Mündet Pauli-Reise in sicherem Hafen?

Von Michael Würz, Klaus Irion

Eine Reise ins türkische Flüchtlingslager: Seine Behörde riet dringend davon ab, Landrat Günther-Martin Pauli trat sie dennoch an. So reagieren die Vorsitzenden der Kreistagsfraktionen.

Mündet Pauli-Reise in sicherem Hafen?

Hier warnt man vor Reisen in Corona-Risikogebiete: das Landratsamt.

War es eine private Reise? War es eine Dienstreise? Lässt sich als Landrat so etwas überhaupt trennen? Der geheim gehaltene Aufenthalt von Günther-Martin Pauli im Flüchtlingslager an der türkisch-syrischen Grenze in der vergangenen Woche sorgt für viel Gesprächsstoff. Wie sehen das Fraktionsvorsitzende des Kreistags, wie eine der Mitreisenden, die Balinger Grünen-Stadträtin Sevgi Turan-Rosteck? Der ZAK hat sich umgehört.

„Wenn der Landrat für sich entscheidet, unter Einhaltung der Vorsichtsmaßnahmen in das Flüchtlingslager zu verreisen, haben wir das zu respektieren“, findet Konrad Wiget, Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Kreistag. Vielmehr sollten sich andere, die aus Risikogebieten zurückkehren, überlegen, ob sie sich genauso vorbildlich verhalten wie Pauli, dessen Reise aus Wigets Sicht „eindeutig eine dienstliche war“. Mit Blick etwa auf die Situation der Flüchtlinge im griechischen Lager Moria sagt Wiget: „Konsequenterweise sollte der Zollernalbkreis dann jetzt aber auch ein sicherer Hafen für Flüchtlinge werden.“

Eigentlich, sagt Martin Frohme, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Kreistag, sei „das, was der Landrat gemacht hat“, hochnobel. „Das war eine aufwendige Geschichte, das erkenne ich an.“ Dennoch fällt Frohmes Beurteilung kritisch aus: „Wenn die eigene Verwaltung, wenn das Gesundheitsamt appelliert, nicht in Risikogebiete zu reisen, dann entspricht die Reise natürlich nicht dem Vorbildcharakter, den man vom Landrat erwarten würde.“ Frohme rüge das, habe seinen Unmut darüber dem Landrat auch persönlich mitgeteilt. „Ich kann nicht verstehen, dass er im Grunde gegen eigene Vorgaben verstößt.“

Ausgewogen äußert sich Helmut Reitemann, Vorsitzender der CDU-Fraktion im Kreistag. Er konstatiert auf ZAK-Anfrage: „Zwar hat Landrat Pauli die Reise in die Türkei als Privatperson unternommen, dennoch hat die Reise öffentliche Aufmerksamkeit erfahren, da ein Landrat ja auch eine Person des öffentlichen Lebens ist. Ob diese Reise zu diesem Zeitpunkt richtig war oder kritisch gesehen werden muss, kann man sicherlich unterschiedlich beurteilen.“ Für Reitemann sei maßgebend, dass der Besuch des vom Zollernalbkreis unterstützten Schulprojektes Ziel und Zweck der Reise war und nicht ein privates Urlaubsvergnügen. „Meines Wissens hat er auch die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen mit den erforderlichen Tests und der Quarantäne eingehalten. Insofern sehe ich hier keinen Anlass zur Kritik.“

Er könne nachvollziehen, dass der Landrat die Chance zu diesem „hochinteressanten und sicher erkenntnisreichen Besuch“ in dem Camp wahrgenommen hat, sagt Dr. Dietmar Foth, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Kreistag. „Wenn er dabei im Hinblick auf die Corona-Pandemie die möglichen Vorsichtsmaßnahmen eingehalten hat und nach der Rückkehr selbst erst nach negativen Corona-Tests und Quarantäne wieder mit anderen Personen in Kontakt tritt, ist das zunächst sein eigenes persönliches Risiko.“ Foth sagt aber auch: „Dass in der gegenwärtigen Zeit eine solche Reise des Landrats in ein Risikogebiet, für die kein Reiseverbot, aber eine Reisewarnung besteht, zu Diskussionen führen wird, musste für ihn absehbar sein. Das ist seine Entscheidung und er muss damit zurechtkommen.“

Ein Gewinn könne die Reise laut Foth sein, wenn sie den Mitgliedern des Kreistags die Gewissheit gebe, dass der finanzielle Beitrag, den der Landkreis für das Projekt geleistet hat, „sinn- und wirkungsvoll“ angelegt sei.

