Albstadt

„Mir läuft die Zeit davon“: Sascha Roth aus Ebingen wartet auf eine Spenderleber

15.06.2019

Von Olga Haug

„Mir läuft die Zeit davon“: Sascha Roth aus Ebingen wartet auf eine Spenderleber

© Olga Haug

Er gibt die Hoffnung nicht auf: Sascha Roth aus Ebingen wartet auf eine Spenderleber.

Deutschlandweit stehen etwa 9500 Menschen auf der Warteliste für eine Organtransplantation. Der 25-jährige Sascha Roth ist einer von ihnen. Er wartet nun schon seit zehn Jahren auf eine Spenderleber. Er will seine Geschichte öffentlich machen, um die Gesellschaft für das Thema zu sensibilisieren.

Seit über zehn Jahren wartet Sascha Roth nun schon auf eine Spenderleber. „Mir läuft langsam die Zeit davon“, sagt der 25-Jährige. Im Alter von zwölf Jahren bekam er die Diagnose: Autoimmunhepatitis. Dabei greift das Immunsystem die Leberzellen an. Es kann nicht zwischen fremd und eigen unterscheiden. „Warum es zu diesem Fehler kommt, ist nicht bekannt. Man vermutet, dass manche Menschen eine genetische Vorveranlagung haben“, schreibt die Deutsche Leberhilfe.

Leberbiopsie brachte Klarheit: schwere Lebererkrankung

Seine Mutter Karin Roth kann nur unter Tränen von der lebensbedrohlichen Krankheit ihres Sohnes berichten. „Er hatte keinen Hunger mehr, hat nur geschlafen und rapide abgenommen“, erinnert sich die 62-Jährige an damals, als ihr Sohn in die Tübinger Klinik eingeliefert wurde und nach einer Leberbiopsie feststand, dass er an einer schweren Lebererkrankung leidet.

Vier Wochen verbrachte der damals Zwölfjährige in der Klinik und kam auch direkt auf die Warteliste für Organspenden. Es könne jederzeit losgehen, hatte man der Mutter damals gesagt. Jahrelang war die Kliniktasche gepackt, für den Fall dass endlich der erlösende Anruf kommt und Sascha eine Leber transplantiert wird. Auf den Anruf wartete sie jedoch vergebens. Heute, über zehn Jahre später, steht keine Kliniktasche mehr bereit. Die Hoffnung haben jedoch weder die Mutter, noch Sascha aufgegeben.

Manche können mit einer kranken Leber alt werden

Die Gründe für das lange Warten können unterschiedlich sein, sagt Dr. Tobias Beckurts, Ärztlicher Direktor des Krankenhauses der Augustinerinnen Köln und stellvertretender Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer. Dass Sascha seit über zehn Jahren kein Organ transplantiert wurde, wertet Beckurts als ein gutes Zeichen. Das bedeut, dass die Dringlichkeit nicht ganz so hoch sein kann, vermutet Beckurts. Konkrete Aussagen zu Saschas Fall könne er selbstverständlich nicht machen.

Manche Patienten, erklärt Beckurts, könnten mit einer kranken Leber alt werden, insofern sie medikamentös gut eingestellt sind. Nicht immer muss eine Leber transplantiert werden. Selbst eine Leberzirrhose, bei der das Lebergewebe zerstört wird, kann unter Medikamenten in ein chronisches Stadium überführt werden.

Organspendemangel ist ein großes Problem

Dennoch gibt es ein generelles Problem: Organmangel. Gemessen an der Größe der Bevölkerung hat Deutschland ungewöhnlich wenig Spender, betont Beckurts. Etwa 9500 Menschen stehen auf der Warteliste. 2018 gab es bundesweit 955 Organspender, schreibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). „Die Spenderzahl in Deutschland ist nur ein Fünftel derer in Spanien“, sagt Beckurts. Deutschland gehört europaweit zu den Ländern mit den wenigsten Organspendern. Laut BZgA ist Deutschland im Vergleich zu anderen Mitgliedsstaaten des Eurotransplantverbundes jedoch das Land mit den meisten Patienten auf der Warteliste.

