Balingen

Land in Sicht? Arbeitskreis Asyl in Balingen ruft Bürger zur Unterstützung für „Sicheren Hafen“ auf

22.09.2020

Von Lea Irion

Land in Sicht? Arbeitskreis Asyl in Balingen ruft Bürger zur Unterstützung für „Sicheren Hafen“ auf

© Chris Grodotzki / Sea-Watch.org

Die Crew der Sea-Watch 3 rettete am 4. Januar 2019 insgesamt 32 Flüchtlinge vor der Küste Maltas.

Balingen, oder besser noch, den Zollernalbkreis zu einem „Sicheren Hafen“ für Flüchtlinge machen – das ist die Vision des Arbeitskreises Asyl in Balingen. Die Gruppierung wendet sich nun nach mehrmaliger Ablehnung seitens der Kreisräte an die Bevölkerung, um Unterstützung für das Vorhaben zu gewinnen.

Vor fast genau fünf Jahren lag er da, tot am Strand. Rotes Shirt, blaue Hose, das Gesicht leicht im Sand vergraben. Stunden zuvor war er mit seiner Familie und einem hoffnungslos überfüllten Gummiboot im Mittelmeer untergegangen und ertrunken. Das Foto des dreijährigen Alan Kurdi, dem toten Flüchtlingskind an der türkischen Mittelmeerküste, ging um die ganze Welt.

Als „vorhersehbare Katastrophe“ betitelt Erwin Feucht vom Arbeitskreis Asyl in Balingen heute die Zustände einiger Flüchtlingscamps der europäischen Brennpunkte Italien, Spanien, Griechenland.

Das Bild des toten Flüchtlingskindes aus 2015 stünde dabei sinnbildlich für die aus seiner Sicht unzureichende humanitäre Hilfe seitens europäischer Länder. Diese Hilfe wollen Feucht und der Arbeitskreis Asyl auf kommunaler Ebene anbieten – als sogenannter „Sicherer Hafen“ für Flüchtlinge. Dabei ist der Vorstoß kein neuer.

Die Vorgeschichte des Sicheren Hafens

Schon im März schrieb Balingens katholischer Pfarrer Wolfgang Braun, der auch zum Arbeitskreis Asyl gehört, einen Brief an Landrat Günther-Martin Pauli und die Vorsitzenden der Fraktionen des Kreistags. Darin betont er: „Es wäre keine sachfremde Aktion mit ungewissem Ausgang, sondern eine definierbare und machbare humanitäre und christliche Herausforderung für unseren Landkreis.“

Hinter der Initiative Sicherer Hafen steckt im Prinzip die freiwillige Verpflichtung einer Kommune, die Seenotrettung aktiv zu befürworten. Auf der Website der Aktion steht hierzu: „Sichere Häfen fordern im Namen ihrer Bürger die Entkriminalisierung der Seenotrettung und neue staatliche Rettungsmissionen.“

Landrat mit „Engagement und Herz“ dabei

Sichere Häfen sollen sich zudem für neue Programme zur legalen Aufnahme geflüchteter Menschen stark machen – und selbst mehr Kompetenzen fordern, um auch eigenständig Menschen helfen zu können. Sie sollen „deutlich“ signalisieren, dass sie bereit sind, mehr Menschen als bisher aufzunehmen.

Per Stadtratbeschluss kann sich eine Kommune zum Sicheren Hafen ernennen. Die Städte Tuttlingen und Villingen-Schwenningen haben sich bereits zu „Sicheren Häfen“ ernannt. Ein Antrag der Rottweiler Kreis-Grünen wurde dagegen vor einiger Zeit mit knapper Kreistagsmehrheit abgelehnt.

