Albstadt

Literaturgottesdienst in Ebingen: Wer Vergebung will, muss auch selbst vergeben können

25.11.2019

Von Vera Bender

Literaturgottesdienst in Ebingen: Wer Vergebung will, muss auch selbst vergeben können

© Vera Bender

Literaturgottesdienst in St. Josef: Die Kirchengemeinderäte Petra Graf und Christian Schenk gestalteten mit Pfarrer Uwe Stier den Literaturgottesdienst.

Um Schuld und Vergebung ging es beim ersten Literaturgottesdienst in St. Josef in Ebingen am Sonntag.

„Dies ist ein ganz besonderer Gottesdienst, wie ich ihn selbst noch nie erlebt habe“, kündigte Pfarrer Uwe Stier vor einer großen Zahl von Kirchgängern in St. Josef an. Der Literaturgottesdienst im Rahmen der Literaturtage Albstadt rückte nämlich das Werk „Schuld“ von Ferdinand von Schirach in den Fokus. Und dieser Gottesdienst am letzten Sonntag im Kirchenjahr, wenn die Katholiken den Christkönigssonntag feiern, hatte doch einige interessante Facetten zu bieten.

Die Frage nach Schuld und Moral

Nicht nur, dass Pfarrer Stier selbst als Rechtsanwalt tätig war, bevor er Theologie studierte. Auch der Autor Ferdinand von Schirach ist eigentlich Strafverteidiger und hat es sich in seinen literarischen Werken zum Ziel gesetzt, die Frage nach Schuld und Moral ambivalent zu betrachten und die niedergeschriebenen Geschehnisse realer Straftaten recht sachlich und nüchtern zu beschreiben.

Keiner wird als Verbrecher geboren

„Keiner wird als Verbrecher geboren“, laute die zentrale Aussage des Kurzgeschichtenbandes, wie Kirchengemeinderatsvorsitzende Petra Graf in der Einleitung zur Lesung verdeutlichte. Sie las im Wechsel mit ihrem Kirchengemeinderatskollegen Christian Schenk die Abhandlungen „Anatomie“ und „Familie“.

Welche Strafe ist gerecht?

Pfarrer Uwe Stier stellte nach der Lesung in seiner Predigt viele Fragen, welche auch den Gottesdienstbesuchern durch den Kopf gingen. Ist die Strafe von einem Jahr und sechs Monaten genug für eine fahrlässige Tötung? Immerhin wurde einem Menschen das Leben genommen. Oder ist die Strafe vielleicht zu hoch? Hätte der Unfallverursacher sogar eher noch eine Belohnung verdient? Denn schließlich handelte es sich bei dem 21-jährigen Getöteten um einen Mörder, der sonst noch weitere Menschen umgebracht hätte.

Aus dem Tagebuch des Mörders

„Heute würde sie ihn nicht auslachen. Sie würde Angst vor ihm haben“, erfuhr man aus dem Tagebuch des Mörders, der sich einen Anatomieatlas und Sezierbesteck besorgt und zuvor das langsame Töten durch Amputationen an Tieren geübt hatte. Dann knöpfte er sich die junge Frau vor, die ihn verschmäht hatte.

Gibt es so etwas wie Erbschuld?

Wer hat Schuld? Wie groß ist die Schuld? „Nach uns besser nichts mehr“, hatte der vielfache Millionär gegenüber Ferdinand von Schirach geäußert und damit erklärt, kinderlos zu bleiben. Er selbst war ein angesehener Geschäftsmann. Doch sowohl sein Vater und Großvater als auch sein Halbbruder hatten sich immer wieder mehrerer Verbrechen schuldig gemacht. Gibt es so etwas wie eine Erbschuld? Liegt ein schuldhaftes Verhalten in den Genen?

Pfarrer Stier beleuchtet die Schuldfrage

Pfarrer Stier beleuchtete die Schuldfrage von verschiedenen Seiten, um aufzuzeigen, dass die Thematik nicht ganz einfach ist. Schließlich muss er es ja wissen. Als Jurist und als Priester. „Wenn ich mich gegenüber meinem Mitmenschen schuldig mache, dann mache ich mich zugleich gegenüber Gott schuldig“, zeigte Stier auf. Jesus selbst hat eine befreiende Aussage am Kreuz gemacht: „Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein.“

Vergeben ist nicht immer leicht

Gott ist barmherzig und verzeiht. „Doch wenn wir von Gott Vergebung erwarten, müssen wir auch unseren Mitmenschen vergeben und das ist nicht immer leicht“, gab der Seelsorger den Kirchgängern bei diesem beeindruckenden Gottesdienst mit Eucharistiefeier mit auf den Weg. Die gesamte Feier wurde von Hans-Peter Merz durch Gesang und Orgelspiel würdevoll umrahmt.

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