Die Schömberger Rebellion von 1883: Als die Obrigkeit Polizeikräfte zur Fasnet schickte

Von Daniel Seeburger

Keine Narren auf den Straßen, eine Fasnet, die keine ist – die tolle Zeit 2021 wird in die Annalen eingehen als eine Zeit, die überhaupt nicht toll war. Die Umzüge und Veranstaltungen sind wegen der Coronapandemie abgesagt. Es ist aber nicht das erste Mal in der Geschichte, dass die Fasnet ausfiel. In den beiden Weltkriegen gab es logischerweise keine Narretei. Um die Gesundheit, um Kontaktbeschränkungen in einer Pandemie, deren erster Superspreader vor einem Jahr eine Karnevalsveranstaltung in Heinsberg war, ging es dabei allerdings nie. Ein Blick in die Geschichte.

Die Schömberger Rebellion von 1883: Als die Obrigkeit Polizeikräfte zur Fasnet schickte

Ausschnitt aus dem Gnadengesuch der 13 Schömberger 20er an die Regierung des Schwarzwaldkreises in Reutlingen aus dem Jahr 1923.

Rückblick ins Jahr 1991. Vor 30 Jahren fand keine Fasnet statt. Grund: Der erste Golfkrieg. Die USA und ihre Verbündeten griffen nach dem Einmarsch irakischer Truppen in Kuwait zu härteren Mitteln als die der Diplomatie und gingen militärisch gegen Saddam Hussein vor.

Zwei Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Ende der Sowjetunion geschah etwas, was man nach der Auflösung der großen militärischen Blöcke nicht mehr für möglich gehalten hatte. Kein kalter Krieg mehr, sondern ein heißer. Die Bundeswehr allerdings blieb zuhause und ließ kämpfen. Dass man parallel dazu noch dem Frohsinn frönte, schien unmöglich zu sein – man sagte die Fasnet ab.

Scheinheilige Absage 1991

Die Fasnet 1980 nach dem Einmarsch der Sowjets in Afghanistan, nach dem Falklandkrieg zwischen Großbritannien und Argentinien 1982 oder nach der Invasion von US-Truppen in Grenada 1983 fand statt – an ein Verbot wurde nicht im entferntesten gedacht.

Weshalb gerade die Fasnet 1991 nicht stattfinden durfte, kann im Nachhinein niemand nachvollziehen. Am wenigsten die Narren, die zwar die Umzüge mieden, dafür aber neue Formen des Frohsinns fanden. Das Foto von den Rottweiler Rössle, die aus einem Fenster nahe des Schwarzen Tors schauen, weil sie nicht auf die Straße durften, wurde zum Sinnbild des scheinheiligen Fasnetsverbots.

Verbot von 1946 bis 1948

Alles andere als scheinheilig waren die Verbote von 1946 bis 1948. Die französische Besatzungsmacht untersagte kurz nach dem Krieg die Fasnet. Dem Verbot zum Trotz wurde bereits 1946 in Schömberg gefeiert. In den Wirtschaften und Hinterhöfen – immer in Sorge, dass die Militärpolizei auftauchen könnte.

Einmal in diesen Jahren habe auch ein Bolonäs mit Schömberger Narren in Dotternhausen stattgefunden, vermutlich 1947; daran konnte sich die vor fünf Jahren 90-jährig verstorbene Dotternhausenerin Gertrud Uttenweiler noch erinnern. Sie wohnte genau gegenüber der Dotternhausener „Traube“, auf deren Vorplatz die Narren getanzt haben sollen. Nachdem die Fasnet in Schömberg verboten worden ist, sei man eben in die Nachbargemeinde gegangen, meinte Gertrud Uttenweiler.

Die französische Besatzungsmacht hat es entweder nicht bemerkt, was unwahrscheinlich ist, oder eben toleriert. Auf jeden Fall war es ein närrischer Tanz auf dem Vulkan.

Dormettinger Narrenblättle im Schutz der Anonymität

1948 wurde auch in Dormettingen Fasnet gefeiert. Aber nicht auf den Straßen, sondern im Geheimen. Unter der Hand wurde eine „Dormettinger Narrenzeitung“ verkauft, die als „Organ der geheimen Dormettinger Narrendetektive“ bezeichnet wurde. Verantwortlich für die Redaktion zeichneten „Ich und die Anderen“.

Dringt man noch tiefer in die Geschichte der schwäbisch-alemannischen Fasnet in unserer Region ein, werden die Zeugnisse rarer. Nachrichten über das Brauchtum selbst findet man vor allem von Amts wegen – wenn gegen staatliche Auflagen verstoßen wurde.

Suspekte Narretei

Zu Beginn der 1920er-Jahre war die Fasnet noch etwas urtümlicher, anarchistischer und wilder als heute. Die damaligen Narren trafen auf eine Obrigkeit, der trotz demokratischer Legitimation die Narretei höchst suspekt war.

