Zollernalbkreis

Kommunen im Land sind wegen Flüchtlingen an der Belastungsgrenze

08.02.2023

von Katja Korf

Kommunen im Land sind wegen Flüchtlingen an der Belastungsgrenze

© Philipp von Ditfurth/dpa

Eine Landeserstaufnahmeeinrichtung in Freiburg.

150.000 Menschen aus der Ukraine sind in Baden-Württemberg untergekommen. Hinzu kommen Asylsuchende aus anderen Staaten. Die größten Probleme im Überblick.

150.000 Menschen aus der Ukraine sind seit Beginn des russischen Angriffskriegs aus der Ukraine geflohen und in Baden-Württemberg untergekommen, in Bayern waren es bis Ende Januar 153.000.

Hinzu kommen wie in den übrigen Bundesländern steigende Zahlen von Asylsuchenden aus anderen Staaten. Viele Kommunen warnen vor Überlastung. Die größten Probleme im Überblick.

Probleme bei der Unterbringung

Von der Ostalb bis zum Bodensee, von Lindau bis Tuttlingen: Alle Landräte ziehen dieselbe Bilanz. Die Unterkünfte für Flüchtlinge sind voll, vielerorts werden bereits seit längerem Ausweichquartiere in Gemeinde- oder Turnhallen genutzt.

Dabei sind die Zahlen mittlerweile meist höher als in den bisherigen Rekordjahren 2015 und 2016. Hinzu kommt laut dem Lindauer Landrat Elmar Stegmann (CSU): „Die Menschen, die uns jetzt kontinuierlich zugewiesen werden, müssen hier im Landkreis längerfristig untergebracht werden.“

Nach Ansicht von Bund und Ländern wird sich die Lage kurzfristig nicht entspannen. Deshalb warnt etwa der Ravensburger Landrat Harald Sievers (CDU): „Falls der Flüchtlingszugang weiter zunimmt, werden für die Unterbringung noch mehr öffentliche Gebäude wie etwa Gemeindehallen genutzt werden müssen.“

Oft können die Landkreise die geflüchteten Menschen mittlerweile nicht mehr angemessen unterbringen und betreuen. „Es ist in vielen Städten und Gemeinden nicht mehr möglich, adäquaten Wohnraum für die Anschlussunterbringung zu finden, weil es einfach keine freien Objekte mehr gibt“, heißt es aus dem Alb-Donau-Kreis von Landrat Heiner Scheffold (parteilos).

Sein Kollege aus dem Ostalb-Kreis, Joachim Bläse (CDU) weist darauf hin, dass mittlerweile in seiner Region auch die Reserve an privaten Wohnungen aufgebraucht sei. Aus dem Kreis Tuttlingen berichtet Rudolf Wuhrer (Freie Wähler), Bürgermeister in Denkingen, dass viele Ankommende aus den Jahren 2015 und 2016 bis heute keine reguläre Unterkunft hätten. Das verschärfe die Lage.

Fehlendes Personal

Den Landräten fehlt zum einen Personal in den Verwaltungen. Zum Teil müssen Dutzende neue Kräfte eingestellt werden, was angesichts des Fachkräftemangels schwer ist. Hinzu kommt: Schulen und Kitas kümmern sich nun zusätzlich um Tausende Kinder, die oft keine Deutschkenntnisse haben. Es brauche auch dafür Personal, ebenso wie für Sprach- und Integrationskurse.

Die dafür seit 2015 geschaffenen Angebote seien überlastet. Das ehrenamtliche Engagement stoße an Grenzen oder es gehe zurück, berichten die Landräte. Einigen bereitet auch die Gesundheitsversorgung Sorgen.

„Wenn geflüchtete Menschen nicht mehr entsprechend untergebracht und betreut, Lehrer nicht mehr ihrem Lehrauftrag gerecht werden können, Erzieher fehlen, Turnhallen nicht mehr für den Schul- und Vereinssport zur Verfügung stehen – um nur einige Beispiele zu nennen –, dann ist das System schlichtweg überlastet und es muss schnellstens gehandelt werden um das System wieder zu stabilisieren“, so der Lindauer Stegmann.

