Skurriler Prozess am Balinger Amtsgericht geht weiter: Zeugen berichten von Beleidigungen

Von Nicole Leukhardt

Das Shirt des Angeklagten, der sich am Dienstag in einem mehrteiligen Prozess unter anderem wegen Beleidigung, Bedrohung und Körperverletzung wieder vor dem Balinger Amtsgericht verantworten musste, spricht Bände: „Mein Leben, meine Regeln“, war darauf zu lesen.

Skurriler Prozess am Balinger Amtsgericht geht weiter: Zeugen berichten von Beleidigungen

Am Amtsgericht Balingen wurde heute ein skurriler Prozess gegen einen 60-Jährigen fortgesetzt, der sich unter anderem wegen Körperverletzung und Beleidigung verantworten musste.

Einem Credo, dem der 60-Jährige auch während der Verhandlungen folgt (wir berichteten ausführlich) und damit Richterin, Staatsanwalt und sogar den eigenen Pflichtverteidiger an den Rand ihrer Beherrschung treibt. Denn zu diesen eigenen Regeln gehört offenbar die Tatsache, dass Musik nur gut ist, wenn sie laut ist. Und so ähnelten sich die Schilderungen der insgesamt acht Polizeibeamten, die am Dienstag vor dem Amtsgericht als Zeugen gehört wurden, auch. Oft begannen sie mit einem Einsatz wegen Ruhestörung.

Er mag Musik nur, wenn sie laut ist

Dass seine ohrenbetäubende Musik, ob nachmittags um zwei oder nachts um drei Uhr, die Nachbarn stört, scheint außerhalb des Vorstellungsvermögen des Angeklagten. „Ich höre laute Musik, seit ich denken kann“, erklärte er. So laut, dass er die Beamten vor seinem Haus meist wohl schlicht nicht verstanden habe und so gar nicht hätte wissen können, weswegen sie da seien.

Zwar betonte er mehrfach, vor „Uniformierten“ grundsätzlich Respekt, gelegentlich sogar Angst zu haben. Dennoch hielt ihn das nicht davon ab, die Polizisten mit Schimpfworten wie Wichser oder Arschloch zu bedenken. Manchmal schon, wenn sie sich seiner Wohnung nur näherten. Einmal sei dabei eine Cola-Flasche vom Balkon herunter geflogen, ein anderes mal habe er ihnen einfach alle Fenster vor der Nase zugemacht. „An dem Tag hatte er einfach keine Lust, mit der Polizei zu sprechen“, beurteilte einer der Zeugen das Verhalten.

„Ein ruhiges Gespräch ist fast unmöglich“

Überhaupt schilderten alle Zeugen übereinstimmend, dass der Angeklagte manchmal mehr oder weniger zugänglich und „mit Engelszungen“ zur Einsicht zu bewegen sei. An anderen Tagen habe er sofort dicht gemacht. „Wenn er anfängt, sich in etwas hineinzusteigern, lebt er in dieser Rolle regelrecht auf“, schilderte einer der Zeugen. Ein anderer bestätigte: „Ein normales und ruhiges Gespräch mit ihm zu führen, ist kaum möglich, das ist immer so“. Und wiederum ein weiterer Zeuge konnte keinen Unterschied feststellen, ob der Angeklagte nüchtern, angetrunken oder betrunken ist: „Man führt mit ihm endlose Diskussionen, egal ob er alkoholisiert ist oder nicht.“

Und auch die bleiben nicht immer freundlich. Denn, das erklärte der 60-Jährige dann auch wie so oft ungefragt, er lege nach eigenen Regeln fest, was eine Beleidigung, gar eine Bedrohung sei und was nicht. Über die einen zog er auf seinem Facebook-Profil her, andere schrie er persönlich an. Die Aussage „Ihr gehört alle mit Benzin angezündet und angebrannt“, die er Beamten auf der Dienststelle gegenüber geäußert hatte, sei für ihn „ganz normal“, lediglich eine freie Meinungsäußerung.

Der Angeklagte ist psychisch krank

„Ist denn nicht jeder von uns ein bisschen so wie ich, wenn er gestresst ist?“, wandte sich der redselige Angeklagte schließlich ans Publikum, das er zu Beginn der Verhandlung mit einem gutgelaunten „Grüßgottle in die Runde“ begrüßt hatte. Richterin Gekeler hatte zuvor den Sachverständigen zum psychischen Zustand des Manns auf der Anklagebank befragt. Dieser hatte ihm eine schizo-affektive Störung attestiert.

„In nicht-manischen Phasen könnte er durchaus krankheitseinsichtig sein“, so der Gutachter. Doch dann kämen Scham und die Angst vor Gesichtsverlust hinzu. „Viele Erkrankte versuchen dann, ihr Verhalten mit dem von anderen zu rechtfertigen und viele lehnen Medikamente auch grundsätzlich ab“, erklärte er. Zwar müsse jeder durchschnittliche Mensch ein breites Spektrum an Gefühlen aushalten und könne dabei auch an seine Grenzen gelangen. „Dennoch gelingt es dem Großteil, die Reaktionen zu steuern und zu kontrollieren ohne straffällig zu werden“, wandte er sich an den Angeklagten.

Der Mammutprozess wird am 3. September fortgesetzt; am 17. Oktober soll das Urteil fallen. „Das wird lustig“, kommentierte der Angeklagte. Die Richterin äußerte erhebliche Zweifel.