Balingen/Hechingen

„Panikaktion eines Amateurs“: Balinger Bankräuber gesteht – Betroffene berichten

09.10.2019

Von Pascal Tonnemacher

„Panikaktion eines Amateurs“: Balinger Bankräuber gesteht – Betroffene berichten

© Pascal Tonnemacher

Der angeklagte 80-Jährige (rechts) sitzt mit seinem Verteidiger Fritz Westphal auf der Anklagebank im Landgericht Hechingen.

Zehn Jahre lang hatte der Mann Banken im Südwesten erpresst und überfallen, zuletzt die Sparkasse in Balingen: Nun gesteht der 80-jährige Angeklagte auch vor Gericht alle sechs ihm vorgeworfenen Taten. Die Pleite der Lehman-Brothers 2008 infolge der Finanzkrise und der Verlust von Geld nennt der mutmaßliche Täter als Grund für seine „Panikaktion eines Amateurs“. Betroffene Bankangestellte berichten derweil von seiner Masche und was die Überfälle mit ihnen gemacht haben.

Im Mai endete nach dem missglückten Raub bei der Balinger Sparkasse eine wohl beispiellose Überfallserie.

Schnell waren Ermittler sicher: Der festgenommene 80-jährige Tatverdächtige ist womöglich auch für fünf weitere Überfalle der vergangenen zehn Jahre im ganzen Südwesten verantwortlich, bei denen er insgesamt mehrere hunderttausend Euro erbeutet hatte.

Es war immer dieselbe Masche

Bei diesen Erpressungsversuchen und Banküberfällen hatte sich der Täter, mutmaßlich ein 80-Jähriger aus Kirchzarten, immer hinter einer Kostümierung versteckt: eine Sonnenbrille, eine Perücke und einem Anzug und langem Mantel.

Mit dabei ein ausgedrucktes Erpresserschreiben mit Drohung und Forderung im Stakkatostil, und eine Bombenattrappe im Koffer, gesprochen hat er mit Bankangestellten wenig, deutlich aber höflich, wollte zu Filialleitern und in die Tresorräume. Das war die Masche, mit der er auch Erfolg hatte.

„Panikaktion eines Amateurs“: Balinger Bankräuber gesteht – Betroffene berichten

© Pascal Tonnemacher

Die Große Strafkammer des Landgerichts Hechingen unter dem Vorsitz von Dr. Hannes Breucker (Zweiter von links) verhandelt den Fall um die Banküberfallserie, die im Mai in Balingen ihr Ende gefunden hat.

Auch in der Verhandlung vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Hechingen gibt er sich schmallippig – lässt über seinen Verteidiger aber verlauten, dass er (noch immer) alle Taten vollumfänglich gesteht und sich dafür auch entschuldigen will.

Die Staatsanwaltschaft Hechingen wirft ihm in insgesamt sechs Fällen (versuchte) schwere räuberische Erpressung vor. Dem Angeklagten drohen drei bis 15 Jahre Freiheitsstrafe.

Finanzkrise sei ausschlaggebend gewesen


Als Beweggrund für die Taten nennt der 80-Jährige die Pleite der Lehman-Brothers während der Finanzkrise. Daraufhin habe sich auch seine finanzielle Situation verschlechtert, er wollte sich als Rentner mit der Beute den nun verlorenen Lebensunterhalt im Alter sichern.

Eigentlich führte er bis zur Überfallserie ein unauffälliges Leben als Ehemann mit Kindern, wuchs in Minden (Nordrhein-Westfalen) auf, war bis zur Pension in leitenden Positionen in der Textilbranche im Schwarzwald als Kaufmann tätig. Strafrechtlich ist er bis dahin auch nie aufgefallen.

Betroffene berichten von ihrer Todesangst

Für die sechs Taten, mit denen er nicht nur finanziellen, sondern auch psychischen Schaden bei Betroffenen angerichtet hat, will er sich jedoch nun wohl verantworten, nachdem der letzte Überfallversuch in Balingen gescheitert ist.

Ein mittlerweile pensionierter Kriminalbeamter erläuterte anhand der mitgebrachten originalen Kofferbombenattrappe, wie eine solche aussehen kann und wie der Überfall ablief, bei dem der Täter in Rastatt 2012 rund 230.000 Euro erbeuten konnte.

