Hechingen

ZAK-Weihnachtsspendenaktion: André, der Kämpfer gegen seinen eigenen Kopf

19.12.2020

Von Lea Irion

ZAK-Weihnachtsspendenaktion: André, der Kämpfer gegen seinen eigenen Kopf

© Lea Irion

Manchmal macht der Kopf Dinge, die man nicht versteht. André lernt gerade, wie er damit leben kann (Symbolfoto).

Drei Stunden lang duschen, ganz arg langsam gehen, Dinge peinlichst genau zählen – das sind Zwänge, die Andrés Kopf ihm auferlegt. Sich wehren kann er nicht. Aber dank der BruderhausDiakonie in Hechingen lernt er, wie er damit leben kann. Denn ganz loswerden wird er diese Zwänge wohl nie.

Heute, am Tag des Interviews, scheint die Sonne. André ist gut drauf, sehr gut sogar. 26 Jahre alt ist er. Seine Lieblingsfarbe ist Blau und seine größte Leidenschaft die Geographie. Dinge im Kopf behalten konnte er schon immer sehr gut. Er kennt alle Kennzeichenkürzel in Deutschland auswendig und kann jedem amerikanischen Bundesstaat seine Hauptstadt zuordnen.

In Andrés Kopf sind viele Dinge. Manchmal zu viele. Das war nicht immer so, sagt er. Angefangen hat alles erst im Jugendalter. An seiner Schule war ein Fiesling, der ihm das Leben schwer machte. Einmal wurden seine Malstifte aus dem Fenster geworfen. Und irgendwann kamen die Symptome dazu. Zwänge, die seinen Kopf regierten.

„Wieder ganz gesund“ gibt es nicht

Im Jahr 2010 war es sehr schlimm, sagt er heute. André war auf einmal sehr dünn. Er ging immer langsam, weil er musste. Sein Kopf wollte es so. Es gab Zeiten, in denen er drei Stunden lang duschte. Uhrzeiten musste er auf den Punkt genau wissen. In seinem Alltag brauchte auf einmal alles einen festen Platz. Anders ging es nicht.

Seine beiden Brüder hatten dieses Krankheitsbild nicht. André hat sich heute damit abgefunden, dass es da irgendwas in seinem Kopf gibt, das ihn besonders macht.

Einmal nach New York

Er lebt seit vier Jahren im Unterstützungszentrum der BruderhausDiakonie in Hechingen. Dort lernt er mit Betreuenden, wie er sein Leben so strukturiert, dass er mit seinen Zwängen zurechtkommt. Denn ganz loswerden wird er sie wohl nie.

Mit strahlenden Augen erzählt André, wie er seinen Alltag inzwischen meistert. Um 9 Uhr steht er auf. Tabletten gehören da auch dazu, leider, aber sie helfen schließlich, sagt er. Beim Kochen am Mittag hilft er oft, Gemüse schneiden macht ihm Spaß. Die Einrichtung unterstützt ihn bei der Geldeinteilung, damit am Ende des Monats noch Geld zum Einkaufen übrig ist.

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Lasst euch von nichts verunsichern, glaubt immer an euer Ziel und macht euer Ding. André K.

Akzeptiert jeden Menschen, wie er ist. Und seid offener.

Es hilft André sehr, dass er in der BruderhausDiakonie wohnen kann. Sie gibt seinem Alltag Struktur, das würde er selber noch nicht hinbekommen, sagt er.

Er will mal New York sehen, einfach etwas Großes erleben. Und das unbedingt mit seiner Mutter.

Immer mal wieder gibt es Aktivitäten, an denen der 26-Jährige gerne teilnimmt. Schwimmen gehen steht weit oben auf der Liste. Das ist immer mittwochs. Wenn es warm ist, spielt er gerne Tischtennis oder werkelt bei der Gartenarbeit mit.

Bescheidene Zukunftswünsche

Es hilft André sehr, dass er in der BruderhausDiakonie wohnen kann. Sie gibt seinem Alltag Struktur, das würde er selber noch nicht hinbekommen, sagt er. Aber er hat schon viel an sich gearbeitet. Irgendwann, so hofft der 26-Jährige, kann er alles selber bewerkstelligen.

Die Einrichtung bietet im Rahmen des „Intensiven Wohnangebots“ eine gleichzeitig individuelle und intensive ambulante Betreuung. Das Konzept hat Vorbildcharakter und wurde auch schon in anderen Landkreisen aufgegriffen und adaptiert.

