Mit Flyern zu den Wählern: Wie zwei Grüne aus der Stadt ihre Botschaft aufs Land bringen

Von Gudrun Stoll

Bundestagswahlen leben von Debatten, Schlagabtauch, Spitzen und Spitzenkandidaten. Die politische Prominenz reist übers Land, um Wähler und Stimmen zu gewinnen. Im Kommunalwahlkampf ist alles ein bißchen anders. Wie sich Kreistagskandidaten positionieren, zeigen beispielhaft Erwin Feucht und Thomas Müller von den Grünen. Die beiden Stadtmenschen haben sich bewusst im ländlich geprägen Wahlkreis VII Meßstetten aufstellen lassen.

Mit Flyern zu den Wählern: Wie zwei Grüne aus 
der Stadt ihre Botschaft aufs Land bringen

Thomas Müller und Erwin Feucht (vorne) bewerben sich außerhalb ihrer Heimatorte Albstadt und Balingen um ein Mandat im Kreistag. Sie treten im Wahlkreis VII Meßstetten an und vertreten dabei zielgerichtet den Aufbau dezentraler Standorte für erneuerbare Energien.

Erwin Feucht und Thomas Müller lassen zunächst einmal Zahlen sprechen: Die Grünen haben 45 Kandidaten für die Kreistagswahl nominiert. Um konkreter zu werden: 19 Frauen und 26 Männer vertreten in den sieben Wahlkreisen grüne Positionen.

Das Ziel ist klar formuliert: Die Grünen wollen ihre Pfründe verteidigen und auch nach dem 26. Mai mit mindestens fünf Mandaten im Kreistag in Balingen vertreten sein.

Die Suche war nicht schwierig

War die Kandidatensuche schwierig? „Nein“, sagt Erwin Feucht. Das mag erstaunen in einer Zeit, in der sich viele Menschen abwenden von der etablierten Politik, der rechte Rand an Zulauf gewinnt und den Volksvertretern Glaubwürdigkeit abgesprochen wird.

Die Grünen im Landkreis Zollernalb spüren eher einen Aufwind: Für lange Zeit hatte sich die Zahl der Mitglieder bei 60 eingependelt. Doch Grün kommt derzeit gut an: Rund 100 Namen stehen aktuell in der Mitgliederkartei des Kreisverbandes.

Darunter sind viele junge Leute im Alter von 16 bis 20 Jahren, „die sich Gedanken machen über ihre Zukunft und sich politisch engagieren möchten“, betont Erwin Feucht.

Kretschmann ist nach wie vor ein Grüner

Er zählt mit seinen 60 Jahren mittlerweile zu den Altgedienten und hat die Entwicklung der Partei von den Anfängen bis zum derzeitigen Höhenflug hautnah miterlebt. Die Berliner Doppelspitze mit Annalena Baerbock und Robert Habeck punktet bei der mittleren Generation und Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist längst zum Übervater geworden.

Der prominente und beliebte Landesvater „sei aber nach wie vor ein Grüner“, verteidigt ihn Thomas Müller gegen jedwede konservativ-schwarze Ummantelung.

Wie lebt es sich als Grüner zwischen so gegensätzlichen Polen wie dem smarten, himmelhochjauchzend gepriesenen Womanizer Robert Habeck und einem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der sich ebenfalls darauf versteht, mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, der polarisiert, grüne Grundsätze hinterfragt, eine Rassimusdebatte vom Zaun bricht und die eigenen Parteifreunde in schiere Verzweiflung stürzt?

Lokale Grüne akzeptieren Ambivalenzen und Charakterköpfe

Nun findet auch Erwin Feucht äußerst befremdlich, dass der Tübinger OB in der Bahnwerbung vier prominente Deutsche nicht erkannt hat. Aber er wie auch Thomas Müller können mit diesen Ambivalenzen und Charakterköpfen leben. Denn gestern wie heute gehe es um grundsätzliche Positionen.

Nahverkehr und Energiewende sind dabei keine Erfindungen der Neuzeit. Bus, Schiene und der Ausstieg aus dem verschwenderischen Umgang mit fossiler Energie begleiten Thoma Müller seit den Tagen, als er zu den drei ersten Grünen gehörte, die in den Balinger Kreistag gewählt wurden. Der heute 70-Jährige gehörte auch für acht Jahre der Grünen-Fraktion im Albstädter Gemeinderat an und hat nie aufgehört, für die Partei zu arbeiten.

Der Grüne Konditormeister Erwin Feucht hat bei der Landtagswahl vor drei Jahren fast die Sensation geschafft, der CDU das Direktmandat abspenstig zu machen. Nur 311 Stimmen machten den Unterschied und verhalfen letztendlich der CDU-Kandidatin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut zu Mandat und Ministeramt.

Wahlkreis ist ein interessantes Feld für die Grünen

Erwin Feucht will auch in den kommenden fünf Jahren mitmischen in der Kommunalpolitik. Zuvörderst als Gemeinderat in seiner Heimatstadt Balingen. Feucht streckt aber auch die Fühler in die Kreispolitik aus. Die Grünen wollen an Terrain gewinnen im Wahlkreis VII Meßstetten.