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Viele fürchten sicherlich die Keule der AfD, wenn der Landkreis das Signal sendet, dass man offen für die Aufnahme weiterer Flüchtlinge ist. Erwin Feucht

Die Erklärung des Zollernalbkreises zu einem Sicheren Hafen hat de facto keine Wirkung, denn ob Flüchtlinge aufgenommen werden oder nicht, entscheiden nicht die hiesigen Städte. Helmut Reitemann

Man kann viel kritisieren, was da draußen alles vor sich geht, aber ändern tut sich davon auch nichts. Andreas Budisky

Unseren kommunalen Gremien fehlt die Zuständigkeit für eine direkte Aufnahme von Flüchtlingen, und diese Gremien sind somit nicht der richtige Adressat für Ihr Anliegen. Reinhold Schäfer

Wir haben kein allgemeinpolitisches Mandat und sollten nicht anfangen, hier aus vermeintlich moralischer Not von klarer Kompetenzverteilung abzuweichen. Dr. Dietmar Foth

Die Resonanz auf den Brief von Pfarrer Braun fiel seinerzeit aber eher ablehnend aus – für ihre Gemeinderatsfraktionen lehnten Reinhold Schäfer (Freie Wähler), Helmut Reitemann (CDU) und Dr. Dietmar Foth (FDP) den Vorstoß des Arbeitskreises ab. Der O-Ton dabei: Ein Sicherer Hafen würde nur wenig Sinn machen, da es schlichtweg „Symbolpolitik“ sei und die eigentlichen Akteure in der Flüchtlingspolitik die Länder und der Bund seien.

Bund in der Pflicht, nicht die Kommune

„Wir haben kein allgemeinpolitisches Mandat und sollten nicht anfangen, hier aus vermeintlich moralischer Not von klarer Kompetenzverteilung abzuweichen“, schrieb beispielsweise Dr. Dietmar Foth in seiner Antwort. Kreistage und Gemeinderäte seien schlichtweg nicht die richtige Adresse.

Foth beruft sich hierbei auch auf Artikel 28 des Grundgesetzes. „Die Gemeinde darf über allgemeinpolitische Themen nicht entscheiden und sich hierzu auch nicht äußern. Es fehlt beim Thema Sicherer Hafen ein spezifischer örtlicher Bezug“, formuliert der Kreisrat aus.

Sein Kollege Reinhold Schäfer schließt sich dieser Auffassung in seinem Antwortbrief an. „Unseren kommunalen Gremien fehlt die Zuständigkeit für eine direkte Aufnahme von Flüchtlingen, und diese Gremien sind somit nicht der richtige Adressat für Ihr Anliegen“, schrieb Schäfer. Man müsse die Aufgabentrennung zwischen Bund, Land und Kommune berücksichtigen.

„Nicht nur Symbolpolitik“

„Die Erklärung des Zollernalbkreises zu einem Sicheren Hafen hat de facto keine Wirkung, denn ob Flüchtlinge aufgenommen werden oder nicht, entscheiden nicht die hiesigen Städte, Gemeinden oder Landkreise, sondern die Europäische Union und die Bundesregierung“, antwortete Helmut Reitemann im Namen seiner Partei. Der Zollernalbkreis sei jedoch bisher immer bereit gewesen, Flüchtlinge aufzunehmen und werde dies auch in Zukunft „sehr gerne“ sein.

Land in Sicht? Arbeitskreis Asyl in Balingen ruft Bürger zur Unterstützung für „Sicheren Hafen“ auf

© Lea Irion

Einige der Verantwortlichen des Arbeitskreises Asyl in Balingen.

In ihren Stellungnahmen betonten die drei Fraktionsvorsitzenden jedoch auch, dass humanitäre Hilfe in Flüchtlingslagern und auf dem Mittelmeer in jedem Fall dringend benötigt werde – diese Aufgabe sei jedoch eine des Bundes, nicht der Kommunalpolitik.

Arbeitskreis-Asyl-Sprecher Erwin Feucht hat Verständnis für diese formaljuristische Argumentation. „Aber es auf andere Ebenen zu schieben bringt ja auch nichts“, sagt er. „Es ist nicht nur Symbolpolitik, es ist ein Zeichen, und auch wenn es nur ein Zeichen ist, sendet es Signale nach außen“, merkt Pfarrer Braun an.

