Fussball

Neue Rolle als Krisenmanager: TSG-Geschäftsführer Jan Lindenmair im großen Interview

15.05.2020

Von Marcel Schlegel

Neue Rolle als Krisenmanager: TSG-Geschäftsführer Jan Lindenmair im großen Interview

© Moschkon

Jan Lindenmair spricht über die aktuelle Situation bei der TSG.

Die Entscheidung, wie es für die TSG Balingen in der Regionalliga weitergeht, fällt erst Ende des Monats. Geschäftsführer Jan Lindenmair, zuvor unter anderem Bundesliga-Volleyballtrainer, freut sich aber, dass Geisterspiele vom Tisch sind, die Mannschaft zusammenbleibt und der Viertliga-Erhalt realistischer wird.

Herr Lindenmair, darf man schon zum Klassenerhalt gratulieren?

Jan Lindenmair: Nein, ganz und gar nicht . . .

Die noch diskutierten Szenarien für das weitere Vorgehen aufgrund Corona gehen jedoch von einem Saisonabbruch aus. In beiden Fällen würde der Abstieg ausgesetzt und die TSG bliebe in der 4. Liga. Also nochmals: Gratulation zum Klassenerhalt.

Es wurden bisher lediglich Vorschläge besprochen und noch keine bindenden Beschlüsse gefasst. Diese Ableitung ist also zu voreilig. Wir müssen nun den DFB-Bundestag am 25. Mai abwarten, dann wissen wir mehr.

Am Dienstag kamen alle Manager der Südwestklubs zu einer Videokonferenz zusammen. Es gab wieder mal keine finale Entscheidung. Nervt Sie das Warten?

Natürlich ist es nicht ideal, wenn sich eine Entscheidung lange hinauszögert. Andererseits muss ein solcher Beschluss auch gut durchdacht und rechtlich geprüft sein. Wir sind jedenfalls froh, dass wir nun ein fixes Datum haben, nach dem wir wissen werden, wie es weitergeht, und darüber, dass im Laufe der Woche trotzdem erste Entscheidungen gefallen sind.

Dass die Saison zumindest kurzfristig nicht fortgesetzt, nicht über das ursprüngliche Saisonende vom 30. Juni hinaus verlängert und dass es keine Geisterspiele geben wird?

Genau, für uns als Amateurverein ist das essenziell: Heimspiele ohne Publikum hätten wir nicht gestemmt bekommen. Das hätte uns überfordert, weil wir mit den Heimspieleinnahmen einen Großteil unserer Ausgaben decken – wie etliche andere Vereine auch, die semi-professionell und größtenteils ehrenamtlich geführt werden.

Schon Mitte März schickte der Verein eine Botschaft an die Öffentlichkeit, in der die TSG um Spenden warb. Die wirtschaftliche Lage sei angesichts der finanziellen Ausfälle dramatisch. War sie das wirklich – dramatisch?

Ja! Ohne die geschlossene Solidarität aller oder ganz konkret: Ohne den Verzicht auf Geld vonseiten der Spieler, Trainer, Jugendtrainer und allgemein allen, die für ihre Tätigkeiten eine Aufwandsentschädigung erhalten – wäre die wirtschaftliche Situation für den Verein dramatisch geworden.

Das klingt, als habe sich die Lage nun entschärft. Kommt der Klub durch?

Nun sieht es so aus, als kämen wir mit einem blauen Auge durch die Corona-Krise. Doch ausgemacht ist das noch nicht, schließlich weiß niemand, wie lange das öffentliche Leben noch eingeschränkt bleibt, wie sich die gesundheitliche Lage entwickelt. Kurzum: Es ist einfach nach wie vor vieles ungewiss, auch für uns als Sportverein und Fußballabteilung.

Die meisten Spieler sind als Minijobber angemeldet. Sie fallen nicht unter die Kurzarbeitsregelung. Die Mitarbeitenden der Geschäftsstelle schon. Haben Sie Kurzarbeit angemeldet?

