Oberes Schlichemtal

Risikopatientin aus dem Schlichemtal: „Ich möchte schon noch ein paar Jährchen leben“

10.04.2020

Von Daniel Seeburger

Risikopatientin aus dem Schlichemtal: „Ich möchte schon noch ein paar Jährchen leben“

© Daniel Seeburger

Menschen mit Vorerkrankung zählen zu den im Falle einer Sars-CoV-2-Infektion als Risikopatienten (Symbolfoto).

Für Johanna (54, richtiger Name der Redaktion bekannt) ist die Coronakrise auch eine ganz persönliche Krise. Denn Johanna ist chronisch krank, zählt zu der Gruppe der Risikopatienten, die als besonders gefährdet gelten, wenn sie sich mit Sars-Cov-2 infizieren.

Hand aufs Herz: Wenn wir hören, dass ein Patient an Covid-19 gestorben ist, schauen wir zuerst aufs Alter, dann auf mögliche Vorerkrankungen. Denn gerade ältere und bereits kranke Menschen gehören zu den Risikogruppen, bei denen das Virus sehr gefährlich werden kann. Selbst ist man noch unter 65 und eigentlich gesund. Man atmet auf.

Die 54-jährige Johanna aus einer Schlichemtalgemeinde atmet nicht auf. Denn sie gehört zu einer Risikogruppe. Wenn sie sich mit Sars-CoV-2 infiziert, könnte das für sie das Todesurteil bedeuten. Entsprechend vorsichtig ist sie, geht nur noch nach draußen, wenn es sich nicht vermeiden lässt.

Schwere Autoimmunerkrankungen

Johanna leidet unter Kollagenesen. Das sind sogenannte systemische Autoimmunerkrankungen, die auch die Blutgefäße angreifen können. Bei Kollagenesen werden verschiedene innere Organe in Mitleidenschaft gezogen, aber auch Haut und Gelenke sind betroffen. Es sind Autoimmunerkrankungen, bei denen sich das Immunsystem des Menschen gegen den eigenen Körper richtet. Therapien gibt es bisher nicht, lediglich Medikamente, die den Krankheitsverlauf lindern.

Vier verschiedene Rheumaarten

„Ich habe sozusagen vier verschiedene Rheumaarten und zusätzlich eine Fibromyalgie, eine besondere Form von Weichteilerheuma.“ Dazu kommen bei ihr Diabetes und das Fatigue-Syndrom, unter dem auch Krebspatienten leiden. Das ist eine chronische Erschöpfung, die durch Schlaf nicht zu beheben ist. Sie trifft den Kranken unverhofft und ohne dass er sich zuvor angestrengt hat.

„Rheuma ist keine Krankheit, die nur alte Menschen bekommen“, sagt die Schlichemtälerin. Es habe lange gedauert, bis die Ärzte überhaupt entdeckten, woran sie erkrankt ist, erklärt sie. Johanna begab sich auf Spurensuche, wollte wissen, seit wann sie überhaupt an Kollagenesen leidet. „Die Krankheit hat womöglich schon in meiner Kindheit begonnen“, vermutet sie.

Eingeschränkte Bewegungsfähigkeit

Johannas Bewegungsfähigkeit ist durch ihre Krankheit stark eingeschränkt. Oft ist sie auf Krücken angewiesen. „Zuhause gehe ich die Treppe rückwärts runter“, verrät sie. In der Öffentlichkeit allerdings beißt die 54-Jährige auf die Zähne. Man soll nicht sofort sehen, dass sie Probleme beim Treppensteigen hat.

Als wenn ihre Erkrankungen nicht schon heftig genug wären, sieht sich Johanna seit einigen Wochen nun auch noch mit der Sars-CoV-2-Pandemie konfrontiert. „Ich habe mir selbst eine Quarantäne verordnet“, sagt sie.