Keine Zustände wie in 2015

Andreas Budisky von der Caritas in Albstadt, die auch Mitglied im Arbeitskreis Asyl ist, sieht die Thematik ähnlich: „Man kann viel kritisieren, was da draußen alles vor sich geht, aber ändern tut sich davon auch nichts.“

Erwin Feucht ist es zudem leid, sein Anliegen immer wieder aufs Neue auszuformulieren. „Die Fakten liegen eigentlich auf dem Tisch, ich muss nicht ständig erklären, warum man humanitäre Hilfe leisten sollte“, sagt er. Dem Arbeitskreis ginge es auch keinesfalls um „unkontrollierte Flüchtlingsströme wie in 2015“ – vielmehr wolle man da helfen, wo geholfen werden muss.

Der Landrat geht voraus

Dass der Vorstoß des Arbeitskreises auf breite Ablehnung im Gemeinderat und Kreistag stößt, ist für Feucht unverständlich. Er beruft sich hierbei besonders auf Landrat Pauli, der während der Flüchtlingskrise „mit Engagement und Herz vorausgegangen“ sei. Pauli sei einer, „der dahintersteht“.

Hilfsangebot in Sachen Moria

Auf ZAK-Nachfrage hieß es am Dienstag von Seiten des Landratsamts auch mit Blick auf die LEA in Meßstetten und das Engagement des Kreises für ein Schulprojekt in einem Flüchtlingslager an der türkisch-syrischen Grenze: „Der Zollernalbkreis wird selbstverständlich im Rahmen seiner Möglichkeiten geflüchtete Menschen aufnehmen.“ So habe sich der Zollernalbkreis aktuell gegenüber dem Ministerium für Soziales und Integration bereit erklärt, kurzfristig bis zu 10 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen.

Der örtliche Bezug fehlt

Bei der Initiative „Sicherer Hafen“ fehle jedoch ein spezifischer örtlicher Bezug. „Der Kreistag ist nicht das richtige Gremium, um allgemeinpolitische Fragen zu entscheiden. Hier bedarf es dringend einer Klärung auf EU- und Bundesebene“, so Pressesprecherin Marisa Hahn.

Ist es die Angst vor der AfD?

Erwin Feucht erklärt sich die ablehnende Haltung anderer Fraktionen unter anderem mit einer gewissen Angst: „Viele fürchten sicherlich die Keule der AfD, wenn der Landkreis das Signal sendet, dass man offen für die Aufnahme weiterer Flüchtlinge ist.“

Davor schreckt der Arbeitskreis Asyl jedoch nicht zurück. Die Gruppierung aus Caritas, Diakonie, katholischer Erwachsenenbildung und einzelner Personen will jetzt nämlich einen weiteren Anlauf starten, um Balingen oder gar den Zollernalbkreis zum Sicheren Hafen erklären zu lassen.

So kann man den Arbeitskreis unterstützen

Erwin Feucht als Sprecher des Arbeitskreises bittet nämlich fortan um die Unterstützung der Bürger, Vereine oder Institutionen, die die Initiative befürworten. „Ich maße mir kein Bürgerbegehren an, aber wenn es notwendig wird, ist es so“, sagt Feucht.

Wer seine Unterstützung kundtun möchte, kann entweder eine Mail an ak-asyl-balingen@mail.de oder einen Brief an die Benzstraße 3 in Balingen senden. „Aus diesem Unterstützerpool heraus werden dann weitere Aktionen kommen“, blickt Feucht in die Zukunft. Dazu brauche es aber erst ein größeres Netzwerk, denn der Arbeitskreis Asyl komme hier alleine nicht weiter, so Feucht.

Am Ende gehe es nicht um die Symbolik, sondern „schlicht und ergreifend um das Leben von Menschen“.

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