Balingen

Prof. Dr. Silke Grabherr: Was die Gastronomie und die Rechtsmedizin gemeinsam haben

01.03.2023

Von Benno Haile

Prof. Dr. Silke Grabherr: Was die Gastronomie und die Rechtsmedizin gemeinsam haben

© Louis Brisset

Prof. Dr. Silke Grabherr ist Direktorin des Instituts für Rechtsmedizin in Genf/Lausanne.

Eine Thriller-Autorin, ein ehemaliger Profiler der Mordkommission und eine weltweit führende Rechtsmedizinerin: Die „Tatortspuren“ in der Balinger Stadthalle versprechen Spannung und schaudererregende Unterhaltung. Wir haben mit Rechtsmedizinerin Prof. Dr. Silke Grabherr über ihren Beruf und den Reiz des Morbiden gesprochen.

Nach der erfolgreichen Premiere der vom Zollernalb-Klinikum veranstalteten und vom ZOLLERN-ALB-KURIER präsentierten „Tatortspuren“ 2018 im ausverkauften Thalia-Theater sollte es eigentlich bereits 2020 eine Fortsetzung geben. Pandemiebedingt findet die zweite Veranstaltung nun erst am 17. November statt.

Moderiert von Saskia Naumann sind Bestseller-Autorin Romy Hausmann, der ehemalige Profiler der Bremer Mordkommission Axel Petermann und Prof. Dr. Silke Grabherr, die Direktorin des Instituts für Rechtsmedizin in Genf/Lausanne, zu Gast. Bei ihr im Institut landeten unter anderem Lady Diana und Jassir Arafat nach deren Tod. Mit der Österreicherin haben wir uns vorab über ihren außergewöhnlichen Beruf unterhalten.

Wie und warum sind Sie Rechtsmedizinerin geworden?
Prof. Dr. Silke Grabherr: Eigentlich komme ich aus einem ganz anderen Gebiet. Ich war auf einer Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Berufe; eine Art Hotelfachschule. Nach der Matura gab es eine Berufsberatung. Da kam heraus, dass ich Krankenschwester, Ärztin oder Polizistin werden sollte. Ich wollte zunächst zur Polizei, aber meine Mutter riet mir, erst einmal Medizin zu studieren. Die vorherige Ausbildung kam mir dann aber zugute, weil ich mit Nebenjobs in der Gastronomie das Studium finanzieren konnte. Am Ende des Studiums war ich dann im praktischen Teil in jedem Fach – in der Chirurgie, in der Neurologie – immer enttäuscht. Es hat immer etwas gefehlt. Dann gab‘s ein Praktikum in der Rechtsmedizin. Da habe ich dann gedacht: „Wow! Das ist genau das, was ich machen möchte.“

Warum?
Ich hatte endlich einen Job gefunden, in dem der Arzt sich nicht nur um ein Organ oder eine Krankheit kümmert, sondern von vorne bis hinten um alles. Auch das Polizeiliche ist mit dabei, man geht vor Ort und sucht dort nach Informationen. Es ist eine gute Mischung aus Medizin und polizeilichen Untersuchungen und nie langweilig. Man kann mitten in der Nacht herausgerufen werden zu einem Tatort, und weiß nie, was einen erwartet. Und: Was mich in der Klinik so schockiert hat, dass die Behandlung auch danach ausgerichtet war, wie der Patient versichert ist. Wenn man verstorben ist, schaut keiner mehr auf den Preis: Da werden alle gleich behandelt.

Hat sich ihr Menschenbild oder ihre Einstellung zu Leben und Tod durch die tägliche Konfrontation mit den menschlichen Abgründen und dem Tod verändert?

Eigentlich nicht. Auch im Gastgewerbe sieht und hört man Einiges, wenn man mit den Menschen spricht. An der Bar hört man viele spannende aber auch schlimme Lebensgeschichten, die man auch in der Rechtsmedizin wiederfindet. Ich habe mir diese Geschichten immer gerne angehört. Auch wenn wir Lebende untersuchen, die uns ihre Geschichten erzählen – da ging es manchem Verstorbenen besser als dem Lebenden.

