Klimaschutzes, diese Gräber seien echt, ereiferte sie sich. Gerade Banken und Versicherungen – „alles sicher keine Ökospinner“ – seien die Treiber des Transformationsprozesses weg von fossilen Energieträgern.

Neue Konzepte für Wirtschaft

Eine „3,5-Grad-Welt“ könne, sagen laut Reuter die Versicherer, nicht mehr versichert werden. Auf einem begrenzten Planeten sei nun mal kein unbegrenztes Wachstum möglich. Sechs der neun „planetarischen Grenzen“ habe man bereits überschritten. Es brauche, so Reuter, neue Konzepte, wie Wirtschaft aussehen könne.

Endlich den Mittelstand in den Fokus rücken

Das von ihr erwähnte „True-Cost-Accountin“, eine Form der Kostenberechnung unter Berücksichtigung der verursachten gesamtgesellschaftlichen und Umweltkosten nannte Jens Meiser (Carl Meiser GmbH) „Großkonzerngeschwätz“.

Allgemein wurde von Seiten der Mittelstandsvertreter gefordert, endlich den Mittelstand mehr zu fördern und mehr ins Blickfeld der Politik zu rücken statt der Großkonzerne. Diese strichen zuerst dicke Förderungen ein, um dann fette Dividenden auszuschütten, der Mittelstand gehe leer aus.

„Wie soll das ein mittelständisches Unternehmen überleben?“

Wie es tatsächlich aktuell in der Welt des Mittelstandes aussieht, das skizzierte Martina Bandte eindrücklich und drastisch. Der Mittelstand stoße an seine Grenzen. Er leide unter den Nachwirkungen der Pandemie und des Lockdowns, nun unter schmelzendem Eigenkapital und horrend steigenden Energiepreisen. Allein dieses Jahr, gab Christoph Mattes von Mattes und Ammann ein Beispiel, werde sein Unternehmen mit vier Millionen Euro an Gaskosten konfrontiert: „Wie soll das ein mittelständisches Unternehmen überleben?“

Es geht gerade nur ums Überleben

Aktuell gehe es, fuhr Mattes fort, „ums Überleben“. Die Arbeit müsse den Menschen ihr tägliches Brot geben. Und nun brauche der Mittelstand Unterstützung. Er brauche Geld. Jetzt. Nicht erst in neun Monaten.

„Sie werden keinen Meterware-Hersteller finden, der ökologisch auf unserer Höhe ist“, so Mattes. Man habe sogar vegane Textilien. Aber, so Mattes, „kaufen tut das kein Schwein“. Aktuell müsse man überleben. Nachhaltigkeit, das sei für den Mittelstand hier schon lange Normalität.

Das Bürokratiemonster erstickt den Mittelstand

Als weiterer belastender Hemmschuh wurde das „Bürokratiemonster“ genannt. Die stets wachsenden Verwaltungsaufgaben, erläuterte Martina Bandte, überfordere die kleinen und mittelständischen Unternehmen, es werde nur immer mehr, ohne Besserung in Sicht.

Man vermisse auf EU-Ebene ein Verständnis für die Strukturen des deutschen Mittelstandes, so Bandte: „Wir stehen am Burn-Out, auch durch die enorme Bürokratie“.

Die Zeiten von 2019/20 kommen nicht mehr zurück

Staatssekretär Kellner zeigte sich von der so nüchtern wie eindringlichen Schilderungs Bandtes „wahnsinnig berührt“ und stellte in Aussicht, solch ein Gespräch demnächst wirklich persönlich und nicht nur per Video fortzusetzen.

Auch Dr. Ulrich Kohaupt bestätigte, dass diese Diskussion eine Fortsetzung finden sollte. Dennoch komme man in Zeiten, in denen der russische Präsident Energie als Waffe nutze, nicht mehr auf den Gaspreis von 2019/20 zurück, betonte Kellner.

Es brauche mehr grüne Energie, die aber eben künftig bezahlbar sein müsse. Man könne sich nicht leisten, eine Pause in diesem Transformationsprozess zu machen.