Stimmung in der Bevölkerung

Die meisten Landräte fürchten derzeit um die Akzeptanz der Migrationspolitik. Die Bürger seien durch zahlreiche Krisen gebeutelt. „Durch die Gleichzeitigkeit von Corona-Pandemie, Energiekrise und hoher Inflation sehen sich viele Bürgerinnen und Bürger an der Grenze ihrer Belastbarkeit“, beschreibt Heiner Scheffold seine Beobachtungen.

Die teilt man im Bodenseekreis. Ein Sprecher erklärt, es brauche Wohnraum, Kitaplätze oder Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen und für die Sprachkurse. Fehle es an diesen Stellen, werde irgendwann auch der gesellschaftliche Rückhalt fehlen.

Mehr Hilfe vom Bund gefordert

Hier sind sich die Landräte in der Region einig mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Allerdings hat auch die Mehrheit der kommunalen Politiker ebenfalls ein Unionsparteibuch. Söder fordert wie Stefanie Bürkle, Sigmaringer Landrätin und Landesvize der Südwest-CDU, einen Flüchtlingsgipfel unter Leitung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Außerdem bräuchten die Kommunen mehr Unterstützung, auch in Form von mehr Geld. Doch damit nicht genug. „Es reicht nicht, immer mehr Geld zu versprechen, vielmehr muss der Zugang besser gesteuert werden. Es braucht zügig verbindliche Absprachen auf europäischer Ebene und klare Ansagen der Bundesregierung“, fordert etwa der Biberacher Landrat Mario Glaser (parteilos).

Viele EU-Länder weigern sich derzeit, Quoten für die Aufnahme von Menschen einzuhalten. Bayerns Innenminister Joachim Hermann wünscht sich generell eine „Begrenzung des Zuzugs“. Wie der CSU-Politiker dies umsetzen will, ohne den international rechtlich garantierten Asylanspruch von Geflüchteten auszuhebeln, ließ er offen.

Abschiebungen

Die Ampelkoalition in Berlin hatte zuletzt eine „Rückführungsoffensive“ angekündigt. Menschen ohne Bleiberecht sollten rascher in ihre Heimat abgeschoben werden, hieß es von SPD, Grünen und FDP. Doch das ist kompliziert. Einige Staaten weigern sich, Menschen aufzunehmen.

In anderen, wie in Afghanistan, hält die Bundesregierung die Lage für zu gefährlich, um dorthin abzuschieben. Das war zuletzt etwa im Fall eines Afghanen so, der in Illerkirchberg eine Jugendliche vergewaltigt hatte. Nach Verbüßung der Haft ist er wieder auf freiem Fuß. So etwas dürfe nicht sein, betonte Günther-Martin Pauli (CDU), Landrat des Zollernalbkreises, am Dienstag: „Menschen, die unser Gastrecht missbrauchen, gehören nicht in unser Land“.

Kommunen im Land sind wegen Flüchtlingen an der Belastungsgrenze

© Roland Beck

Landrat Günther-Martin Pauli will, dass straffällig gewordene Flüchtlinge abgeschoben werden.

Debatten löste auch die Messerattacke von Brokstedt aus. Ibrahim A., ein staatenloser Palästinenser, soll in einem Zug mit einem Messer auf andere Fahrgäste eingestochen haben. Zwei junge Menschen starben. Kurz zuvor war A, aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Angesichts dessen will Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) die Anforderungen an Abschiebungen von straffällig gewordenen Ausländern senken.

Er appellierte an die Länder, „den Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden und den Ausländerbehörden zu verbessern“. Abschiebungen dürften nicht an fehlenden Informationen scheitern. Zwar sei ein Verfahren eingeleitet worden, damit der mehrfach straffällig gewordene Ibrahim A. Deutschland verlassen müsse.

Doch sei die Anhörung „daran gescheitert, dass man den Mann nicht erreicht hat - auch nicht, als er in Untersuchungshaft saß“, berichtete Buschmann. „Das kann nicht sein.“

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