Meßstetten

„Schulöffnung kein richtiger Plan und großes Experiment“: Kreis-GEW kritisiert Bildungspolitik

13.07.2020

von GEW-Stellungnahme

„Schulöffnung kein richtiger Plan und großes Experiment“: Kreis-GEW kritisiert Bildungspolitik

© Rosalinde Conzelmann

Nach den Sommerferien sollen in den monatelang leeren Klassenzimmern, wie hier in Rosenfeld, wieder „fast regulärer“ Unterricht stattfinden.

„Fast regulärer Schulbetrieb nach den Sommerferien“ titelte die Südwestpresse am vergangenen Donnerstag. Dazu erreichte uns nun eine Stellungnahme vom GEW-Kreisvorsitzenden Bernd Romer aus Meßstetten. Er übt harsche Kritik an der Bildungspolitik der Landesregierung und wirft der Ministerin vor, keinen Plan zu haben.

Romers Ausführungen im Folgenden im Wortlaut:

„Jedes Jahr schreibt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Zollernalbkreis zu Beginn des Schuljahres einen Leserbrief, um auf die desolate Lage an den Schulen, besonders im Zollernalbkreis, hinzuweisen.

Leider könnte es jedes Jahr derselbe sein. Auch im neuen Schuljahr werden wir wieder mit viel zu wenig Lehrkräften starten. Bereits jetzt fehlen über 40 Lehrkräfte im Schulamtsbezirk Albstadt. Kaum eine Schule kann mit voller Personalstärke ins neue Schuljahr starten.

Staatliches „hire and fire“

An einigen Schulen ist momentan sogar dermaßen Land unter, dass zum jetzigen Zeitpunkt ein Unterrichten im nächsten Schuljahr kaum möglich scheint. Die Krankheitsreserve wird vor dem Start im Herbst, wie schon in den Jahren zuvor, bereits gänzlich aufgebraucht sein.

Die coronabedingten Ausfälle sind dabei noch gar nicht eingerechnet. Das Land stopft seine Lücken in der Lehrkräfteversorgung im Normalbetrieb dann mit Hilfslehrkräften, die vom ersten bis zum letzten Schultag beschäftigt werden. Danach sind diese völlig unterschiedlich qualifizierten, aber dringend benötigten Menschen in den Sommerferien arbeitslos, um im Herbst des folgenden Jahres wieder mit einem neuen Kettenvertrag eingestellt zu werden.

Staatliches „hire and fire“ in Reinform.

Land treibt Spiel mit Lehrern

Gerne betreibt das Land dieses Spiel auch mit qualifizierten Lehrkräften aus dem Ausland. Ihnen wird dann die Anerkennung als Lehrkraft verweigert, weil das Regierungspräsidium ihre Qualifikationen nicht anerkennen kann.

Es fehlt diesen mal ein zweites Fach oder das Referendariat. Obwohl diese Lehrkräfte in europäischen Ländern studiert haben und zum Teil langjährige Berufserfahrung und noch andere Qualifikationen nachweisen können, werden sie nicht langfristig angestellt.

Als Aushilfslehrkraft dürfen sie dann seltsamerweise aber alles unterrichten, was gerade anfällt, nur die Bezahlung und Befristung unterscheidet sie dann von den Kolleginnen. Die Gewerkschaft protestiert vor und nach den Sommerferien regelmäßig dagegen und die GEW macht auch ständig Vorschläge, diese Missstände zu beheben.

So könnten beispielsweise die Anwärter gleich nach ihrem Referendariat übernommen und nicht erst nach den Sommerferien eingestellt werden. Dadurch könnte zum Beispiel die Abwanderung in die Schweiz verhindert werden.

GEW-Vorschlag stößt auf taube Ohren

Der Vorschlag, die Krankheitsreserve deutlich aufzustocken und Lehrkräfte mit einer Zulage in die scheinbar unattraktiven ländlichen Gebiete zu locken, stößt seit Jahren auf taube Ohren.

Dass grundsätzlich mehr Lehrkräfte ausgebildet werden müssen und den geeigneten Hilfslehrkräften mit Jahresverträgen und der Chance auf eine Qualifizierung eine Perspektive gegeben werden muss, oder europäische Abschlüsse unbürokratisch anerkannt werden, ist ebenso eine langjährige Forderung der GEW.

Lehrkräfte-Bashing ist Realität

Das ständig Lehrkräfte-Bashing der Kultusministerin verhindert zudem eine sachliche Diskussion um die tatsächlichen Belastungen im Lehrberuf.

Die Arbeitszeit ist nämlich deutlich höher, als das Deputat suggeriert. Die Arbeitsbedingungen haben sich durch höhere Deputate und immer mehr Aufgaben deutlich erhöht. Nur ein Viertel der Lehrkräfte schafft es, bis zur Pension zu arbeiten.

Kein Jammern auf hohem Niveau

Die Altersermäßigung wurde reduziert, obwohl diese die wichtigste Entlastung war. Wer jetzt meint, dies sei Jammern auf hohem Niveau, der verkennt, dass es für den Zollernalbkreis auch zum konkreten Standortnachteil werden kann, wenn die schlechte Versorgung mit Lehrkräften und die dadurch verursachten Unterrichtsausfälle zu einem Absinken des Bildungsniveaus führen.

In Corona-Zeiten treten diese Missstände nun noch deutlicher zu Tage. Mit dem „fast regulären Schulbetrieb“ startet das Kultusministerium zudem ein großes Experiment.

Der Verzicht auf die Abstandsregelung und ein voller Präsenzunterricht gefährdet Lehrkräfte, Kinder und deren Familien. Klassen mit bis zu 31 Kindern sind in dieser Situation, wo viele im Urlaub zahlreiche Kontakte hatten, nicht zumutbar.

Es wird nicht wie vorher

Bei der grundsätzlich schlechten Versorgung mit Lehrkräften und den zu großen Klassen wird es deutliche Unterrichtsausfälle geben. Es wird nicht wie vorher. Ein richtiger Plan ist es jedenfalls nicht, nur das Abstandsgebot aufzuheben, wenn die strukturellen Probleme nicht angegangen werden.“

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