Hat man selber noch Angst vorm Tod, wenn der Tod Alltag ist?

Vorm Tod nicht. Vorm Sterben schon. Es kommt auf das „Wie“ an: Wenn jemand beispielsweise bei einem Unfall plötzlich stirbt, ist das natürlich immer schwerer für die Angehörigen, aber mir wäre das viel lieber, als zu erfahren, dass man nur noch ein oder zwei Monate zu leben hat und damit umgehen muss.

Während Sie und Axel Petermann für die wissenschaftliche Seite stehen, deckt Romy Hausmann bei den „Tatortspuren“ den fiktionalen Bereich ab. Können Sie selbst eigentlich noch Krimis sehen oder lesen ohne permanent den Korrekturstift ansetzen zu wollen?

Krimis lesen geht, weil ich einfach gerne lese. Auch wenn der Inhalt oft nicht stimmt. Aber beim Lesen habe ich noch mehr Geduld, wie beim Fernsehen. Ich schaue aber allgemein kaum Fernsehen.

Und True-Crime-Formate?

Auch weniger. Da ärgere ich mich immer, wenn ich sehe, was die für einen Mist machen. Denn die meisten Fälle, die nicht gelöst werden können, werden nicht gelöst, weil sie schlecht bearbeitet wurden. Da kann man auch im Nachhinein kaum noch etwas ändern, wenn schon ganz am Anfang ein Fehler gemacht wurde.

Sie sind auf ihrem Gebiet weltweit führend und arbeiten auch international. Wie sieht diese Arbeit aus?

Als Schweizer sind wir ja neutral und werden oft um eine zweite Meinung gebeten. Gerade verstorbene Politiker landen häufig bei uns – entweder im ganzen oder in Einzelstücken. Bekannte Fälle, wo ich jetzt selber nicht dabei war, aber die bei uns im Institut aufschlugen, waren etwa Lady Diana oder Jassir Arafat. Ich selber war bei der Exhumierung der Besatzung des Flugzeugabsturzes von Smolensk 2010, bei dem unter anderem der polnische Präsident Lech Kaczynski ums Leben kam. Jahre später sollten wir eine Zweitobduktion machen, bei der herauskam, dass die erste Obduktion, die damals in Russland gemacht wurde, fehlerhaft war.

Das True-Crime-Genre erlebt aktuell einen großen Hype: Woran glauben Sie liegt der Reiz am Morbiden?

Ich glaube der Reiz am Morbiden war schon immer da. Der ganze Trend aktuell geht zu Geschichten, die wahr sind, während vorher mehr Fiktion war. Aber das Makabre haben die Leute immer schon gesucht.

Bei Ihnen im Team arbeiten fast ausschließlich Frauen: Ist das Zufall, oder ist die Rechtsmedizin allgemein eine weibliche Branche?

Es ist generell eine weibliche Branche. Wenn man aber schaut: Bei uns im Medizinstudium sind bereits 70 Prozent Frauen. Die ganze Medizin ist dabei, sich zu verweiblichen und die Rechtsmedizin im Besonderen.

Woran liegt das?

Meiner Meinung nach liegt es daran, dass man in der Rechtsmedizin sehr pingelig, gründlich und geduldig sein muss. Es gibt Studien, die zeigen, dass Männer schneller mit einem Resultat zufrieden sind als Frauen. Sie sind sich sicherer und gehen weniger oft nochmal nachsehen, ob etwas richtig ist.

Die Veranstaltung steht unter dem Untertitel „Das fast perfekte Verbrechen“ – gibt es das perfekte Verbrechen überhaupt?

Oh ja! Das perfekte Verbrechen ist eines, bei dem man nicht merkt, dass es eines ist. Ein „Unfall“, bei dem man nachher nicht nachweisen kann, dass es ein Verbrechen war. Man sagt, wenn man jemanden loswerden will, soll man ihn zu einer Bergtour einladen ...

Der Vorverkauf für „Tatortspuren – das fast perfekte Verbrechen“ beginnt am 13. März. Tickets gibt es in den Geschäftsstellen des ZOLLERN-ALB-KURIER. ZAK-Abonnenten erhalten sie zum Vorteilspreis.

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