„Situation ist beschissen“: Balinger Revierchef Gerhard Schuler stellt Kriminalitätsbericht vor

Von Lea Irion

1606 Straftaten haben Balinger Polizeibeamte im Jahr 2019 im Raum Balingen erfasst, wovon 782 Tatverdächtige ermittelt werden konnten. Das sei die niedrigste Aufklärungsquote seit Jahren – bei parallel sinkenden Personalzahlen, die der Balinger Revierchef Gerhard Schuler als „auf gut Schwäbisch beschissen“ betitelte.

„Situation ist beschissen“: Balinger Revierchef Gerhard Schuler stellt Kriminalitätsbericht vor

Polizeibeamte im Einsatz (Symbolfoto).

Wie kriminell geht es im Raum Balingen zu? Der Interimsleiter des Balinger Polizeireviers Gerhard Schuler stellte in der Sitzung des Gemeinderates am Dienstagnachmittag den Kriminalitätsbericht für das Jahr 2019 vor – mit zahlreichen Daten und Fakten.

Insgesamt 1606 Straftaten zählten die Balinger Polizisten im Jahr 2019. „Wir haben uns im Vergleich zum Vorjahr leicht verschlechtert“, so Schuler in Bezug auf die sogenannte Häufigkeitszahl. Diese gibt an, wie viele Straftaten im Durchschnitt auf 100.000 Einwohner kommen. Die Stadt Balingen liegt hier bei einem Wert 4694 Straftaten.

Im Vergleich mit benachbarten Städten schneidet Balingen hier besser als Albstadt, aber schlechter als Hechingen ab. Im Zollernalbkreis allgemein liegt der Wert hingegen unter dem Balinger Wert. Die allgemeine Entwicklung der Häufigkeitszahl ist im vergangenen Jahrzehnt jedoch positiv, wonach sie im Raum Balingen stetig abgenommen hat.

Fahrräder beliebte Beute

Die Aufklärungsquote der Straftaten schneidet im Jahr 2019 im Vergleich ebenfalls schlechter ab. Demnach wurden 63,5 Prozent aller im Raum Balingen erfassten Straftaten aufgeklärt, 2018 waren es noch 64,2 Prozent. „Wenn man die vergangenen zehn Jahre in Betracht zieht, liegt die Aufklärungsquote bei 64,2 Prozent“, so Revierchef Schuler.

Insgesamt 74 der erfassten Verbrechen fielen unter die Kategorie Gewaltkriminalität, dazu zählen etwa Mord oder Totschlag. 247 Fälle zählten zur Straßenkriminalität – in diesem Zusammenhang wies Schuler auf die gestiegene Anzahl an gestohlenen Fahrrädern hin.

„Der Fahrraddiebstahl allein hat im Vergleich zum Vorjahr um 16 Fälle zugenommen, was einer Zunahme um 22,7 Prozent entspricht“, führte der Beamte aus. Zwei Täter wurden hierbei ermittelt, denen mehrere Diebstähle nachgewiesen werden konnten.

„Heroin kein Thema mehr“

Bezogen auf Raubdelikte erinnerte Schuler besonders an den laut Schuler „spektakulären“ Fall aus 2019, als ein heute verurteilter 81-Jähriger aus Minden die Sparkasse in der Friedrichstraße überfallen hatte. „Das war der einzige schwere Raubüberfall in 2019“, so der Balinger Revierchef. Man müsse berücksichtigen, dass Diebstahl in Kombination mit Gewalt immer Raub darstelle; nach diesen Kriterien belaufe sich die Gesamtzahl der Raubdelikte in 2019 auf 13 Fälle.

In Sachen Rauschgiftkriminalität zählten die Balinger Polizisten 171 Verstöße gegen das Gesetz. Laut Schuler ist das die höchste Zahl seit 2009 – was aber auch mit der erhöhten Kontrollzahl des Reviers zu tun habe. „Ich prognostiziere mal, dass die Zahlen auch 2020 weiter steigen werden“, fügte der Beamte an und ergänzte: „Wenig Kontrollen entsprechen wenigen Fällen, viele Kontrollen entsprechen vielen Fällen. Seit 2018 haben wir unsere Präsenz dahingehend intensiviert.“

Nur 782 Tatverdächtige ermittelt

Angela Godawa (SPD) erkundigte sich, inwiefern sich die konfiszierten Stoffe im Vergleich zu vorangegangenen Jahren geändert haben. Diese Frage kam nicht von irgendwoher; so wurde nämlich jüngst im Frommerner Ortschaftsrat genau diese Thematik behandelt.

