Razzia gegen bewaffnete „Reichsbürger“: Auch Festnahmen und Durchsuchungen in der Region

Von Benno Haile/Volker Bitzer/Pressemitteilung

Eine bewaffnete Gruppe von „Reichsbürgern“ soll einen Staatsstreich geplant haben. Die Generalbundesanwaltschaft hat am Mittwochmorgen bei 52 Beschuldigten Durchsuchungen veranlasst und 25 Verdächtige festgenommen – auch im Zollernalbkreis und den Nachbarlandkreisen.

Razzia gegen bewaffnete „Reichsbürger“: Auch Festnahmen und Durchsuchungen in der Region

Über 3000 Sicherheitskräfte und Polizeibeamte waren an der bundesweiten Razzia beteiligt. (Symbolfoto)

Wie die Bundesanwaltschaft mitteilt, wurden in den frühen Morgenstunden des Mittwochs auf Grundlage von Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs 22 mutmaßliche Mitglieder sowie drei mutmaßliche Unterstützer einer terroristischen Vereinigung festgenommen.

Die Festnahmen erfolgten an verschiedenen Orten in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Sachsen, Thüringen sowie in einem Fall in Österreich (Kitzbühel) und in Italien (Perugia).

130 Objekte werden durchsucht

Zeitgleich haben dort und in anderen Bundesländern (Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland) richterlich angeordnete Durchsuchungsmaßnahmen in bislang über 130 Objekten begonnen. Diese Maßnahmen dauern an. Sie richten sich auch gegen weitere 27 Beschuldigte. Zudem werden Räumlichkeiten von nichttatverdächtigen Personen durchsucht.

Durchsuchungen im Zollernalbkreis – Festnahmen im Kreis Tübingen

Wie die Generalbundesanwaltschaft auf ZAK-Anfrage mitteilt, hat es auch Maßnahmen in der Region gegeben. Durchsuchungen habe es im Zollernalbkreis sowie in den Landkreisen Tübingen, Rottweil und Freudenstadt gegeben. Im Landkreis Tübingen wurden zudem zwei Personen festgenommen.

Wie die Neckar-Chronik berichtet, wurde ein Gewerbegebäude in Horb durchsucht. Laut Neuer Rottweiler Zeitung (NRWZ) wurde in Sulz ein Mehrfamilienhaus durchsucht.

Nähere Angaben zu den Ergebnissen der Durchsuchungen in der Region und wo die Verdächtigen festgenommen wurden, macht die Bundesanwaltschaft nicht. Bei den durchsuchten Objekten im Zollernalbkreis handele es sich um eine einstellige Zahl.

Was den Beschuldigten vorgeworfen wird

Die festgenommenen Beschuldigten sind laut Bundesanwaltschaft dringend verdächtig, sich in einer inländischen terroristischen Vereinigung mitgliedschaftlich betätigt oder eine solche Vereinigung unterstützt zu haben.

Die festgenommenen Beschuldigten gehören laut Pressemitteilung der Bundessanwaltschaft zu einer spätestens Ende November 2021 gegründeten terroristischen Vereinigung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen.

Umsturz mit Gewalt

Den Angehörigen der Vereinigung sei bewusst, dass dieses Vorhaben nur durch den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten verwirklicht werden kann. Hierzu zähle auch die Begehung von Tötungsdelikten.

Die Beschuldigten verbinde eine tiefe Ablehnung der staatlichen Institutionen und der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, die im Laufe der Zeit bei ihnen den Entschluss habe wachsen lassen, sich an ihrer gewaltsamen Beseitigung zu beteiligen und hierfür in konkrete Vorbereitungshandlungen einzutreten.

Mitglieder folgen Verschwörungstheorien

Die Mitglieder der Gruppierung folgen einem Konglomerat aus Verschwörungsmythen bestehend aus Narrativen der sogenannten Reichsbürger- sowie QAnon-Ideologie. Sie sind der festen Überzeugung, dass Deutschland derzeit von Angehörigen eines sogenannten „Deep State“ regiert wird.

Befreiung verspreche nach Einschätzung der Mitglieder der Vereinigung das unmittelbar bevorstehende Einschreiten der „Allianz“, eines technisch überlegenen Geheimbundes von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militärs verschiedener Staaten, einschließlich der Russischen Föderation sowie der Vereinigten Staaten von Amerika. Die Vereinigung ist der festen Überzeugung, dass sich Angehörige der „Allianz“ bereits in Deutschland aufhalten und deren Angriff auf den „Deep State“ zeitnah bevorstehe.

Militärischer Arm der Vereinigung

Die Bekämpfung der verbleibenden Institutionen und Repräsentanten des Staates sowie die Absicherung der Macht sollen durch die Vereinigung und ein deutschlandweites Netz von ihr gegründeter Heimatschutzkompanien übernommen werden.

Diese gewaltsame Beseitigung des demokratischen Rechtsstaats auch auf Ebene der Gemeinden, Kreise und Kommunen soll durch Angehörige eines „militärischen Arms“ durchgeführt werden. Der Vereinigung sei zwar bewusst, dass es dabei auch zu Toten kommen wird. Sie nimmt dieses Szenario aber als notwendigen Zwischenschritt zur Erreichung des von ihr angestrebten „Systemwechsels auf allen Ebenen“ zumindest billigend in Kauf.

Hierzu soll von der Vereinigung eine (militärische) Übergangsregierung gebildet werden, die nach der Vorstellung der Vereinigungsmitglieder dem klassischen Reichsbürgernarrativ entsprechend die neue staatliche Ordnung in Deutschland mit den alliierten Siegermächten des 2. Weltkriegs verhandeln soll.

Kontakt zur Russischen Föderation

Zentraler Ansprechpartner für diese Verhandlungen ist aus Sicht der Vereinigung derzeit ausschließlich die Russische Föderation. Einer der Rädelsführer, den die Bundesanwaltschaft ausgemacht hat, habe auch bereits Kontakt mit Vertretern der Russischen Föderation in Deutschland aufgenommen.

Nach den bisherigen Ermittlungen gibt es allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass die Ansprechpartner auf sein Ansinnen positiv reagiert haben.

Schießtrainings und Vorbereitung auf den Umsturz

Auf der Basis dieser Ideologie haben die Beschuldigten spätestens seit Ende November des Jahres 2021 mit sich seitdem immer weiter in ihrer Intensität steigernden Vorbereitungen begonnen. Diese umfassen die Planung verwaltungsähnlicher Strukturen, die Beschaffung von Ausrüstung, die Durchführung von Schießtrainings sowie die Rekrutierung neuer Mitglieder.

Zentrales Gremium der Gruppierung ist der „Rat“. Die Mitglieder des „Rates“ haben sich seit November 2021 regelmäßig im Verbogenen getroffen, um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen. Das Gremium verfügt ähnlich wie das Kabinett einer regulären Regierung über verschiedene Ressorts, beispielsweise „Justiz“, „Außen“ und „Gesundheit“.

Ehemalige Bundeswehrsoldaten im militärischen Arm

Angegliedert an den „Rat“ ist der „militärische Arm“. Einige seiner Mitglieder haben in der Vergangenheit aktiv Dienst in der Bundeswehr geleistet. Diesem Teil der Vereinigung obliegt es, die geplante Machtübernahme mit Waffengewalt durchzusetzen. Bewerkstelligt werden soll dies über ein bereits im Aufbau befindliches System sogenannter „Heimatschutzkompanien“, mithin von militärisch organisierten, in der Planung auch bewaffneten Verbänden.

Der Führungsstab des militärischen Arms befasste sich unter anderem mit der Rekrutierung neuer Mitglieder, der Beschaffung von Waffen und anderen Ausrüstungsgegenständen, dem Aufbau einer abhörsicheren Kommunikations- und IT-Struktur, der Durchführung von Schießübungen sowie Plänen für die künftige Unterbringung und Verpflegung der „Heimatschutzkompanien“.

Rekrutierungsversuche bei Polizei und in Kasernen

Im Fokus der Rekrutierungsbemühungen der Vereinigung standen vor allem Angehörige der Bundeswehr und Polizei. In Umsetzung dieses Ziels kam es im Sommer 2022 zumindest in Baden-Württemberg jedenfalls zu vier Treffen. Im November 2022 wurde versucht in Norddeutschland gezielt Polizeibeamte für die Vereinigung zu gewinnen.

Im Oktober 2022 kundschafteten Angehörige des „militärischen Arms“ Bundeswehrkasernen in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern aus, um sie auf ihre Tauglichkeit für die Unterbringung eigener Truppen nach dem Umsturz zu inspizieren.

Die ZAK-Nachfrage bei der Truppenübungsplatz-Kommandantur in Stetten a.k.M., ob bei der dortigen Bundeswehr womöglich Rekrutierungsversuche von „Reichsbürgern“ bekannt geworden seien, ergab ein Nein. Der Kommandant persönlich, Major Maik Lehmann, gab unserer Zeitung gegenüber die Auskunft: „Für den Bereich Stetten ist mir absolut nichts bekannt.“ Mehr könne er dazu nicht sagen.

Erstürmung des Bundestags geplant

Nach den bisherigen Ermittlungen besteht zudem der Verdacht, dass einzelne Mitglieder der Vereinigung konkrete Vorbereitungen getroffen haben, mit einer kleinen bewaffneten Gruppe gewaltsam in den Deutschen Bundestag einzudringen. Die Einzelheiten sind noch aufzuklären. Die weiteren Ermittlungen dienen auch zur Feststellung, ob der Straftatbestand der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund verwirklicht wurde.

Über 3000 Einsatzkräfte in Razzia eingebunden

Die Durchsuchungsmaßnahmen richten sich nicht nur gegen die festgenommenen Personen, sondern darüber hinaus gegen weitere 27 Beschuldigte, gegen die der Anfangsverdacht einer Mitgliedschaft oder Unterstützung in Bezug auf die verfahrensgegenständliche terroristische Vereinigung besteht.

Die Ermittlungen in diesem Verfahrenskomplex wurden in enger Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt, den Landeskriminalämtern in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz und Sachsen, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst sowie den Landesämtern für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen und Thüringen geführt.

Für die Festnahmen und Durchsuchungsmaßnahmen sind über 3000 Sicherheitskräfte und Polizeibeamte des Bundeskriminalamts, Spezialkräfte der Bundespolizei, der vorgenannten Landeskriminalämter sowie weitere Polizeikräfte aus Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, dem Saarland und Thüringen im Einsatz.

Haftrichter entscheidet über Untersuchungshaft

Die festgenommenen Beschuldigten werden am Mittwoch und Donnerstag dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt, der ihnen die Haftbefehle eröffnen und über den Vollzug der Untersuchungshaft entscheiden wird.