Mehr als ein Rundgang durch die Krisen der Welt: World-Press-Photo-Schau in Balingen eröffnet

Von Nicole Leukhardt

Sie macht Zeitgeschichte erlebbar, ist ein eindrücklicher Rundgang durch die Krisen auf dieser Welt und gleichzeitig gespickt mit Augenblicken, die tröstlich sind: Die World-Press-Photo-Ausstellung in der Balinger Stadthalle ist am Mittwochabend mit einer Vernissage eröffnet worden.

Mehr als ein Rundgang durch die Krisen der Welt: World-Press-Photo-Schau in Balingen eröffnet

Einen ersten Rundgang durch die Schau mit Fotografien aus aller Welt erlebten die Vernissagen-Gäste bei der Eröffnung der World-Press-Photo-Ausstellung am Mittwoch in der Balinger Stadthalle.

Balingen reiht sich damit bereits zum dritten Mal ein in die Reihe großer Ausstellungsstädte wie Melbourne, Tokio, New York, Berlin oder Hamburg. „Wir sind stolz, dass wir diese Ausstellung hier zeigen dürfen“, betonte auch Balingens Oberbürgermeister Helmut Reitemann bei der Eröffnung. All dies sei nur möglich geworden, weil das Team aus Volkshochschule, Stadthalle und Sponsoren, allen voran der ZOLLERN-ALB-KURIER als Hauptsponsor, die Ausstellung und das Rahmenprogramm in unzähligen Arbeitsstunden gemeinsam auf die Beine stellten.

Wichtiges Signal für die Pressefreiheit

In einem Interview mit dem deutsch-amerikanischen Fotografen Thomas B. Jones, der selbst als Porträt- und Reportagefotograf unterwegs ist, berichteten die Ausstellungsmacher von den vergangenen Monaten. Doch der Dank des Moderators galt zunächst den Balinger Gemeinderäten, „dafür, dass Sie fraktionsübergreifend diese Ausstellung möglich gemacht haben“. Dies sei in Zeiten, in denen Demokratie und damit auch Pressefreiheit immer mehr unter Druck gerieten, ein wichtiges Signal.

„Eine Verneigung vor Journalisten“

Er habe sich bereits in die Ausstellung geschlichen, verriet er den Gästen im kleinen Saal der Stadthalle augenzwinkernd und könne berichten, „dass die Bilder nicht immer schön sind. Aber das müssen sie auch nicht sein“. Es sei jedoch wichtig, dass diese Pressefotografien auf Missstände aufmerksam machten. Dass Balingen für diese Ausstellung bereits ein drittes Mal als Gastgeber fungiere, sei „eine Verneigung vor den Journalisten auf der ganzen Welt, die sich für ihre Fotos zum Teil in Lebensgefahr begeben“. Und außerdem: „Einmal passiert sowas, ein zweites Mal ist Zufall, beim dritten Mal ist es Vorsatz“, bemerkte er schmunzelnd an den OB gewandt. Und Vorsatz könne auch nur sein, dass die WPP-Ausstellung im kommenden Jahr in die Gartenschau eingebunden wieder nach Balingen komme, gab er einen Ausblick.

„Die Menschen sind verunsichert“

Und richtete seine erste Frage direkt ans Stadtoberhaupt. „Krieg, Pandemie, Klimakrise, wie erleben Sie diese Zeit hier vor Ort?“, wollte Jones wissen. „Unmittelbar“, antwortete der OB. Denn die Hitze und Trockenheit der letzten Tage machten die Klimakrise auch in Balingen spürbar, die Pandemie habe die Stadt intensiv getroffen und auch der Ukrainekrieg hinterlasse Spuren, sei es in der Zahl der Geflüchteten, die nach Balingen gekommen sind oder in den explodierenden Energiepreisen, so Reitemann. „Die Menschen verspüren eine große Unsicherheit“, betonte er. Eine solche, wiederkehrende Ausstellung ebenso wie die Musikacts auf dem Marktplatz gäben den Menschen das Gefühl, an Gewohntem anknüpfen zu können, „ein Zeichen der Hoffnung, letztlich“.

Dass man in Balingen mit den parallel stattfindenden Ausstellungen von Nino Strauch im Rathaus und den Fortschrittfotos in der Zehntscheuer derzeit drei Fotoschauen besuchen könne, sei vermutlich Zufall, so der OB, zeige aber den hohen Stellenwert der Fotografie.