Am dortigen Bahnhof häufen sich derzeit Drogendelikte mit sogenannten Legal Highs, also psychotropen Substanzen, deren Kräutermischungen häufig als Badesalze oder ähnliches getarnt werden, um das Betäubungsmittelgesetz zu umgehen.

„Heroin spielt fast keine Rolle mehr. Was uns große Sorgen macht, sind die Kräutermischungen, die man leicht im Internet bestellen kann“, antwortete Schuler. Das Heimtückische sei, dass man nie genau wisse, was in den Substanzen steckt. „Die Jugendlichen haut es von diesen Drogen, salopp gesagt, deutlich schneller aus den Socken“, fügte Balinger Revierleiter an. Besserung in Sachen Prävention verspricht sich der Beamte durch Sozialarbeiter.

Großteil der Täter ist deutsch

Von den erfassten 1606 Fällen wurden 782 Tatverdächtige ermittelt. „Das ist der niedrigste Stand seit 2010“, merkte Schuler an. Von den ermittelten Straftätern besitzen 74,8 Prozent einen deutschen Pass, die restlichen 25,2 Prozent sind „Nichtdeutsche“, so der Revierchef. 200 der 782 Täter sind Frauen, was einer Zunahme von 11,1 Prozent entspricht. Der Anteil der Jugendlichen beziehungsweise Kinder unter den Straftätern ging zurück.

29 Straftaten sind auf Flüchtlinge zurückzuführen. Auch diese Zahl nahm in den beiden vorangegangenen Jahren ab; waren es 2017 noch 72 Straftaten durch Flüchtlinge, fiel die Zahl bereits in 2018 auf 45.

Erfreulicherweise zählte das Polizeirevier im Jahr 2019 keine Toten durch Verkehrsunfälle. Erfasst wurden 473, wovon 23 Verstöße im Zusammenhang mit Alkohol festgestellt wurden. Leichtverletzte gab es 136, Schwerverletzte hingegen nur 21. „Es wäre schön, wenn das 2020 so bleiben würde“, kommentierte Schuler in Bezug auf die Zahl der Verkehrstoten.

Personal nimmt stark ab

In Sachen Corona mussten 117 zusätzliche Beamten im Raum Balingen eingesetzt werden, um den sich stetig aktualisierenden Vorkehrungen gerecht werden zu können. Schuler konnte zudem berichten, dass es im Zollernalbkreis im Jahr 2020 keine Zunahme der häuslichen Gewalt wegen Corona gegeben habe, wie hingegen im Vorfeld von einigen Experten aufgrund der Pandemie prognostiziert wurde.

Zugenommen haben hingegen die sogenannten Enkeltricks, wonach ältere Mitmenschen durch Anrufe falscher Polizeibeamten um ihr Erspartes gebracht werden. Während Albstadt hier 117 Fälle zählt, wurden im Raum Balingen nur 58 erfasst, wovon die Dunkelziffer jedoch weit höher liegen könne.

Ebenfalls weniger erfreulich gestaltet sich die Personalsituation im Balinger Polizeirevier, für die der Revierchef deutliche Worte findet: „Die Situation ist im Moment auf gut Schwäbisch gesagt beschissen.“ Im September erwartet das Revier einen neuen Personaltiefpunkt, denn es werden mehr Beamte in den Ruhestand verabschiedet, als neue nachkommen.

Hoffnungsschimmer 2021

Sevgi Turan-Rosteck (Grüne) erkundigte sich im Hinblick auf die niedrige Aufklärungsrate bei Schuler, ob es einen Zusammenhang mit der schwindenden Polizistenzahl gebe. „Das ist sehr schwer zu beantworten. Bei so vielen Straftaten steht eine starke oder schwache Aufklärungsquote oftmals mit den Straftaten selbst in Verbindung“, antwortete der Polizist.

Der Hoffnungsschimmer am Horizont sei das Frühjahr 2021: „Wir hoffen, dass wir da zum ersten Mal seit Jahren mit einem Personalzuwachs rechnen können.“