Ministerin schlägt Alarm: Flüchtlingszahlen steigen auch im Zollernalbkreis

Von Gudrun Stoll

Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Baden-Württemberg. In der Region Neckar-Alb stoßen die Kreise mit ihren Unterbringungsmöglichkeiten an ihre Grenzen. Auch im Ukrainezentrum in Meßstetten wird es eng. Weitere Gebäude auf dem Kasernengelände werden wohl ertüchtigt.

Ministerin schlägt Alarm: Flüchtlingszahlen steigen auch im Zollernalbkreis

Der Zustrom an Flüchtlingen, die im Ukrainezentrum in Meßstetten eine vorübergehende Bleibe finden, hält unvermindert an.

Marion Gentges, Ministerin der Justiz und für Migration, schlug am Dienstag Alarm. Sie tauschte sich in einer Videokonferenz mit den Verantwortungsträgern aller Ebenen im Land zu der sich zuspitzenden Migrationslage aus. Wie das Ministerium mitteilt, nahmen über 650 Personen von den kommunalen Landesverbänden, den Regierungspräsidien der Landkreise und Kommunen teil.

Gentges spricht von Herkulesaufgabe

Allein in diesem Jahr haben 130.000 Menschen in Baden-Württemberg Schutz und Zuflucht gefunden. Die aktuelle Situation erfordert aber auch eine klare Einschätzung. Martion Gentges bezeichnte die Lage als ausgesprochen ernst und sprach angesichts jüngster Flüchtlingszahlen von einer Herkulesaufgabe, die auf Land, Kreise und Kommunen zukomme. Sie zu bewältigen setze einen Kraftakt auf allen Ebenen voraus.

Einen kurzfristigen Aufbau von Notunterkünften schloss sie nicht aus. Sie erwarte allerdings vom Bund nicht nur Zusagen, sondern auch die Übernahme von finanzieller und organisatorischer Verantwortung.

Pro Tag kommen 170 ukrainische Flüchtlinge

Das Innenministerium nennt Zahlen: In diesem Jahr sind 115.000 ukrainische Flüchtlinge und15.000 Asylsuchende nach Baden-Württemberg gekommen. Allein bei den Asylsuchenden wurde der höchste Halbjahreszugang seit 2016 erreicht. Bei den Zugangszahlen seien derzeit von Woche zu Woche deutliche Zuwächse zu verzeichnen.

In der ersten Juliwoche kamen pro Tag 110 ukrainische Geflüchtete in die Erstaufnahmen des Landes und 79 Asylsuchende mit Verbleib in Baden-Württemberg. Bis zur ersten Augustwoche sind diese Zahlen bereits auf 170 ukrainische Geflüchtete und 110 Asylsuchende pro Tag gestiegen.

Kritik an aktueller Bundespolitik

Die Kommunen seien sich ihrer Aufgabe bewusst, weitere Aufnahmekapazitäten zu schaffen, würden aber auch ganz deutlich signalisieren, dass an vielen Stellen Belastungsgrenzen erreicht sind. Die Akquise neuer Unterkünfte werde immer schwieriger. Die steigenden Zugangszahlen seien auch Folge der aktuellen Bundespolitik, übt die Ministerin (CDU) Kritik an der aktuellen Bundespolitik durch die Ausweitung der Sozialleistungen. Der Rechtskreiswechsel setze einen finanziellen Anreiz für Menschen, die bislang in anderen EU-Ländern Schutz gefunden haben, nach Deutschland zu kommen, und erhöhe zusätzlich den Druck auf unsere Systeme.“

Walter beklagt falsche Weichenstellung

Joachim Walter, Tübinger Landrat und Präsident des Landkreistages, pflichtet ihr bei: „Ohne den Rechtskreiswechsel und den damit verbundenen höheren Sozialleistungen wären wir als Kommunen nicht jetzt vor die Situation gestellt, Notunterkünfte vorzubereiten und bereitzustellen. Zunehmend kommen Menschen zu uns, die aus der Ukraine stammen und die bereits in anderen europäischen Ländern angelangt waren“.

Das sei ihnen nicht zu verübeln. Der Bund aber müsse seine falsche Weichenstellung dringend korrigieren. Die Anziehungskraft der im europäischen Vergleich höchsten Sozialleistungen in Deutschland macht alle Versuche einer gleichmäßigen Verteilung von Geflüchteten in Europa zunichte.“

Steffen Jäger, Präsident der Gemeindetages, sprach in der Konferenz vom Dauerkrisenmodus der Kommunen. Es brauche in Zeiten einer multiplen Krise eine gesamtstaatliche Besinnung auf das Wesentliche.

Land verdoppelt Aufnahmekapazität

Die Aufnahmekapazitäten des Landes wurden seit Frühjahr 2022 bereits nahezu verdoppelt. Aktuell werden weitere rund 1000 Unterbringungsplätze durch Containerhäuser in der Landeserstaufnahmestelle Freiburg (insgesamt 160 Plätze) und die Inbetriebnahme einer Notunterkunft in einem ehemaligen Baumarkt in Freiburg (bis zu 800 Plätze) geschaffen.

Allein dem Zollernalbkreis würden jede Woche 30 bis 50 Flüchtlinge zugewiesen. Die Unterbringung gestalte sich zunehmend schwierig, wird das Landratsamt in einem SWR-Beitrag zitiert. Aktuell seien rund 2800 Flüchtlinge aus der Ukraine registriert worden. Mehr als die Hälfte seien privat untergebracht.

Ukrainezentrum ist voll belegt

Das Ukrainezentrum in der ehemaligen Zollernalbkaserne sei voll belegt, informierte Meßstettens Bürgermeister Frank Schroft Ende Juli den Gemeinderat auf eine Anfrage aus dem Gremium. Der Rathauschef nannte damals eine aktuelle Zahl von 860 Bewohnern. Von Tag zu Tag schwanke die Zahl durch Querverlegungen und Neuzugänge zwischen 750 und 860 Menschen.

Weitere Gebäude werden benötigt

Unseren Informationen zufolge werden die aktuell genutzten Gebäude nicht ausreichen. In drei Wohnblöcken seien Menschen für den raschen Tranfer untergebracht. In einem weiteren Gebäudekomplex wohnen Geflüchtete, die vom Landkreis betreut werden.

Auf dem großen Areal gibt es in zwei Bauten weitere Quartiere, die in der Regel von Bundeswehr- oder Polizeieinheiten bewohnt werden, solange sie auf dem Truppenübungsplatz trainieren. Auch diese Unterkünfte werden wohl für die Unterbringung weiterer Flüchtlinge ertüchtigt.

BImA hält Verkaufabsicht aufrecht

An der Absicht, das noch verbliebene Kasernenareal an den Zweckverband Interkommunaler Industriepark Zollernalb und die Stadt Meßstetten zu veräußeren, habe sich nichts verändert, teilte im Juni auf Anfrage ein Sprecher der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) mit. Und doch gibt es für die Meßstetter wieder ein Geduldsspiel.

Eine Frage der Zeit

Denn wie lange die Nutzung als Ankunftszentrum für ukrainische Kriegsflüchtlinge durch den Landkreis Zollernalb noch andauere, sei schwer abzuschätzen, teilt die dem Bund unterstellt Anstalt des öffentlichen Rechts mit.