„Panikaktion eines Amateurs“: Balinger Bankräuber gesteht – Betroffene berichten

© Pascal Tonnemacher

Ein mittlerweile pensionierter Kriminalbeamter hatte als Zeuge die Original-Bombenattrappe aus Rastatt dabei. Der Täter hatte Spraydosen in einer Laptoptasche befestigt und verkabelt.

Neben ermittelnden Kriminalbeamten erzählten betroffene Bankangestellte von den Vorfällen, die teilweise mehrere Jahre zurücklagen. Sie alle nahmen die Drohungen des Täters damals ernst, hatten teilweise Todesängste und befolgten seine Anweisungen – auch um Mitarbeiter und Kunden im Bankgebäude zu schützen.

Eine Bankangestellte der Deutschen Bank in Freiburg berichtet eindrücklich von dem rund 30 Minuten dauernden Überfall 2009, an den sie sich noch gut erinnern könne und „entsetzlich“ bezeichnete.

Manche Betroffene können Überfälle nicht verarbeiten

Nicht nur mit dem Schrecken davongekommen ist der sehr lange für die Commerzbank tätige Filialleiter, der den Überfall in Villingen 2009 nur mühsam verarbeitet hat. Nach psychischen Problemen und Krankheiten fand er zwar zurück ins Leben, hätte Filialleiter in Ebingen werden sollen, ist mittlerweile aber arbeitslos.

Der Überfall habe seine Karriere beendet, sagte er. Der Täter zwang ihn und einen Kollegen dazu, echt scheinende Bomben in der Jackettasche zu tragen. Das sei deutlich schlimmer gewesen als die Kofferbombe auf dem Schreibtisch.

Erpressungen scheiterten auch

Doch nicht immer konnte der Täter Geld erbeuten wie in Villingen, Rastatt oder zunächst auch in Balingen. Er versuchte es an manchen Orten mehrmals oder konnte flüchten.

Eine Geldübergabe nach einer Erpressung der Deutschen Bank in Freiburg beispielsweise scheiterte – nach dem zuvor missglückten direkten Überfall dieser Filiale – an mangelhaften Anweisungen, die der Täter einem Geldboten gab.


Den Überfall in Waldkirch konnte, wenige Wochen vor dem Balinger Bankraubversuch, ein überfallener Regionaldirektor verhindern, indem er nach der Drohung in einen gesicherten Bereich geflohen ist und die Türe schließen konnte.

Die Verhandlung wird am 17. Oktober um 9 Uhr fortgesetzt. Dort werden auch mehrere Zeugen zum Balinger Überfall gehört. Am 24. Oktober soll ein Urteil fallen.

Was den Raub von der räuberischen Erpressung unterscheidet

Der (juristische) Unterschied zwischen einem Raub und einer räuberischen Erpressung ist im Detail komplex. Generell lässt sich jedoch sagen, dass bei einem Raub eine Sache genommen wird, bei einer räuberischen Erpressung lässt sich ein Täter von einem Opfer eine Sache geben.

Das ist auch der Grund dafür, weshalb der 80-Jährige wegen schwerer räuberischer Erpressung angeklagt ist. Beim Strafmaß gibt es jedoch in beiden Fällen keine Unterschiede. Die Taten verjähren auch jeweils nach 20 Jahren.

Im Falle des 80-Jährigen, der bei allen Taten eine Kofferbomben-Attrappe benutzt haben soll, liegt der Rahmen bei mindestens drei Jahren bis hin zu 15 Jahren Freiheitsstrafe.

Welche Rolle das Alter eines Angeklagte spielen kann

Das Gericht berücksichtigt das Alter des mutmaßlichen Täters üblicherweise sowohl in gewisser Weise bei der Höhe der zu verhängenden Strafe als auch bei der Wahl der Justizvollzugsanstalt (JVA).

Bislang sitzt der 80-Jährige nach Angaben der Staatsanwaltschaft in einer „normalen“ JVA in Untersuchungshaft. Bei einer rechtskräftigen Verurteilung dürfte jedoch eine JVA gewählt werden, die den besonderen Umständen Sorge tragen.

Dort wird eine entsprechende Altersversorgung geleistet werden können und beispielsweise die besondere Haftempfindlichkeit älterer Insassen berücksichtigt. Ein Beispiel dafür ist die JVA Singen, die ein reines Senioren-Gefängnis ist. Doch auch andere Anstalten haben dafür spezielle Abteilungen.

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