Balingen

Mehr Farbe für Balingen: Die Schwelhalle wird zum Zentrum für Urban Art

22.02.2019

von Lydia Wania-Dreher

Industriecharme trifft auf knallige Graffiti: Zwischen Juni und September bekommen die Balinger in der Frommerner Schwelhalle dank einer Ausstellung doch noch einen Kunstsommer. Mit Video. 

Kreativität – eine wichtige schwäbische Eigenschaft. Denn sie verhalf der Region zum Erfolg. Aufgrund der kargen Böden war in der Landwirtschaft nicht viel zu holen, man musste also andere Wege finden.

Neue Ideen, Einfallsreichtum waren gefragt. Ein Grund, warum es im Südwesten heute so viel Weltmarktführer gibt. Doch wie können wir uns diese Kreativität bewahren? Wie können wir selbst kreativ werden?

Antworten darauf soll die Ausstellung „Revolte! Creative Urban Art“ geben, die von den Medienpartnern ZOLLERN-ALB-KURIER und #imländle begleitet wird. Sie findet vom 8. Juni bis 8. September in der Schwelhalle in Frommern statt.

Für diese drei Monate wird sich der Industriebau in ein Zentrum der Kunst verwandeln. Im Mittelpunkt steht dabei Graffiti. Die Kunstform kam in den frühen 1980er-Jahren mit der Hip-Hop-Bewegung von den USA nach Europa und veränderte das Gesicht der Städte.

Graffiti war und ist ein Ausdruck von Veränderungswillen, Aufbegehren und der intensiven Auseinandersetzung mit sozialen und gesellschaftlichen Themen.

Zwei Künstler stehen im Mittelpunkt

So auch bei den beiden Hauptakteuren der Ausstellung: WON ABC und Cowboy 69. Sie sind Sprayer der ersten Stunde, die jedoch nicht unterschiedlicher sein könnten.

Mehr Farbe für Balingen: Die Schwelhalle wird zum Zentrum für Urban Art

© OZM Art Space Gallery

WON ABC.

WON ABC, der mit bürgerlichem Namen Markus Müller heißt, wurde als Sohn eines Ministerialbeamten 1967 in Weiden in der Oberpfalz geboren. Er wuchs behütet auf und begann – inspiriert vom Film Wild Style – mit den Dosen aus Papas Garage zu sprayen.

Im Jahr 1988 gründete er zusammen mit Cowboy 69 den „Art Bombing Clan“, kurz ABC. Später studierte er bei Robin Page an der Kunstakademie München und machte dort 1995 seinen Abschluss.

Ein Jahr später wurde er wegen Sachbeschädigung an S-Bahnen zu einem halben Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Die Ermittler bescheinigten ihm damals während seines Prozesses, dass er „einer der besten [Sprayer] in Europa“ sei.

Bereits in den späten 1980er-Jahren wandte er sich vom Kalligraphischen ab und figurativen Elementen, dem „Character“, zu. Heute sprayt WON ABC weltweit auf große Hauswände, Hubschrauber und Autos, aber auch auf Leinwände. Er gilt als einer der ganz Großen der Szene.

Mehr Farbe für Balingen: Die Schwelhalle wird zum Zentrum für Urban Art

© privat

Cowboy 69.

Auch Cowboy 69 ließ sich von „Wild Style“ inspirieren. Er wurde als Sohn türkischer Einwanderer 1969 in München geboren und gilt als einer der Urväter des sogenannten Writing in Deutschland. Dabei bildet die Schrift das Basiselement des Graffitis.

Ende der 1980er und in den 1990er-Jahren war er ein Idol für „Writer“, mit dem sich niemand in einem „Battle“ zu messen traute. Seine künstlerische Tätigkeit wurde immer wieder von Gefängnisaufenthalten unterbrochen. Immer wieder hat er Drogenprobleme. Von seiner Kunst kann er nicht leben. Auch aktuell sitzt er in Haft. Cowboy 69 soll in den nächsten Wochen in die Türkei abgeschoben werden.

Mehr Farbe für Balingen: Die Schwelhalle wird zum Zentrum für Urban Art

Auf den Bildern von WON ABC gibt es jede Menge zu sehen. Foto: OZM Art Space Gallery

Die Arbeiten von WON ABC und Cowboy 69 stehen im Mittelpunkt der Ausstellung. Daneben sollen Werke anderer Graffitikünstler wie OZ (Hamburg), DARCO FBI (Paris) und Harald Nägeli (Zürich/Düsseldorf) gezeigt werden. Diese werden ergänzt mit Bildern von Künstlern verwandter Stilrichtungen wie Keith Haring, Sigmar Polke oder Lili Fischer.

