Hechingen, Balingen

Mammutprozess gegen Balinger: Für die Polizisten waren Beleidigungen an der Tagesordnung

02.03.2020

Von Benno Haile

Mammutprozess gegen Balinger: Für die Polizisten waren Beleidigungen an der Tagesordnung

© Pascal Tonnemacher

Am Hechinger Landgericht wurde am Montag der Prozess gegen einen Balinger fortgesetzt.

Es hatte schon beinahe etwas von einem Betriebsausflug der Balinger Polizei ans Hechinger Landgericht: Ein starkes Dutzend Polizeibeamte sagte dort gegen einen 61-jährigen stadtbekannten Balinger aus. Ähnlich viele werden erst noch gehört.

16 Zeugen wurden am Montag vor dem Hechinger Landgericht im Prozess gegen einen 61-jährigen Balinger, der eine ellenlange Anklageliste vorzuweisen hat, gehört. 14 davon waren aktuelle oder ehemalige Balinger Polizeibeamte.

Jeder der Polizisten, die am zweiten Prozesstag als Zeugen geladen waren, war in der Vergangenheit mehrfach wegen des Angeklagten zu einem Einsatz gerufen worden. „Keiner am Balinger Revier kann sagen, dass er nicht häufig mit ihm zu tun hat“, erklärte einer der Beamten.

43 Anklagepunkte: von Beleidigung bis Körperverletzung

Die Anklageschrift gegen den 61-Jährigen umfasst 43 Punkte, wovon sich noch jeder auf mehrere Straftaten und Ordnungswidrigkeiten auffächert.

Darunter Beleidigung, Bedrohung, Widerstand gegen Polizeibeamte, Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Verstöße gegen das Persönlichkeitsrecht, Urkundenfälschung, Unfallflucht, (nächtliche) Ruhestörung sowie Fahren ohne Fahrerlaubnis, unter Alkoholeinfluss und ohne Versicherungsschutz.

Die Beleidigungen – meist traf es Polizisten, aber auch Passanten blieben nicht verschont – räumte der Angeklagte vollumfänglich ein. Sein Wortschatz stamme aus früheren Knast- und Rockerzeiten; Schimpfworte würden ihm schneller und häufiger herausrutschen.

Angeklagter sieht sich als Opfer von Polizeigewalt

Was die Körperverletzungsdelikte betrifft, die meist aus dem massiven Widerstand bei Festnahmen resultierten, erklärte der Angeklagte, dass er sich angegriffen fühlte und sich lediglich zur Wehr gesetzt habe. Den Beamten warf er Amtsmissbrauch und Polizeigewalt vor.

Die Zeugen – darunter auch ein AOK-Mitarbeiter, der am Telefon beleidigt und bedroht wurde, sowie ein Besucher des Geislinger Motorradtreffens, den der Angeklagte angegriffen haben soll – zeichneten ein ausführliches Bild vom Wesenszustand des Angeklagten.

Man habe bei einem Einsatz nie vorhersagen können, was einem bei dem Angeklagten erwarte. Manchmal sei er zugänglich gewesen, oft aber höchst aggressiv. Er sei unberechenbar und in der Stimmung sehr wechselhaft.

Ein seltenes Zeichen von Einsicht

Ein Polizeibeamter berichtete von einer Verkehrskontrolle, bei der der Angeklagte auf einem Roller ohne gültige Haftpflichtversicherung unterwegs war und seinen Fehler auch gleich einsah: „Das Auffällige war, dass er nicht auffällig war“, erklärte er. Ansonsten hagelte es meist wüsteste Beschimpfungen, Bedrohungen oder in dem ein oder anderen Fall auch Schläge und Tritte.

/

Er hat sich zum Negativen entwickelt. Die Zeiten, in denen man mit ihm schwätzen konnte, sind vorbei. Polizist #1 über den Angeklagten

Ich kann Ihre Entschuldigung nicht annehmen. Sie haben sich mehrmals unter aller Sau benommen und ich habe auch nicht den Eindruck, dass Sie das hier Ernst nehmen. Polizist #2 zum Angeklagten

Wir haben viel Geduld mit ihm und reden mit Engelszungen auf ihn ein, wo man bei einem anderen schon Zwang angewendet hätte. Polizist #3

Der Polizei gegeüber ist er immer frech bis aggressiv. Polizist #4

Das Bang Your Head ist ein sehr friedliches Festival. Wir hatten kaum etwas zu tun. Bis er kam. Polizist #4 über einen Einsatz am Rande des Bang-Your-Head-Festivals 2018

Ein, zwei Beleidigungen kann man überhören, aber das ging in einer massiven Intensität über mehrere Stunden hinweg. Polizistin #7

Es konnte sein, dass er uns freundlich in der Stadt gegrüßt hat und fünf Minuten später wurden wir wegen ihm zu einem Einsatz gerufen. Polizist #8

Den Passanten gegenüber stellte er sich als Opfer von Polizeigewalt dar. Die haben ihn aber nur belächelt und verspottet. Polizist #9 über eine Festnahme in einem Balinger Lokal

An meinem ersten Diensttag am Balinger Revier habe ich gleich den Angeklagten kennengelernt. Polizist #11

Das war bei ihm Dauerzustand. Ob mit oder ohne Alkohol. Polizist #12 über die Aggressionen des Angeklagten

Für die Beleidigungen entschuldigte er sich bei den Beamten. Diese Entschuldigung nahmen die ersten beiden Polizisten nicht an: „Sie haben sich mehrmals unter aller Sau aufgeführt und ich habe auch nicht den Eindruck, dass Sie diese Verhandlung hier ernst nehmen“, sagte einer von beiden. Danach fragte der Angeklagte nicht mehr nach, ob seine Entschuldigung angenommen wird.

Ein Beamter berichtete: „Die Einsätze kamen wellenförmig.“ Es hätte Phasen gegeben, da war es ruhig um den Angeklagten. „Dann waren wir wieder beinahe täglich bei ihm.“ Zuletzt wären die Abstände zwischen den auffälligen Phasen kürzer geworden.

Eine der Polizistinnen erklärte sich die Häufung durch den Tod der Mutter des Angeklagten: „Danach ging es so richtig los.“

Fortsetzung am 12. März

Am 12. März (9 Uhr) wird der Prozess fortgesetzt. Dann werden weitere Polizisten und auch Zivilisten gehört, die Aufschluss über den Geisteszustand des Angeklagten geben sollen. Danach wird ein psychologischer Sachverständiger sein Gutachten vorstellen, um die Schuldfähigkeit des Angeklagten, der von sich selbst in dritter Person als „der Angeklagte“ spricht, zu beurteilen.

Diesen Artikel teilen: