Hechingen

Prozess geht am Freitag weiter: Zweites Blutrache-Urteil wird mit Spannung erwartet

12.06.2019

von Andrea Spatzal

Prozess geht am Freitag weiter: Zweites Blutrache-Urteil wird mit Spannung erwartet

© Andrea Spatzal

Ein gerahmtes Foto und Gedenksteine erinnern an der Hechinger Staig bis heute an Umut K. Der Deutschkurde aus Bisingen wurde am 1. Dezember 2016 wegen Drogengeschäften auf offener Straße erschossen. Er wurde nur 22 Jahre alt. Sein Bruder schwor Rache und steht dafür jetzt vor Gericht.

Die Berufungsverhandlung am Landgericht Hechingen um einen geplanten Rachefeldzug nach dem Mord an Umut K. geht in die nächste Runde.

Am Freitag um 9 Uhr wird am im Saal 168 im Landgericht der Blutrache-Prozess fortgesetzt. Zwei junge Männer, 22 und 25 Jahre alt, sitzen auf der Anklagebank. Der Jüngere fast wie ein Unbeteiligter, der andere deutlich nervöser. Er hofft auf einen Freispruch. „Verabredung zum Mord“ wird den beiden vorgeworfen. Dafür wurden sie im März 2018 auch zu langen Haftstrafen verurteilt. Aber der Bundesgerichtshof hat das erste Urteil kassiert und den Fall nach Hechingen zurück verwiesen. Damit musste der „Blutrache-Prozess“ jetzt komplett neu aufgerollt werden. Vier Verhandlungstage sind bereits abgearbeitet. Das zweite Urteil in dem Prozess, das mit Spannung erwartet wird, rückt langsam in greifbare Nähe.

Anschlag im Mafia-Stil

Der Prozess geht zurück auf den Mord an Umut K. Der junge Deutschkurde wurde am 1. Dezember 2016 an der Hechinger Staig auf offener Straße erschossen. Ein Anschlag im Mafia-Stil. Umuts Mörder ist rechtskräftig verurteilt und sitzt hinter Gittern.

Die Bluttat hatte ein Nachspiel, das die Gerichte bis heute beschäftigt. Unmittelbar nach dem Mord begann nämlich einer der Brüder des Getöteten, damals 20 Jahre alt, zusammen mit einem zu der Zeit 23-jährigen Komplizen Rachepläne zu schmieden. Sie hatten sich vorgenommen, den Familien der Täter Todesangst einzujagen.

Schusswaffen und Handgranaten

Im Internet wollten sie sich Waffen besorgen. Konkret ging es um Schusswaffen und Handgranaten. Der lange Arm des Gesetzes kam den beiden selbst ernannten Rächern rechtzeitig auf die Schliche. Den entscheidenden Hinweis auf die geplante Vendetta erhielten die Ermittler allerdings auf Umwegen: Im Zusammenhang mit einem Brandanschlag auf eine Moschee in Weil am Rhein im Frühjahr 2017 wurden die Telefonkontakte zwischen den beiden Angeklagten abgehört. An dieser Korrespondenz erkannte das Gericht die Ernsthaftigkeit der Rachepläne.

Racheplan: Konkret oder nicht?

Der Plan, den Mord an Umut K. zu rächen, sei sehr konkret gewesen, urteilte die Erste Große Jugendkammer des Hechinger Landgerichts im März 2018 und verhängte hohe Haftstrafen. Die Kammer gelangte damals auch zu der Ansicht, dass die Angeklagten von ihrem Vorhaben nicht freiwillig oder gar aus Einsicht abgelassen haben, sondern einzig und allein aus Geldmangel.

Bundesgerichtsurteil legt Veto ein

Der Bundesgerichtshof sieht das anders. Die Karlsruher Richter gaben dem Revisionsantrag des 25-jährigen Angeklagten statt. Dieser war von Anfang an der Ansicht, nichts Unrechtes getan zu haben, zu Unrecht beschuldigt worden zu sein. Er habe nur geblufft, Umuts Bruder eigentlich nur „abgezockt“. Die ersten mühsam zusammengekratzten Geldscheine für den Waffenkauf habe er für Friseur und Klamotten verpulvert. Entsprechend kommt auch der Bundesgerichtshof zum Schluss, der Anschlag sei zu wenig konkret, lediglich in einem Planungsstadium gewesen.

Hohe Sicherheitsvorkehrungen

Es ist jetzt Aufgabe der Zweiten Großen Jugendkammer des Landgerichts Hechingen herauszuarbeiten, wie nah die beiden Angeklagten einer Blutrache tatsächlich gekommen sind. Bislang gleicht der Revisionsprozess über weite Strecken der ersten Verhandlung. Vor allem Polizeibeamte wurden in den Zeugenstand gerufen. Erneut wurde auch das psychiatrische Gutachten gehört, das beiden Männern schwere Störungen des Sozialverhaltens bescheinigte, hervorgerufen durch schwierige Biografien mit komplizierten Familienverhältnissen, Schulabbrüchen und frühem Kontakt mit Drogen, Alkohol und Kriminalität.

Auch die Sicherheitsvorkehrungen vor dem Gerichtssaal sind genauso umfangreich wie bei der ersten Verhandlung. Polizisten kontrollieren jeden, der hinein will. Taschen und Telefone müssen abgegeben werden.

Das Schweigen der Angeklagten

Noch eines ist geblieben: das Schweigen der beiden Angeklagten. Sie sagten bislang kein Wort. Über seine Anwälte ließ der 25-Jährige Einwände gegen seine Verhaftung vorbringen: Bei der Vernehmung habe er unter Medikamenteneinfluss gestanden und zweitens habe der Haftrichter in zu kurzer Zeit, also nach unzureichender Prüfung, den Haftbefehl gegen ihn erlassen. Letzterer Einwand wurde am 23. Mai durch die Vorlage umfangreicher Ermittlungsprotokolle widerlegt.

Liveschaltung nach Lettland

Am selben Verhandlungstag hätte auch die Ex-Freundin des 25-Jährigen aussagen sollen. Sie war zur Tatzeit von ihm schwanger. In seinem Schreiben an den Bundesgerichtshof mit der Bitte um Revision hatte sich der Angeklagte noch geläutert und als verantwortungsvoller Vater dargestellt. Wie sich nun herausstellte, ist die junge Frau mit ihrem Kind inzwischen nach Lettland ausgewandert – aus Angst vor dem Kindsvater, wie es hieß. Die Zeugin soll nun über Telefon dem Prozess zugeschaltet werden. Ob die Liveschaltung zustande kommt, hängt von der Bereitschaft der Zeugin und vom Gericht in Lettland ab.

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