Nach Dringlichkeit eingestuft

Die Patienten auf der Warteliste werden anhand einer Punkteskala eingestuft. Die höchste Dringlichkeit hat die höchste Punktzahl. Regelmäßige Kontrollen in sogenannten Transplantationssprechstunden ermöglichen eine Überwachung des Zustandes und so auch eine aktuelle Einstufung. Verschlechtert sich der Zustand eines Patienten rapide, kommt zu einer Leberzirrhose beispielsweise ein Tumor hinzu, rutscht der Patient auf der Punkteskala sofort nach oben. Das Transplantationszentrum meldet dies sofort an Eurotransplant. Die Organisation ist zuständig für die Zuteilung von Spenderorganen in acht europäische Länder.

Auch Sascha fährt zu regelmäßigen Kontrollen nach Tübingen. Konkrete Aussagen, wie lange er noch zu leben hätte, machten die Ärzte laut Aussagen des 25-Jährigen nicht. Nur soviel: „Die Krankheit wird Sie umbringen, wenn Sie nicht aufpassen“, zitiert Sascha. Er trinkt keinen Alkohol, raucht nicht und achtet auf seine Ernährung, beteuert Sascha.

Die Bevölkerung muss sich intensiver mit dem Thema auseinandersetzen

Die Krankheit schränke ihn ein, sagt er. Er sei oft schwach und müde. Bei seinen Mitmenschen stoße er, erzählt er, meist auf Unverständnis, weil er beispielsweise oft Pausen machen müsse. An die Zeitung habe er sich mit seiner Geschichte gewandt, weil es ihm, wie er im Gespräch mit dem ZOLLERN-ALB-KURIER betont, nicht allein um ihn geht, sondern um alle, die ein Organ benötigen. Sascha wünscht sich, dass sich die Bevölkerung intensiver mit dem Thema auseinandersetzt. „Im Internet finde ich oft nur Negatives. Dass Menschen Organe entnommen werden, obwohl sie noch leben.“

„Toter als bei einer Organspende ist kein Mensch“

Auch Beckurts bestätigt, dass solche Ammenmärchen tatsächlich in der Vorstellung mancher Menschen verankert sind. Er betont aber, dass überhaupt kein Todesfall so sicher festgestellt wird: „Toter als bei einer Organspende ist kein Mensch.“

Es gibt durchaus auch die Möglichkeit einer sogenannten Leberlebendspende. Dabei wird einem lebenden Spender ein Stück der Leber entnommen und dem Patienten transplantiert. Die Leber ist in der Lage, sich zum Teil wieder zu regenerieren. Diese Operation ist durchaus komplizierter, auch für den Empfänger, erklärt Dr. Beckurts.

Es gibt Fälle, bei denen Spender aufgrund der Leberentnahme gestorben sind. Doch die Erfolgsaussichten steigen: „Von 100 transplantierten Lebern, die lebend gespendet werden, funktionieren ein Jahr nach der Operation noch etwa 75. Nach fünf Jahren arbeiten noch mehr als 55 der Spenderorgane“, schreibt die BZgA.

Widerspruchslösung könnte einen positiven Effekt haben

Den Vorstoß des Gesundheitsministers Jens Spahn, eine Widerspruchslösung einzuführen, bei der jeder als Organspender gelten soll, insofern er nicht ausdrücklich widerspricht, sieht Beckurts als „schwierig“. Alle zum Organspenden zu zwingen sei nicht unbedingt der richtige Ansatz. Dennoch könnte die Widerspruchslösung einen positiven Effekt haben: Jene, die vehement gegen die Organspende sind, werden auch widersprechen.

Jene, die sich hingegen nie damit auseinandergesetzt haben und vielleicht aus Trägheit keinen Ausweis ausgefüllt haben, würden so vom System erfasst und könnten durchaus pro Organspende werden. Nach dem Sturm der Entrüstung könnte sich durchaus eine entspannte Einstellung zur Organspende einpendeln, glaubt Beckurts.

Auch Sascha hofft auf einen entspannteren Umgang mit Organspenden. Er selbst wolle dazu beitragen. Er könne sich vorstellen, Aufklärungsvideos ins Internet zu stellen. Die Gesellschaft müsse für das Thema sensibilisiert werden.

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