Menschen halten keinen Abstand

Manchmal lässt sich der Kontakt mit der Außenwelt allerdings nicht vollkommen vermeiden. Die meisten Personen, denen sie begegnet, seien vernünftig. „Aber immer wieder halten die Menschen keinen Abstand oder pfeifen auf die Hygieneregeln“, beobachtet die Schlichemtälerin. „Das ist sehr ärgerlich“, bedauert sie.

Ihr Arzt hat Johanna schon mehrmals gesagt, dass sie sehr gefährdet sei, wenn sie sich das Coronavirus einfängt. Deshalb geht sie auch nicht mehr ins Wartezimmer, sondern hat einen extra Raum, in dem sie auf die Behandlung wartet. Als Vorsichtsmaßnahme musste sie ein Medikament absetzen, das die Funktion ihres Immunsystems einschränkt. Problemlos ging das allerdings nicht. „Mein Immunsystem ist praktisch hyperaktiv“, erklärt sie.

Sonnenlicht löst Rheumaschübe aus

Gehen andere Menschen in die Natur, um das schöne Wetter zu genießen und ihr Abwehrsystem zu stärken, muss Johanna in der Wohnung bleiben. „Das Sonnenlicht kann bei mir einen Rheumaschub auslösen“, erklärt sie. Dadurch ist der Vitamin-D-Spiegel heruntergefahren – mit einem weiteren Medikament bekommt sie auch dieses Problem in den Griff.

Durch ihr reduziertes Immunsystem ist Johanna anfällig für alle Arten von Allergien. Sie leidet beispielsweise an Heuschnupfen. „Jeder Pollen, der im Frühjahr durch die Luft fliegt, schlägt bei mir an“, sagt sie.

Keine Angst, aber erhöhte Vorsicht

Dass sie während der Coronavirus-Pandemie gefährdeter ist, als viele andere Menschen, ist ihr klar. Angst hat sie trotzdem nicht, Panik ist ein Fremdwort für sie. „Ich nehme das ernst“, sagt sie und ist froh, dass sie sich auf ihren Ehemann und ihren erwachsenen Sohn rückhaltlos verlassen kann. „Ich betrachte die Gefahren realistisch und mit meinem gesunden Menschenverstand“, erklärt die 54-Jährige.

Dass sie sich selbst schützt, so gut es geht, ist für Johanna logisch. Aber sie hat auch noch einige Bitten an ihre Mitmenschen. „Bleiben Sie realistisch und kaufen Sie die Regale des Supermarkts nicht leer“, appelliert sie. Ein ganz besonderes Anliegen hat sie angesichts der Beiträge, die in den Sozialen Netzwerken geteilt werden. „Glauben Sie diesen ganzen Verschwörungstheorien nicht“, erklärt die Schlichemtälerin

„Es kann eben jeden treffen“

Dass sie mit einer größeren Gefahr konfrontiert ist, als viele andere Menschen, ist für sie klar. Aber sie weiß, dass auch eine gute körperliche Konstitution nicht unbedingt eine Voraussetzung dafür ist, nur milde Krankheitssymptome zu entwickeln. Erst vor wenigen Tagen sei ein guter Bekannter, mit dem sie öfter über Facebook kommuniziert hat, an Covid-19 gestorben. „Er war knapp über 50 und hatte keine Vorerkrankungen. Es kann eben jeden treffen“, sagt Johanna.

Wenn die Verhältnisse so schlimm werden sollten wie in Frankreich oder Italien, wo Ärzte eine Auswahl treffen müssen, welche Patienten beatmet werden und welche man sterben lässt, weil es zu wenig Beatmungsplätze gibt, sieht die Schlichemtälerin für sich selbst schwarz. „Wenn ich mich infiziere und es mir dann schlechter geht, muss ich erst gar nicht in Krankenhaus fahren“, sagt sie.

Dabei hat Johanna noch einiges vor in der nächsten Zeit. „Ich möchte eigentlich schon noch ein paar Jährchen leben“, sagt sie.

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