Die Menschen dahinter

Außerdem wird ein Film über WON ABC und Cowboy 69 zu sehen sein. Er ist eine Art Schlüssel zur Ausstellung. Denn mit einer eher zufälligen Begegnung mit dem Filmemacher Harun Isik fing eigentlich alles an.

Mehr Farbe für Balingen: Die Schwelhalle wird zum Zentrum für Urban Art

© Lydia Wania-Dreher

Kurator Roman Passarge (links), Veranstalter Frank Türke (Mitte) und sein Sohn Lasse Pekdag organisieren die Ausstellung.

„Wir haben ihn im Urlaub kennengelernt“, erzählt Frank Türke, Geschäftsführer der Atelier Türke Firmengruppe und Veranstalter der Ausstellung. Harun Isik hatte gerade angefangen, die Geschichte der beiden Münchner Graffiti-Künstler zu verfilmen. Frank Türke, der auch im Verein „Freiraum Balingen kreativ“ aktiv ist, war sofort begeistert.

Schließlich ist Graffiti und Street Art schon länger ein Thema im Verein. So initiierte „Freiraum“ etwa die Gallery23 oder die künstlerische Gestaltung der Stromkästen in der Innenstadt. Unterstützung bekommt Frank Türke bei dem Ausstellungsprojekt von seinem Sohn Lasse Pekdag, der sich in der Hip-Hop-Szene auskennt.

Derzeit suchen die Verantwortlichen auch noch Sponsoren, die die Ausstellung begleiten möchten.

Zudem holte sich Türke für die Ausstellung Hilfe von Roman Passarge aus Schramberg. Er organisierte schon mehr als 100 Ausstellungen und arbeitete unter anderem im Vitra-Design-Museum, der Hamburger Kunsthalle und der Hansgrohe-Aquademie. Passarge wird die Schau in der Schwelhalle kuratieren. „Graffiti ist weder illegal noch nur eine Schmiererei“, erklärt er. Vielmehr gehe es um ein Lebensgefühl. Auch dieses soll die Ausstellung vermitteln, denn sie soll weit mehr als eine reine Bilderschau sein.

Besucher dürfen an die Spraydose

Die Besucher sollen mit einbezogen werden: bei Workshops, Diskussionsrunden, aber auch in einem eigenen Bereich zum Ausprobieren. Jeder, der möchte, kann also selbst die Spraydose in die Hand nehmen.

Die Ausstellung soll sich nicht als fertiges Gebilde präsentieren, sondern sich während den drei Monaten verändern. Den Auftakt macht die Vernissage am Freitag, 7. Juni.

Sie soll nicht im klassischen Sinne mit Reden und Sekt ablaufen, sondern als „Jam“. Rapper, DJs, Breakdancer und Sprayer kommen an dem Abend zusammen, machen Musik, tanzen und lassen ihrer Kreativität freien Lauf – bis spät in die Nacht.

Mehr Farbe für Balingen: Die Schwelhalle wird zum Zentrum für Urban Art

© privat

Auch der Ausstellungsraum ist besonders. Die Schwelhalle in der Ohnrastraße 13 in Frommern war Teil des LIAS-Werks. Später zog die Firma Elektra aus Tailfingen ein, heute steht die 70 Meter lange Halle leer und kann für Veranstaltungen genutzt werden.

Während der Graffiti-Ausstellung soll auch das Gelände drum herum genutzt werden. Und das auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten. Dort soll es Pop-Up-Shops, Food-Trucks, Upcycling-Projekte und eine Bühne geben.

Doch warum trägt die Ausstellung den Titel „Revolte!“? Widerstand und Kunst gehören für Frank Türke zusammen. Beide benötigen Kreativität – als Mittel, um sich Gehör zu verschaffen und als Motor für Innovation. Im Zeitalter von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz brauche man mehr denn je kreative Köpfe, die Probleme verstehen und neue Perspektiven entwickeln, so Frank Türke. Es sei wichtig und richtig, Kreativität zuzulassen und zu fördern.

Diesen Artikel teilen: