Vogelkundler Dieter Haas im Porträt: Sein Traum ist, mit 95 im Himalaya abzustürzen

Von Thomas Faltin

Albstadt ist eine der waldreichsten Kommunen Baden-Württembergs, hier gibt es viele wertvolle Naturschutzgebiete, und die Traufgänge haben einen wahren Wanderansturm ausgelöst. Albstadt ist Natur. Aber wer kümmert sich eigentlich darum, dass das so bleibt, und wer macht den Menschen das Outdoorerlebnis angenehm? Thomas Faltin, der diesjährige Albschreiber der Literaturtage, stellt in einer Porträtserie einige „Albstädter Naturmenschen“ vorstellen. Heute: der Ornithologe Dieter Haas.

Vogelkundler Dieter Haas im Porträt: Sein Traum ist, mit 95 im Himalaya abzustürzen

Dieter Haas und eines der berühmten Pfeffinger Highlandrinder.

Es liegt ihm im Blut, und er wird es nie wieder los. Das Vogelvirus, die Liebe zu allen fliegenden Geschöpfen. Bei Dieter Haas, der seit fast 40 Jahren in Albstadt lebt, zuerst in Tailfingen, jetzt in Pfeffingen, sind die Vögel ein herausragender Teil seiner Kindheitserinnerungen, und die prägen bekanntlich am meisten.

Mit dem Papa auf den See hinaus

Denn er wuchs am Federsee auf, sein Vater war Lehrer und Naturschutzbeauftragter. Unzählige Male hat der kleine Dieter ihn auf den See hinaus begleitet; schon früh am Morgen, vor Sonnenaufgang sind sie losgerudert. Später durfte er auch ohne den Vater in einer Hütte am See übernachten.

Noch heute fährt er mit seinem Wohnmobil an den Federsee

„Nur Mädle durfte man nicht mitnehmen, aber das haben wir hehlenga gemacht“, sagt Haas und lacht. Noch heute fährt er oft mit seinem Wohnmobil, das ihm ein spontanes Losreisen erlaubt, an den Federsee und schläft in der Hütte, die man nur mit dem Boot erreichen kann. Diese emotionale Bindung an die Ornithologie gibt ihm die Kraft, all die langen Debatten, harten Kämpfe und großen Widerstände auszuhalten.

Akribisch arbeitet er sich in Themen ein

In der Sache aber ist Dieter Haas dann erstaunlich kühl. Akribisch arbeitet er sich in Themen ein, und seine Beharrlichkeit hat vermutlich schon manchen Politiker und durchaus auch andere Naturschützer in die Verzweiflung getrieben. Denn Haas folgt nicht dem Mainstream, er hat seinen eigenen Kopf und bildet sich selbst eine Meinung.

Ein Beispiel: Selbst der Nabu verfolgt die Linie, dass in den Wäldern Baden-Württembergs mehr Rehe und Wildschweine geschossen werden sollten, weil diese alle jungen Baumschösslinge wegfressen.

Ein Gynäkologe mit der Faszination für die Natur

Dieter Haas ist anderer Ansicht: Die Rehe würden die Wälder offen halten – und das sei gut für alle Vogelarten, die Lichtungen bräuchten. Wer nun glaubt, Dieter Haas habe Biologie studiert, der irrt. Er ist tatsächlich Gynäkologe geworden und hat lange in Tailfingen eine Praxis betrieben.

Seine Leidenschaft gehörte stets den Tieren

Mittlerweile ist sie zu, Haas ist ja bereits 74 Jahre alt. Aber seine Leidenschaft gehörte stets den Tieren, vor allem den Vögeln. In den 1980er und 1990er Jahren betrieb er im Garten neben seinem Haus eine Vogelstation und kümmerte sich, wie schon sein Vater, um verletzte Störche und Milane. Er schrieb Bücher, kämpfte um mehr Vogelschutz. „Das war ein riesiger Stress“, räumt er heute ein.

Sein größter Erfolg ist der Kampf gegen den Stromtod

Seine Frau lief ihm damals davon, was er heute durchaus verstehen kann. Und er selbst musste des Öfteren an den Federsee fahren, um in der Hütte wieder zu sich selbst zu finden. Aber für Dieter Haas hat sich alles gelohnt. Sein größter Erfolg ist der Kampf gegen den Stromtod. Zigtausende von großen Vögeln kamen an den Stromleitungen zu Tode, Haas zeigt ein Bild, auf dem aufgestapelte tote Störche zu sehen sind. Alle umgekommen auf dem „elektrischen Stuhl“, auf den „Killermasten“, wie Haas die Leitungen bezeichnet.

Masten wurden mit Isolatoren ausgestattet

Vor 30 Jahren haben dann, vor allem dank seines unablässigen Einsatzes, die Energieversorger angefangen, die Masten mit Isolatoren auszustatten. „Heute hat Deutschland die beste Gesetzgebung der Welt“, sagt Haas. In anderen Ländern sieht es aber weiter düster aus. Sein Kampf wird deshalb niemals enden. Zwei andere Projekte beschäftigen den Hobbyornithologen ebenfalls seit langem, bisher allerdings mit offenem Ausgang.

Haas widmet sich der Aasökologie

Zum einen setzt er sich dafür ein, Futterplätze für Geier anzulegen. Man weiß, dass auch bei uns Geier häufig durchziehen, aber die Tiere bleiben nicht, weil kaum noch ein totes Tier irgendwo herumliegt. Aasökologie heißt diese Sparte, der sich Haas mit Hingabe widmet. Begeistert zeigt er Fotos von toten Bibern, denen die Fliegenmaden aus dem Maul quellen.

