Albstadt

Porträt: Jürgen Schiller aus Ebingen tritt für die Freien Wähler bei der Bundestagswahl an

13.09.2021

Von Gudrun Stoll

Porträt: Jürgen Schiller aus Ebingen tritt für die Freien Wähler bei der Bundestagswahl an

© Volker Bitzer

Jürgen Schiller ist Bundestagskandidat der Freien Wähler. Der 55-jährige Ebinger setzt sich für den Ausbau von B27 und B463 ein.

Jürgen Schiller tritt im Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen für die Freien Wähler als Kandidat an. Der 55-Jährige ist Straßenbaumeister und arbeitet als angestellter Bautechniker in der kommunalen Bauverwaltung in Sigmaringen. Mehr Privates gibt er nicht preis.

Dass er beim Einkauf den lokalen Handel bevorzugt, lässt sich der Ebinger noch entlocken. KFZ-Ersatzteile und diverse Gegenstände bestelle er aber im Internet. Und gegen Corona geimpft ist er auch.

Erste Gehversuche

Erste Gehversuche in der Kommunalpolitik hat Jürgen Schiller bei den Kommunalwahlen im Jahr 2019 unternommen. Er trat für die rechtspopulistische AfD an und wurde mit drei Parteikollegen in den Balinger Kreistag gewählt.

Noch vor der Jahreswende 2020 trat Schiller gemeinsam mit zwei Kollegen aus der Partei und der Kreistagsfraktion aus.

Sie haben sich im Kreisparlament zur konservativ bürgerlichen Vereinigung zusammengeschlossen und genießen Fraktionsstatus. Diesen Weg hat der Kreistag geebnet und die Anzahl der Mitglieder zum Zusammenschluss einer Fraktion von vier auf drei Mitglieder reduziert.

Partei hat Antrag geprüft

Die AfD-Vergangenheit von Jürgen Schiller war für die Freien Wähler kein Hindernis, den 55-Jährigen zu nominieren. Der Albstädter selbst habe Anschluss an die Partei und den Kontakt zum Landesvorsitzenden Klaus Wirthwein gesucht.

Der Bundesvorstand habe Schiller nach eingehender Prüfung aufgenommen, haben die Freien Wähler kurz nach der Nominierung mitgeteilt. Grundsätzlich würden alle Anträge überprüft. Bei Mandatsträgern der AfD, besonders in höheren Ämtern, werde eher abgelehnt.

Unzufriedenheit war Antriebsfeder

„Aus Unzufriedenheit über Parteibuch-Lemminge, welche nur noch darum bemüht sind, ihre Vorteile und Posten zu sichern und dafür bereit sind, die Interessen der Bürger, die sie eigentlich vertreten sollten, zu opfern“, sei er in die Politik eingestiegen, sagt Jürgen Schiller und fügt an: „Ich möchte, dass endlich wieder Politik für die Bürgerinnen und Bürger gemacht wird.“

Dazu gehöre für ihn die Nähe zu den Menschen und das Wissen um deren Ängste und Sorgen. Daraus leite er die Frage ab, was Politik dagegen unternehmen könne und wie Politik wieder glaubwürdig und bürgernah gestaltet werden kann.

Jammern allein genügt nicht

Leider, so sein Fazit, sehe er bei den etablierten Parteien nicht den Willen dazu. „Daher kommt der Entschluss, dass jammern nicht genügt, sondern ich mich aktiv einbringen muss“, begründet er seine Entscheidung, selbst für den Bundestag zu kandidieren, um aktiv an Veränderungen mitzuwirken.

Rechtsruck und Querelen führen zum Ausstieg

Jürgen Schiller war AfD-Mitglied und wurde als deren Vertreter in den Kreistag des Zollernalbkreises gewählt. Warum hat er der Partei den Rücken gekehrt?

Ende 2019 habe er sich aufgrund des „unsäglichen Rechtsrucks“ in der Partei für den Austritt entschieden, denn dafür sei er nicht in die AfD eingetreten.

Demokratische Alternative gefunden

Hinzu kamen „Querelen“ im Kreisverband, in dem seiner Ansicht nach der rechtsextreme Flügel die Oberhand gewonnen habe. Nun ist Jürgen Schiller für die Freien Wähler aktiv, weil er diese als ehrliche, bürgerlich-konservative Partei ohne Ideologie für eine wirklich demokratische Alternative halte.

Am Parteiprogramm schätze er die unabhängigen, sachbezogenen und bürgernahen Grundsätze. Schiller listet weitere Gründe auf, warum ihm die in Bayern fest verankerte und mitregierende Partei gefällt: Die Freien Wähler stünden für solide Staatsfinanzen, Verlässlichkeit und Transparenz in der Politik.

Tradition und Moderne vereinen

Er schätze deren wertkonservativen Einsatz für den Erhalt gewachsener lokaler, regionaler und nationaler Traditionen, zugleich aber auch deren liberale Haltung und das Bekenntnis, für Bürgerrechte und die Freiheit des Einzelnen einzustehen.

Kurzum: „Die Freien Wähler wollen Bewährtes erhalten und mit den Anforderungen der modernen Gesellschaft in einer globalisierten Welt vereinen“, bringt Schiller auf den Punkt, was ihm gefällt.

„Wir brauchen einen starken ländlichen Raum“

Die Nachfrage, was ihn am Kurs der Partei weniger oder gar nicht anspricht, lässt der Kandidat unbeantwortet. Jürgen Schiller will persönliche Schwerpunkte auf drei Feldern setzen: Renten und Soziales, Migrationssteuerung und eine ideologiefreie und technologieoffene Verkehrswende.