1923 wurde das unerlaubte Maskentragen an der Fasnet verboten. Auslöser war die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische Truppen. Kanzler Wilhelm Cuno rief die Bevölkerung zum passiven Widerstand auf. In ganz Deutschland gab es Streiks gegen die französische Besetzung.

Fasnet 1923: Drei Tage Gefängnis

Die Schömberger 20er allerdings ließen sich von dem Verbot nicht beeindrucken und feierten ihre Fasnet. Ob sie verpfiffen wurden oder ob Polizei anrückte, kann nicht mehr so genau gesagt werden. Letztlich wurden aber 13 20-jähirge Schömberger zu je drei Tagen Gefängnis verurteilt.

Die jungen Männer stellten Gnadengesuche bei der Württembergischen Regierung des Schwarzwaldkreises, die damals in Reutlingen residierte. Am 28. Juni wurde die Gefängnisstrafen in Geldstrafen in Höhe von 30.000 Reichsmark umgewandelt. Angesichts der rasenden Inflation dürfte man für dieses Geld dann bei Bezahlung nicht mal mehr ein Glas Bier bekommen haben.

Fasnetsverbot 1921: Strafe für den Dirigenten

Zwei Jahre zuvor war die Fasnet ebenfalls verboten. Nachdem die junge Weimarer Republik ein stürmische Jahr 1920 mit Kapp-Putsch und Unruhen in einige Regionen, beispielsweise in Oberschlesien, erlebt hatte, waren alle Zusammenkünfte suspekt. Vor allem dann, wenn die Teilnehmer vermummt waren.

Die Obrigkeit kannte ihre Schömberger – und zeigte Präsenz im Städtle. Als Vorsichtsmaßnahme waren sieben Polizisten aus Rottweil abkommandiert worden, um das Fasnetsverbot durchzusetzen. Gelungen ist das nicht. Selbst die Musikanten, die dem Umzug voranschritten, waren maskiert. Auf Anordnung von Bürgermeister Leipold hielten sich die Landjäger aber zurück, als der Narrenzug auf den Marktplatz kam.

„Spartakus! Nicht reizen!“

Dass damals die Fasnet schon politisch war, verdeutlicht eine Aussage des früheren Dirigenten des Musikvereins Friedrich Schwenk. Wulf Wager zitiert in seinem Buch „Fasnet in Schömberg“ Schwenks Ausführungen zum illegalen Umzug aus einem Interview des Süddeutschen Rundfunks von 1970.: „Und auf dem vorderen Plakat war geschrieben: ‚Spartakus! Nicht reizen!´"

Schwenk musste 35 Reichsmark bezahlen und damit die Verantwortung für die maskierten Musiker übernehmen.

1883 und 1884: In Schömberg geht‘s hoch her

Von einer „Rebellion in Schömberg“, die sich 1883 zugetragen hat, berichtet die Ortschronik, die der frühere Stadtschultheiß Söll verfasst hat. Auslöser war eine Hochzeit im Gasthaus Lamm, in dem es zu Streitigkeiten gekommen war, die sich über Wochen hingezogen hatten. Schließlich wurden fünf junge Männer wegen Beleidigung zu je sieben Tagen Arrest verurteilt. Das war der Anlass zu einer über zwei Jahre andauernden „großen Uneinigkeit“. Beschädigte Obstbäume, eingeworfene Fenster und Beleidigungen standen auf der Tagesordnung.

Dann kam die Fasnet. Die damals verurteilten Burschen „gaben ihren Ausschreitungen selbst den Namen ‚Rebellion‘“. Sie hielten ein Fasnachtsspiel vor der Sonne ab und spannten dazu große Tücher, damit man vom Lamm aus nichts sehen konnte. „Abends war ein Ball, nachher kam es zu Hochrufen, worauf die Rebellen mit Prügeln und Steinen bewaffnet die Stadt durchzogen“, heißt es in der Chronik.

Kreisregierung schickt bewaffnete Polizeikräfte

Vor dem Haus des Stadtschultheißen forderten die Rebellen, dass sich derselbige sehen lasse. Was dieser jedoch tunlichst unterließ. Schließlich rief der Bürgermeister die Ordnungsmacht. Es kam zur offenen Konfrontation. „In der Fasnacht wurden Polizei und Landjäger geworfen und geschlagen“, weiß die Ortschronik. Einer der Landjäger sei „auf den Boden gesprengt“ worden. Man entriss ihm das Gewehr und verprügelte ihn damit.

Nach diesen Ausschreitungen gab es für die darauf folgende Fasnet 1884 restriktive Auflagen. Die Kreisregierung Reutlingen entsandte acht Landjäger „mit dem strengsten Befehl, bei Ausschreitungen von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.“ Es blieb laut Chronik ruhig.

Weshalb die Fasnet nicht gleich komplett verboten wurde, darüber kann nur spekuliert werden. Geschert hätten sich die Schömberger Narren wohl kaum darum.