Wir haben alle, die möglich sind, zur Kurzarbeit angemeldet – allerdings je nach Tätigkeitsprofil und Arbeitsumfang in unterschiedlichem Maße.

Wie fühlt sich das Arbeiten aus dem Home-Office an?

Die Geschäftsstelle ist zwar geschlossen, der Publikumsverkehr bleibt aus. Gleichzeitig bedeutet das nicht, dass wir nicht regelmäßig auf der Geschäftsstelle wären. Manche Aufgaben erfordern Präsenz.

Dennoch fällt das übliche Tagesgeschäft weitgehend flach, so ohne Spiele . . .

Es ist schon eine neue Erfahrung, an den Wochenenden keine Präsenztermine zu haben und die Gespräche, Mails und sonstigen Arbeiten, die am Wochenende anfallen, von zu Hause aus erledigen zu können. Das ist schön, einerseits. Andererseits fehlen der Fußball und das Gemeinschaftliche einem schon.

Was gab es in den vergangenen Wochen denn konkret zu tun?

Wir haben uns solchen Projekten gewidmet, zu denen man im regulären Tagesgeschäft nur vereinzelt kommt, etwa Arbeitsprozesse digitalisiert, interne Abläufe optimiert. Weiterhin stehen und standen Großthemen wie Kaderplanung, Abspaltung der Fußballabteilung und Lizenzplanung für die nächste Saison an. Letztere haben wir bekanntlich schon eingereicht, die Auflagen dürften wir erfüllen.

Gehaltsverzicht oder -kürzung bedeutet, dass manchem seither auch weniger Geld zur Verfügung steht. Hat sich noch kein Spieler oder Trainer beschwert – kein Murren bisher?

Gar nicht. Alle, und das bezieht in besonderem Maße die Sponsoren mit ein, haben sich solidarisch gezeigt. Dafür sind wir dankbar. Ich denke aber auch, dass jeder weiß, dass ein forderndes Verhalten gegenüber den Entscheidern im Verein unfair gewesen wäre.

Warum?

Wir durchleben eine hoffentlich einmalige, vor allem aber erstmalige Situation. Eine solche erfordert eben auch Maßnahmen, die besonders und hoffentlich einmalig sind.

Haben Sie Furcht, dass sich das ändert: dass also der vereinsinterne Konsens – gemeinsam zu verzichten, in einer Krise kollektiv zusammen zu stehen –, zu bröckeln beginnt? In der Gesamtgesellschaft ist eine solche Entwicklung teils schon zu beobachten.

Wir sind überzeugt davon, dass die Solidargemeinschaft, die wir als Sportverein bilden, weiter zusammenhält. Tatsächlich habe ich den Eindruck, dass der Verein in der Krise noch mehr zusammengerückt ist.

Die wirtschaftlich schweren Zeiten treffen auch die Unternehmen, die zeitgleich oft Vereine unterstützen. Bei der TSG, so teilt der Klub mit, sind die Sponsoren trotz Corona-Stopp an Bord geblieben. Haben Sie keinen Geldgeber verloren?

Wir sind zunächst dankbar, dass unsere Sponsoren hinter uns stehen. Wir haben keinen Verlust wegen Corona. Natürlich gibt es turnusgemäß auslaufende Verträge und klar ist auch, dass die Krise Nachverhandlungen nicht gerade erleichtert.

Was hat Sie in der Corona-Zeit am meisten beeindruckt?

Dass alle zusammenhalten und die Gesellschaft größtenteils den Ernst der Lage schnell erkannt hat. Wir müssen weiter an einem Strang ziehen.

Welche Lehren ziehen Sie aus der Krise?

Dass wir uns weniger abhängig machen dürfen und unser grundsätzliches Wirtschaften hinterfragen sollten. Dass wir nachhaltiger arbeiten müssen, viel mehr in der Region verankert sein sollten. Ich finde, Sportvereine sind hierfür gute Beispiele: Wir setzen auf Talente aus der Region, wir setzen auf den eigenen Nachwuchs und damit auf ein organisches Wachstum. Das wird honoriert von der Region und von unseren Sponsoren, die ebenfalls unsere Gegend ihre Heimat nennen. Nur gemeinsam kann man wachsen.