„Wir brauchen einen starken ländlichen Raum und eine gute Infrastruktur, hierzu gehören auch entsprechende Verkehrswege“, betont der Mittfünfziger.

Um den Zugang zu den Märkten für Handel und Handwerk und die Bürger im Zollernalbkreis zu sichern, müssten der vierspurige Ausbau der B 27 und der Ausbau der B 463 vorangetrieben werden.

Rente muss auskömmlich sein

Von K wie Klimaschutz bis F wie Familie – was liegt dem Kandidaten am Herzen? Jürger Schiller nennt eine auskömmliche Rente. Er befürwortet eine Rücknahme des Renteneintrittsalters und würde, sofern notwendig, höhere Rentenabgaben in Kauf nehmen.

Staat steht in der Pflicht

Was die Frage des bezahlbaren Wohnraums angeht, sieht er den Staat in der Pflicht. Ein Mietendeckel sei keine Lösung. Der soziale Wohnungsbau der Kommunen müsse Vorrang haben.

Bürger haben Vertrauen verloren

Die Ursache für das schlechte politische Klima und eine Diskussionskultur, die diesen Namen eigentlich gar nicht mehr verdient, sieht Schiller in der fehlenden Transparenz der Regierenden.

Wörtlich sagt er: „Es gibt kein Vertrauen mehr in politische Institutionen, vor allem die der Bundesregierung. Da den Bürgern vorgeschrieben wird, was sie zu verstehen haben.“

Und wer sollte nach der Wahl Deutschland regieren? Eine ehrliche, soziale, bürgernahe, konservative Koalition für Deutschland, nennt Schiller als seine Wunschallianz.

Respekt vor Oskar Lafontaine

Gibt es für ihn Politiker, die ihm Respekt abnötigen? Die überraschende Antwort: Oskar Lafontaine – einst Spitzenpolitiker der SPD, deren Kanzlerkandidat und ab 1998 Bundesfinanzminister im Kabinett Schröder. Dann kehrte er den Sozialdemokraten den Rücken und wurde Zugpferd der Linkspartei im Saarland.

Konsequenz beeindruckt

Jürgen Schiller schätzt an dem Saarländer dessen Konsequenz. Dieser habe damals als „Superminister“ die Rentenkürzungen der Kohl-Regierung rückgängig gemacht, geriet dann aber mit den wirtschaftspolitischen Vorstellungen von Schröder in Konflikt und trat von Amt und Mandat zurück.

„Kein Festhalten an Posten der Macht des Geldes wegen. Dies verdient Respekt“, sagt Jürgen Schiller.

Zoff in Bayern

Hubert Aiwanger ist der Spitzenkandidat der Freien Wähler für den Bundestag. Der stellvertretende bayerische Ministerpräsident hat öffentlich bekannt, er werde sich nicht impfen lassen.

Durch diese Haltung hat er sich mächtigen Ärger mit seinem Chef Markus Söder eingehandelt, der an vorderster Front für den Piks als Schutz vor Corona wirbt – im bayerischen Kabinett sind außer Aiwanger alle Mitglieder geimpft.

Befremden und Zuspruch

Auch in der schwer gebeutelten Gastronomie herrscht Befremden über das Verhalten des bayerischen Wirtschaftsministers. In den Diskussionsforen der sozialen Medien erntet der gelernte Landwirt und diplomierte Agraringenieur aber auch Zuspruch.

Basis hält sich zurück

Und wie halten es die Kandidaten an der Basis? „Meine Familie und ich sind geimpft“, betont Jürgen Schiller, von Kritik am Parteichef der Freien Wähler sieht er aber ab.

Grundlegendes Freiheitsrecht

„Der Verzicht auf eine Impfung ist ein grundlegendes Freiheitsrecht und sollte weiterhin auch so beibehalten bleiben“, stimmt Jürgen Schiller in den Tenor von Landeschef Klaus Wirthwein ein.

Dieser hatte auf eine Anfrage der überparteilichen Internetplattform „abgeordnetenwatch.de“ erklärt: „Impfen ist wichtig, aber jeder entscheidet selbst über seinen Körper. Keine Impfpflicht!“

Wenig Präsenz

Jürgen Schiller zeigt wenig Präsenz an Infoständen und bei öffentlichen Podiumsdiskussionen – der Vollständigkeit halber sei allerdings auch angemerkt, dass sich viele Veranstalter auf eine Einladung an die Kandidaten der großen Parteien beschränken.

Wunsch für den Wahlabend

Für den Wahlsonntag äußert der Kandidat von der Zollernalb, der keine Chance auf ein Mandat hat, allerdings einen klaren Wunsch: Er erhofft sich das Erreichen der Fünf-Prozent-Hürde für die Freien Wähler.

Zum Hintergrund

Die fest in Bayern verankerten Freien Wähler vergrößern ihren politischen Radius und tasten sich ins Nachbarländle vor. Mit dem Slogan „Wir bewegen Baden-Württemberg!“ Wollen sie Wähler und Bundestagsmandate gewinnen.

Wähler und Mandate

Landeschef Klaus Wirthwein ist Spitzenkandidat in Baden-Württemberg und in der Region kein Unbekannter – er trat im Frühjahr bei der Landtagswahl als Kandidat im Wahlkreis Balingen an und holte aus dem Stand 2,4 Prozent der Wählerstimmen.

Bei der Bundestagswahl setzen die Freien Wähler den Metzgermeister aus dem Allgäu im Wahlkreis Stuttgart I ein, direkte Konkurrenten sind unter anderem die Bundestagsabgeordneten Cem Özdemir (Grüne) und Bernd Riexinger, ehemaliger Bundesparteivorsitzender der Linken.

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