Bestätigung muss sein

Menschen, die zur BruderhausDiakonie nach Hechingen kommen, werden so betreut, wie sie es gerade benötigen. Das kann mal mehr sein, mal weniger, bleibt aber immer bedürfnisorientiert. „Realitätsnah“ eben, sagen zwei Mitarbeiterinnen. Das Konzept gefällt auch André. Richtig gut sogar, sagt er, und er sei einer, der auch mal kritisch ist.

Wenn André etwas sagt, schaut er meistens zu seiner Betreuerin, die während des Gesprächs an einem Tisch neben ihm sitzt. Er sucht Bestätigung, die er in Form eines Kopfnickens bekommt. Warum? Das weiß er nicht. Selbst dann, wenn er sich in einer Sache sicher ist, braucht er ein kurzes Zeichen, dass das, was er sagt oder tut, seine Richtigkeit hat.

Gute Stimmung, überall

Da, wo André ist, ist gute Stimmung. Zumindest hat man diesen Eindruck, wenn man sich mit ihm unterhält. Er lacht viel, ist sehr zuvorkommend, kann sich gewählt ausdrücken. Bei der Frage, ob er immer so gut drauf ist, muss er – trotz Mundschutz – sichtlich grinsen. „Meistens. Was heißt meistens... Oft. Also, fast immer.“

Blickt er auch so positiv in die Zukunft? Eigentlich schon, entgegnet der 26-Jährige. Wo er heute in zehn Jahren ist, kann er sich noch nicht vorstellen, diese Vorstellung ist ihm zu groß. Aber Ziele hat er. Er wolle mal New York sehen, einfach etwas Großes erleben. Und das unbedingt mit seiner Mutter.

Endlich einen Job haben

Ein Job steht für ihn aber an erster Stelle. Wenn alles klappt, könnte es schon im April 2021 soweit sein, sagen seine Betreuerinnen. Eigentlich wollte André immer Koch sein, hat auch mal in eine richtige Küche reingeschnuppert. „Aber das ist lange her“, sagt er. Ob es ihm immer noch liegt, müsste er erst ausprobieren.

Dann war da aber noch die Sache mit dem Verkauf. Dort zieht es ihn hin, eine Ausbildung zum Beispiel wäre schön. Das versteht man als Außenstehender direkt, denn André geht gut mit Worten um, er versteht etwas von Kommunikation. Ein eigener Job – das ist sein größter Wunsch. Ein sehr bescheidener noch dazu.

Liebe Grüße, euer André

Denn das ist Andrés Definition davon, im Leben weiterzukommen, etwas zu erreichen. Es liege zwar noch ein weiter Weg vor ihm, aber ganz am Ende, an der Ziellinie, sieht er sich als selbstständigen, jungen Mann, der Herr seines Kopfes ist – und nicht andersrum. Und dafür arbeite er hart an sich.

Das letzte Wort dieses Textes sollte André sich aussuchen. Er grübelt kurz, was er den Menschen da draußen am liebsten sagen wollen würde, und findet diese Worte: „Lasst euch von nichts verunsichern, glaubt immer an euer Ziel und macht euer Ding. Akzeptiert jeden Menschen wie er ist. Und seid offener. Liebe Grüße, euer André.“

Über die Weihnachtsspendenaktion

Der ZOLLERN-ALB-KURIER unterstützt in diesem Jahr die BruderhausDiakonie. Mit dem Geld, schlägt André vor, könnte man beispielsweise eine neue Dartscheibe kaufen. Dart würde er auch gerne selber spielen können.

Er mag es, die Weltmeisterschaften im Fernseher anzuschauen. Besonders toll findet er es, wenn jemand die begehrten 180 Punkte mit drei Pfeilen wirft, und der ganze Saal dann in Ekstase ausbricht.

Spenden und Bankkonto

Die Summe der Spenden beläuft sich derzeit auf 2080 Euro. Neu hinzu gekommen ist unter anderem eine 100-Euro-Spende von Birgit Petersohn-Bantle.

Das Spendenkonto der diesjährigen Weihnachtsspendenaktion des ZOLLERN-ALB-KURIER ist offen. Unter folgender Bankverbindung können Sie Ihre Spende einbezahlen:

Konto: BruderhausDiakonie, evangelische Bank eG

IBAN: DE31 5206 0410 0000 0040 06

BIC: GENODEF1EK1

Verwendungszweck: ZAK Weihnachtsspende

Gern werden wir auch die Namen eines Spenders und dessen Spendensumme veröffentlichen. Wer eine solche Veröffentlichung wünscht, sollte dies einfach beim oben bereits genannten Verwendungszweck dazu vermerken.

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