Über zwei Monate ließen der Württembergische Fußballverband und der Trägerverband der Regionalliga Südwest die Vereine im Unklaren. Nun entscheiden die Delegierten auf Verbands- und Bundestagen. Was hätten Sie sich von den Verantwortlichen gewünscht?

Mehr Mut.

Den Mut, die Saison abzubrechen?

Den Mut, die Zeichen der Zeit zu erkennen, sich hierfür auch in eine rechtlich unsichere Situation zu begeben und vor allem früher eine Entscheidung zu treffen, die uns Vereinen Leitplanken für die weitere Planung gibt. Man musste ja nur über den Tellerrand schauen, in andere Bundesländer oder Sportarten: Die hatten den Mut.

. . . und verschoben die Saison frühzeitig in den Spätherbst, annullierten die Spielzeit, brachen sie ab oder fanden eine Auf- und Abstiegsregelung.

Man ließ uns zu lange warten. Im Prinzip mussten wir bei jedem operativen Schritt 13 mögliche Szenarien mitdenken. Das ist mühsam und das erhöht die Unsicherheit. Sicher kann man die Verbände so weit verstehen, dass eine solche Situation gänzlich neu und schwer zu bewerten ist. Dennoch: Eine Entscheidung, die jeder Verein teilen kann, wird es nicht geben. Das war von Anfang an klar. Ebenso sind solche Krisensituationen in keiner Satzung verankert und daher rechtlich schwer zu beurteilen. Deshalb wäre Mut angebracht gewesen.

Haben der WFV und die Regionalliga-Verbände also als Krisenmanager versagt?

Insgesamt haben die Beteiligten schon einen guten Job gemacht, vor allem im Bereich der Informationsvermittlung: Wir Vereine wurden laufend informiert, wussten immer auch über Nöte und Dilemmata der Entscheidungsträger Bescheid.

Haben der WFV und die Regionalliga-Verbände also als Krisenmanager versagt?

Insgesamt haben die Beteiligten schon einen guten Job gemacht, vor allem im Bereich der Informationsvermittlung: Wir Vereine wurden laufend informiert, wussten immer auch über Nöte und Dilemmata der Entscheidungsträger Bescheid.

Cheftrainer Martin Braun betonte zuletzt, dass der überwiegende Großteil der Mannschaft bereits für die neue Saison zugesagt hat. Wie ist der Stand konkret?

Wir haben uns grundsätzlich schon auf zahlreiche Vertragsverlängerungen geeinigt und werden diese dann auch zeitnah kommunizieren. Das Kontaktverbot lässt derzeit ein persönliches Gespräch nicht zu und daher zieht sich das noch etwas hin. Aber ja, es stimmt: Die Mannschaft wird weitgehend zusammenbleiben.

Hannes Scherer wechselt nach Hollenbach. Gibt es ansonsten schon sichere Abgänge?

Es gibt keinen auslaufenden Vertrag, bei dem wir nicht noch im Gespräch sind.

Viele Jahre hatte bei den TSG-Fußballern vor allem die Vorstandsschaft das Sagen. Mit Ihnen in Ihrer Rolle als hauptamtlicher Geschäftsführer hat die Abteilung ein weiteres Sprachrohr und eine weitere Entscheidungsinstanz erhalten. Kommt es da zu Reibungen?

In unseren wöchentlichen Vorstandsmeetings wird diskutiert und sich ausgetauscht. Natürlich sind sich da nicht immer alle einig. Das ist aber im Berufs- wie Privatleben ganz normal. Wichtig ist: Am Ende verläuft unser Austausch stets sehr produktiv, konstruktiv und vertrauensvoll. Und im Grunde kommen wir dann immer auf einen Nenner.

Wer aber hat im Falle eines Dissens das letzte Wort?

Den Fall gab es noch nicht.

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