Mordprozess um Binsdorfer Messerattacke: Notrufe belegen erschütternde Szenen am Tatort

Von Rosalinde Conzelmann

Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurde am zweiten Prozesstag der Angeklagte im Binsdorfer Mordprozess gehört. Nahezu zwei Stunden erzählte der 56-Jährige aus seinem Leben und wie es dazu gekommen ist, dass er seiner 80-jährigen Mutter am 24. März ein Messer in den Bauch rammte.

Mordprozess um Binsdorfer Messerattacke: Notrufe belegen erschütternde Szenen am Tatort

Im Saal 168 des Hechinger Landgerichts machte der Angeklagte am zweiten Prozesstag unter Ausschluss der Öffentlichkeit Angaben zu seinem bisherigen Leben und der Tat.

Das Schwurgericht unter dem Vorsitz von Hannes Breucker hatte die Öffentlichkeit auf Antrag des Verteidigers des Angeklagten ausgeschlossen, weil sehr persönliche Umstände aus dessen Leben zur Sprache kämen.

„Dinge, die dessen Inneres berührten“, wie der Verteidiger es formulierte. Staatsanwältin Andrea Keller und die Nebenklage traten dem Antrag nicht entgegen.

Angeklagter bedankt sich

Der Angeklagte ist mittlerweile alleine in einer Zelle untergebracht. Diesen Wunsch hatte er am ersten Prozesstag geäußert. „Wir haben sofort reagiert und mit der Anstaltsleitung Kontakt aufgenommen“, meinte Breucker zum Prozessauftakt.

Der Angeklagte bestätigte, dass die Maßnahme umgesetzt wurde und bedankte sich.

Die ältere Schwester des Mannes, die im Haus der Mutter lebt und am Tatmorgen in ihrem Zimmer im ersten Stock war, machte von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und erklärte im Zeugenstand, dass sie keine Angaben machen wird.

Die 60-Jährige, die als Nebenklägerin in dem Prozess auftritt, erklärte lediglich, dass sie arbeitssuchend ist und von Hartz IV lebt.

Gericht spielt Notrufe ab

Auch ohne die Angaben des Angeklagten gehört zu haben, offenbarten die Notrufe, die das Gericht danach abspielte, welch erschütternden Szenen sich am Morgen des 24. Märzes in dem gepflegten Einfamilienhaus in Binsdorf abgespielt haben müssen.

„Es ist mir scheißegal, ob sie noch lebt“

Mit ruhiger Stimme hat der Angeklagte nach der Tat einen Notruf abgesetzt. Auf die Frage des Polizisten, was er gemacht hat, antwortet er: „Ich habe meine Mutter erstochen.“ Lebt Sie noch? Auf diese Frage kommt ein „Ich weiß nicht, das ist mir auch scheißegal.“

Auf die Frage, wo die Mutter jetzt liegt, sagt er „im Wohnzimmer“ und bestätigt, dass er sie in den Bauch gestochen und seine Schwester sich oben in ihrem Zimmer eingeschlossen habe. „Das Messer liegt auf dem Boden“, beantwortet er eine weitere Frage.

Angeklagter blickt nach unten

Als er die Aufnahmen hört, nimmt der Angeklagte seinen Kopf in beide Hände und blickt beschämt nach unten.

Der Polizist redet am Telefon auf ihn ein: „Wir kriegen das alles hin; machen Sie keine Dummheiten gegenüber meinen Kollegen.“

Dieser Anweisung ist der 56-Jährige nachgekommen, bestätigt der Polizist, der mit seinem Kollegen als einer der ersten am Tatort war, als Zeuge. Der geständige mutmaßliche Täter habe sich widerstandslos festnehmen lassen.

Das Opfer lag gekrümmt auf dem Boden

Im Haus fanden die Polizisten dann das Opfer, das zusammengekrümmt im Durchgang zum Esszimmer lag. Das Messer lag daneben auf dem Boden. Die Frau habe geatmet und gewimmert und nichts gesagt, berichtete der Polizist weiter.

Er sei dann bei ihr geblieben, bis der Notarzt eingetroffen ist. „Die Minuten sind mir endlos vorgekommen“, erinnerte er sich.

Am Messer, das der Zeuge als Jagdmesser beschrieb, waren Blut und Gewebe. Ein Zeichen, dass die zwölf Zentimeter lange Klinke tief in den Körper eingedrungen ist, schlussfolgerte der Beamte. Die Messerscheide wurde auf dem Beifahrersitz des Autos des mutmaßlichen Täters gefunden.

Apathisch und abgebrüht

Der Polizist beschrieb den Mann in dieser Situation als gefasst, „irgendwie aber auch gleichgültig“ und apathisch. Auf Nachhaken des Richters sprach er auch von abgebrüht. Betrunken habe er auf ihn nicht gewirkt.

Als das Gericht Fotos vom Tatort und vom am Boden liegenden Opfer zeigt, dreht sich der Angeklagte weg und weint. Er schluchzt leise, als der zweite Notruf dieses verhängnisvollen Sonntages abgespielt wird.

Schwester ruft verzweifelt an

Mit panischer, verzweifelter Stimme ist die Schwester des Angeklagten zu hören. Sie sagt, dass ihr Bruder durchdreht. „Er ist mit einem Messer vor meinem Bett gestanden, ich habe mich eingeschlossen“, meint sie schluchzend. Es folgt ein „Oh Gott, oh Gott“. Sie mache sich Sorgen um ihre Mutter.

Der Polizist versucht sie zu beruhigen, redet auf sie ein, fragt nach. Sie erzählt, das ihr Bruder gesagt hat, das ihre Mutter schon fast tot sei. „Jetzt müsst ihr mich nur noch fangen“, habe er gesagt.

Sie antwortet dem Polizist auf die Frage, ob ihr Bruder schon öfter durchgedreht sei, dass dieser vor zwei Jahren einen Selbstmordversuch unternommen habe.

Mit zitternder Stimme meint die 60-jährige: „Bitte lass es nur ein Alptraum sein.“

Seit Jahresende ohne Job

Ein weiterer Polizeibeamter hatte die finanziellen Verhältnisse des Angeklagten unter die Lupe genommen, dessen Konten unterm Strich ein Plus aufweisen würden.

Verwundert habe ihn, meinte der Zeuge, dass der Angeklagte seinen gut bezahlten Job zum Jahresende an den Nagel hängte und seither von der Stütze lebt.

Der Prozess soll auch Klarheit darüber bringen, ob sich der Mordvorwurf bestätigen wird. Die Anklage lautet auf versuchten Mord. Am Dienstag geht es weiter.