Ein interessantes Feld, denn zum Wahlkreis gehören neben Meßstetten auch Obernheim, Nusplingen, Straßberg und Winterlingen. Und die Wahl dürfte gerade hier zwischen Großem Heuberg, Albhöhe und Schmeiental durchaus spannend werden. Denn um die sechs dem Wahlkreis zustehenden Mandate im Kreistag bewerben sich sieben Parteien und Wählervereinigungen mit 41 Kandidaten.

Drei Bürgermeister streben ins Kreisparlament, außerdem Juristen, Unternehmer, Pfarrer, Handwerker, Männer und Frauen aus dem Lehramt und aus sozialen Berufen. Die Grünen treten mit drei externen Bewerber und einer Kandidatin an, die tatsächlich auch im Wahlkreis wohnt.

Eine ganze Tagesreise ist des Guten zu viel

Wer bewusst aufs Land geht, um Politik zu machen, braucht eine Botschaft. Im Gepäck haben die Grünen zum einen den öffentlichen Nahverkehr. Und dieser müsse außerhalb der größeren Städte einfach noch besser funktionieren, sagt Erwin Feucht.

Wollte er mit dem Bus von Balingen nach Winterlingen und zurück fahren, es käme einer Tagesreise gleich. Aber Senioren und vor allem auch junge Leute benötigen seiner Meinung nach eine gute und schnelle Verbindung, setzt er sich für den Ausbau von Rufbus-Modellen ein. Er sieht den Landkreis dringend in der Pflicht, das Angebot zu verbessern.

Grüne fordern Ausbau des Schienennetzes

Man müsse heute noch froh sein, dass die Zollerbahn in den 80er-Jahren nicht dem Zeitgeist geopfert und vor der Auflösung bewahrt wurde, brechen Feucht und Müller eine Lanze für den notwendigen Ausbau des Schienennetzes. Da wurde über „ein Vierteljahrhundert Vieles an die Wand gefahren“, beklagt Feucht das Schneckentempo. Dass derzeit im Verkehrministerium in Stuttgart die Reaktivierung stillgelegter Strecken geprüft wird, stößt bei beiden Grünen auf große Zustimmung.

Zollernalbkreis braucht auch schnelle digitale Verbindungen

Der Zug in die digitalisierte Welt dürfe nicht ohne den Zollernalbkreis abfahren, bleibt Feucht im Bild und prangert große Lücken und immensen Nachholbedarf im Ausbau ultraschneller Netze an. „Unsere Industrie braucht diese schnellen Verbindungen“, warnt der Balinger vor Stillstand.

Deutschland hat eh den Anschluss verpasst, im Zollernalbkreis gibt es nach wie vor weiße Flecken im Mobilfunknetz. Mit dem neuen Mobilfunkstandard 5G soll sich vieles ändern. „Wir auf der Alb sind schon an 3G froh“, merkt Feucht an und funkt Kritik in die Amtsstuben des Landratsamte, aber auch an die Adresse Wirtschaftministerin, die für Freudenstadt ein Modellprojekt mitgeschnürt hat. Ein solches Paket wünscht sich der Kommunalpolitiker auch für den Zollernalbkreis.

Mit Flyern zu den Wählern

Ein Wahlkampf mit Klingelputzen an den Haustüren ist nicht vorgesehen. Die Präsenz der Grünen auf den Wochenmärkten konzentriert sich auf Balingen, Albstadt und Burladingen. Die Wähler auf dem Land wollen die Grünen mit Flyern erreichen. Gut 18.000 dieser Prospekte werden in Meßstetten, Nusplingen, Obernhein Winterlingen und Straßberg verteilt.

Zum umstrittenen Windparkprojekt, das einen Keil zwischen die Winterlinger und Bitzer getrieben hat, vertreten Erwin Feucht und Thomas Müller ganz klare – grüne – Positionen. Beide befürworten Windkraftanlagen. Sofern diese wirtschaftlich arbeiten, räumt Erwin Feucht ein. Die Entscheidung der prüfenden Behörden im Fall Winterlingen werde man akzeptieren.

Alternativen zur Windkraft sind in der Diskussion unklar

Was er und auch Thomas Müller in der laufenden Diskussion vermissen, sind alternative Vorschläge. Die Energiewende müsse kommen und im Kleinen beginnen - dafür steht für beide Politiker auch der Ausbau von Solarparks. „Und es geht auch darum, Energie einzusparen wo es nur möglich ist“.

Das Wetter spielt nicht verrückt, weil es wütend ist - der Klimawandel sei längst spürbar, spielt Thomas Müller mit dem Titel eines Buches der Forscherin und Physikerin Friederike Otto auf das drängende globale Problem an.

Der Ausbau der Bio-Landwirtschaft, Konzepte für einen sanften Tourismus: Es gibt noch viele Themen, die Erwin Feucht und seine Parteikollegen umtreiben. In allen Facetten, mit allem Für und Wider und den Kehrseiten der Medaillen.

Denn Fakt ist auch: Wer 5G will, muss akzeptieren, dass die Landschaft mit neuen Funkmasten gespickt wird. Das eine ist ohne das andere nicht möglich.