Extrem scheue Raubvögel

Schon mehrfach hat Dieter Haas es geschafft, so einen „Luderplatz“ bei den Behörden durchzuboxen. Aber weil kaum Geier kamen, schlief das wieder ein. Geier seien halt extrem scheu, meint Haas.

Haas fördert die Ansiedlung von Geiern

Man müsste verletzte Geier, die nie wieder fliegen könnten, etwa aus Spanien, in einer Großvoliere neben dem Fressplatz halten – dann fühlten sich die durchfliegenden Geier sicher und kämen herab. Zum anderen will Dieter Haas naturnahe Weidelandschaften schaffen. Die Wiesen heute würden zu oft gemäht, Bodenbrüter würden in Massen getötet.

Weidevieh fördert den Bestand an Vögeln

Wenn man Rinder oder Hirsche auf diesen Wiesen hielte – nicht zu viele natürlich – und nicht mehr mähte, dann würden die Wiesenvögel zurückkehren, ist sich Haas sicher. Zumal die großen Weidetiere viel Dung produzieren, der Insekten anzieht, von denen sich wiederum Vögel und Fledermäuse ernähren könnten.

Dicke Bretter bohren in Sachen Naturschutz

In Holland gibt es bereits ein 5600 Hektar großes Gebiet namens Oostvaardersplassen mit Konikpferden: Ein wenig erinnert diese reich strukturierte Wiesenlandschaft an die großen Tiersteppen Afrikas. Aber da die EU vor allem Mähwiesen finanziell unterstützt, muss man in dieser Sache ganz, ganz dicke Bretter bohren. Dieter Haas hat keine Angst davor.

Die Natur liegt direkt vor der Haustür

Das beschauliche Pfeffingen ist ihm ein Ruhepol geworden in seinem noch immer hektischen Leben. Seine jetzige Frau könnte sich gut vorstellen, in Tübingen oder Ulm zu wohnen. Er selbst nicht. „Mir geht hier nichts ab, im Gegenteil“, sagt er. Vor allem liegt die Natur direkt vor der Haustür – und Haas ist schon der Meinung, dass in Albstadt die Landschaft noch vielfältiger und die Tier- und Pflanzenwelt noch artenreicher sei als anderswo, auch wenn es einige bedenkliche Tendenzen gebe.

Baumeister rund ums Wasser

Und natürlich setzt er sich auch in Albstadt für diese Natur ein. An diesem Vormittag zeigt er mir einige Kleinode. Wir fahren nach Tailfingen an die Schmiecha, wo Biber einen großen Damm gebaut haben.

Das kleine Bächchen hat sich zu einem See aufgestaut, manche Bäume liegen gefällt im Wasser: „Dieses Gebiet ist jetzt unglaublich artenreich geworden“, sagt Haas: „Aber es fällt vielen Leuten schwer, die Biber einfach machen zu lassen.“

Zwischen Bibern und Hochlandrindern

Auch an einem kleinen See an der Eselsmühle, direkt an der Bundesstraße von Ebingen nach Straßberg, leben Biber. Und auf der Rückfahrt halten wir bei den Highland-Rindern zwischen Margrethausen und Pfeffingen – Weidelandschaft im Kleinen, wie Haas sie sich wünscht. Doch der Besitzer durfte keinen Heuwagen auf die Wiese stellen, weil er kein Landwirt war, sondern die Tiere nur zum Hobby hält.

Die Behörden sollen froh sein, wenn sich Menschen engagieren

„Das ist doch absurd“, meint Haas: „Die Behörden sollen doch froh sein, wenn sich Menschen engagieren.“ Am Ende lenkte die Verwaltung ein. Schon seine Ornithologie hat Dieter Haas in alle Welt geführt – aber das Reisen ist auch an sich eine Passion für ihn.

„Wir waren unheimlich neugierig“

Im Januar geht es nach Kenia. Dort, in Afrika, fing auch alles an: Schon mit 14 Jahren war er mit seinem Bruder nach Marokko getrampt – damals wie heute beinahe unvorstellbar. „Wir waren unheimlich neugierig“, sagt Haas über seinen Antrieb. Er fuhr mit einem alten VW Bus von hier bis nach Nepal und saß in Peru mit einem Freund eine Woche im Gefängnis, weil sie in verbotene Gebiete gefahren waren und man sie für Spione hielt.

Achtung für Tiere und die Natur - das wünscht sich Dr. Haas

Über seine Reiseerzählungen kommt Dieter Haas am Ende gar ins Philosophieren. In Asien hat er sich mit dem Hinduismus beschäftigt: Das sei noch eine echte Naturreligion – die Tiere würden hochgeachtet, weil jeder Mensch in einem Tier wiedergeboren werden könnte. So eine Einstellung würde er sich auch für Europa wünschen.

Ein persönlicher Wunsch zum Schluss

Und im Buddhismus würden die menschlichen Leichen teilweise sogar noch auf Felsen gelegt, und Geier würden sie in den Himmel entführen. Das gefällt Dieter Haas. Ganz ohne gefragt zu werden, sagt er zum Schluss etwas sehr Persönliches: „So würde ich auch gerne sterben: Ich stürze bei einer Bergtour im Himalaya ab und werde von den Geiern gefressen. Was Besseres kann mir nicht passieren – aber erst mit 95 Jahren.“