Stadthalle und Ausstellung sind ein gutes Paar

Auch das Stadthallenteam um Geschäftsführer Matthias Klein habe sich gefreut, als die Kisten mit den Fotos aus Amsterdam in Balingen angekommen sind. „Die Stadthalle und diese Ausstellung sind wie füreinander gemacht“, bemerkte Jones. Ein Lob, das Klein gerne aufgriff: „Das offene Konzept mit den Wänden im Raum schafft eine tolle Atmosphäre.“ Balingen sei zwar als Kunststadt bekannt geworden, „aber viele dieser Fotos haben ja durchaus einen sehr künstlerischen Anspruch“, erklärte er.

Das offene Konzept hatte von der ersten Stunde an auch einen Fan, der es wissen muss: Die Kuratorin der Ausstellung, Julia Kozakiewicz, reist mit den Bildern um die Welt und war aus Melbourne nach Balingen gekommen. Sie genieße die Zeit in Balingen sehr, die Menschen hier machten die Stadt besonders, betonte sie. Und sie berichtete von einer Veränderung im Ausstellungskonzept in diesem Jahr: Man habe sich auf sechs Weltregionen konzentriert.

Die Qual der Wahl

Die Themen erstreckten sich von der Klimakrise über den Krieg bis hin zum Kampf indigener Völker um ihre Identitäten. Regionale Jurys hätten zunächst in drei Monaten aus 60.000 nominierten Fotos die besten 10.000 ausgewählt. Daraus filterte eine globale Jury letztlich „zwei Wochen lang in einem dunklen Keller“, wie sie augenzwinkernd anmerkte, die besten 120 Fotos aus. Zwar bekomme sie oft zu hören, dass die Ausstellung deprimierend oder düster sei, „aber wir leben nun mal in einer Welt, die nicht nur fröhlich ist.“ Auch dies gelte es, den Menschen zu zeigen.

Dass so etwas möglich ist, auch in turbulenten Zeiten, sei im ureigensten Interesse eines Verlagshauses, betonte schließlich ZAK-Verleger und Hauptsponsor Daniel Welte, der seinen Dank an seine Mitarbeiter aber auch an die Volkshochschule, die Stadthalle und die Sponsoringpartner richtete. „Altbewährtes wie unsere Demokratie wird derzeit in Frage gestellt“, gab er zu bedenken. Umso wichtiger sei es, unabhängige Nachrichten und unveränderte Fotos zu veröffentlichen, auch und vor allem im Lokalen. „Unsere Arbeit und die Arbeit der Fotojournalisten hat mehr als eine Schnittmenge.“

Viele Hände vollbringen Großartiges

Dass es dafür lange Vorbereitung, viele Arbeitsstunden und so manchen späten Feierabend gegeben hat – davon konnte auch Nicole Mayer, Ausstellungsmacherin der Volkshochschule, ein Lied singen. Sie sei erleichtert, dass die Fotos nun an den Wänden hängen, „und vielleicht ein bisschen müde“, räumte sie ein. „Aber es war toll, dass wir alle an etwas Großartigem arbeiten durften, es macht einfach immer wieder Spaß.“

Zwar musste die Liveschalte mit der Hauptpreisträgerin, der kanadischen Fotojournalistin Amber Bracken, für den Mittwochabend abgesagt werden, ihr berührendes Foto stand dennoch im Mittelpunkt der abschließenden Betrachtung von Thomas B. Jones und Kai Behrmann. Behrmann, ebenfalls studierter Fotojournalist, hält am Wochenende einen Workshop auf der Ausstellung und war kurzfristig eingesprungen.

Das Siegerfoto berührt im Stillen

Das Siegerfoto zeigt Holzkreuze an einem Wegesrand vor einem dramatisch dunklen Himmel. An den Kreuzen hängen orangefarbige Kleider oder Hemden, die von der Sonne angestrahlt werden, im Hintergrund spannt sich ein Regenbogen über den Himmel. Das Foto stamme aus einem dunklen Kapitel der kanadischen Geschichte und packe ihn an seinem inneren Kern, wie Jones erklärte. Denn dort waren insgesamt 251 Kinderleichen durch Zufall entdeckt worden. „Sie wurden ihren indigenen Familien entrissen und in Internaten zwangschristianisiert, viele von ihnen haben diesen Horror nicht überlebt“, schilderte er. Das Siegerfoto wirke „wie gemalt“ und habe durchaus künstlerischen Touch. „Auf alle Fälle aber dokumentiert die Arbeit dieser Fotografin, dass es gelingen kann, solche Ungerechtigkeiten mit Hilfe von Journalisten in die Öffentlichkeit zu bringen. Sie hat Unsichtbares sichtbar gemacht“, erklärte Kai Behrmann.

Die Gäste der Vernissage, die von Electrobeats des Duos Nandman umrahmt wurde, hatten die Möglichkeit, sich direkt nach der Eröffnung von der Wirkung des Bilds zu überzeugen.