Auch für Reinhold Schäfer, Vorsitzender der Freie-Wähler-Fraktion im Kreistag, steht der Anlass der Reise im Vordergrund: „Landrat Pauli hat diese Reise in ein Corona-Risikogebiet als private Person unternommen. Der Landrat ist jedoch eine Person des öffentlichen Lebens und hat deshalb solche Entscheidungen vor Antritt der Reise besonders sorgfältig abzuwägen.“ Schäfer sieht gleichwohl keinen Anlass, die Reise zu kritisieren – denn es sei Pauli nicht darum gegangen, einen Erholungsurlaub ausgerechnet in einem Risikogebiet zu verbringen, vielmehr habe er sich über das vom Kreis unterstützte Schulprojekt informieren wollen. „Wie sich Herr Pauli mir gegenüber äußerte, war dies ausschließlich der Anlass für diese Reise.“ Zudem habe der Landrat nach seiner Rückkehr alle notwendigen Sicherheitsmaßnahmen getroffen.

Uneingeschränkte Rückendeckung erhält Landrat Pauli von Stefan Buck, Vorsitzender der Konservativ Bürgerlichen Vereinigung. Schließlich habe er Pauli als sehr vernünftigen Menschen kennengelernt. „Ich bin sehr an dem Projekt interessiert, das ich privat bereits unterstütze“, sagt Buck, der überlege, wie man noch mehr Spenden sammeln könne. Man müsse klar sagen, dass es sich nicht um eine Privatreise des Landrats gehandelt hat. „Er kann nun aus erster Hand berichten, ich finde großartig, was er gemacht hat.“ Buck selbst hätte die Reise aber wohl eher nicht angetreten, sagt er.

Genau darin begründet die Balinger Stadträtin Sevgi Turan-Rosteck (Grüne) ihre Teilnahme an der Reise: „Man sagt immer, dass man helfen muss“, sagt sie. „Die Reise bot die Möglichkeit, tatsächlich zu schauen, wie man helfen kann.“ Im Flüchtlingslager herrsche echte Armut. Turan-Rosteck, Kind türkischer Gastarbeiter, ist in einfachen Verhältnissen aufgewachsen. Sie sagt: „Ich habe das Gefühl, hier etwas zurückgeben zu können.“ Auch deshalb, weil sie als Stadträtin die Möglichkeit sieht, Einfluss zu nehmen und das Projekt unterstützen zu können. „Bildung ist das höchste Gut“, sagt sie.

Ihre Reise ins Risikogebiet hat derweil Fragen aufgeworfen – insbesondere, weil sie als Konrektorin an der Tailfinger Lammerberg-Realschule arbeitet. Jedoch habe „bereits vor Antritt der Reise festgestanden, dass ich aus gesundheitlichen Gründen zum Beginn des neuen Schuljahrs nicht im Schuldienst sein werde“, erklärt sie.

Hintergrund Bis Mittwoch befindet sich der Landrat des Zollernalbkreises, Günther-Martin Pauli, noch in selbstgewählter Corona-Vorsorge-Isolation. Vergangene Woche hatte er, wie berichtet, mehrere Tage im Flüchtlingslager an der türkisch-syrischen Grenze verbracht. Der Grund: Der Landkreis hatte im Zuge einer Kooperation mit „imländle“ 20.000 Euro bereitgestellt, mit dem ein Jahr lang ein Schulbetrieb im Flüchtlingslager finanziert wird. Dem Geldfluss war eine Corona-bedingte Eilentscheidung des Landrats vorausgegangen, für die er die Zustimmung der Kreistag-Fraktionsvorsitzenden eingeholt hatte. Die aktuelle Debatte dreht sich keinesfalls um das Projekt an sich, sondern einzig und allein um den Zeitpunkt der jetzigen Reise, mitten in der Pandemie, und darum, dass der Landrat vorab nur wenige Vertraute in seine Pläne eingeweiht hatte.

Hilfe Völlig unabhängig von der Reise des Landrats ins türkische Flüchtlingslager haben die Mitglieder des Balinger Vereins Katholische Erwachsenenbildung vergangene Woche beschlossen, die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker im Zollernalbkreis aufzufordern, „alles zu versuchen, um den durch die schreckliche Brandkatastrophe auf der griechischen Inseln Lesbos obdachlos gewordenen Menschen zu helfen“. So könnten sich der Landkreis und die Kommunen bereiterklären, „einige dieser Menschen aufzunehmen und ihnen unbürokratisch und schnell zu helfen“