Kommentar zu den Balinger „Lichtspaziergängen“: Trennt euch von den radikalen Kräften

Von Klaus Irion

Wer sind die Guten, wer sind die Bösen? Derzeit vergeht kein Tag, an dem diese Frage im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen nicht aufgeworfen wird. Der Raum für Dialog wird enger und enger, die Fronten verhärten sich zunehmend. Und das nun auch im Zollernalbkreis. Hierzu ein Kommentar.

Kommentar zu den Balinger „Lichtspaziergängen“: Trennt euch von den radikalen Kräften

Nach dem „Lichterspaziergang“ ist vor dem „Lichterspaziergang“ – mit und ohne Maske.

Montagabend, 19 Uhr. Im Balinger Zollernalb Klinikum kämpfen Ärzte und Pflegekräfte um das Leben von fünf invasiv beatmeten Covid-19-Patienten.

Einen Steinwurf entfernt stellt sich ein Sprecher der lokalen Coronamaßnahmen-Gegner auf den Marktplatz und verkündet im Rahmen des „Lichtspaziergangs“, dass man sich doch an die Regeln (Abstand, Maske) halten solle, wenn man wieder zuhause sei, könne man dann schließlich darüber lachen.

An Zynismus nicht zu überbieten

Der Satz ist an Zynismus nicht mehr zu überbieten. Man fühlt sich direkt an die Berliner Schlauchbootparty im vergangenen Sommer erinnert, die unmittelbar an einem Krankenhaus mit etlichen Covid-19-Patienten vorbeiführte.

Doch der Vergleich hinkt: In Balingen war kein Ersatz-Rave frustrierter Nachtschwärmer im Gange, es war eine bei der Stadt angemeldete Demonstration, die unter den bekannten Auflagen und Vorgaben zugelassen worden war. Ob man das nun mag oder nicht. Und ob man das nun in dieser Pandemie-Situation verstehen kann oder nicht.

Gegen Demo an sich nichts einzuwenden

Die grundgesetzliche Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. So gesehen ist aus meiner Sicht gegen die Demonstration an sich nichts einzuwenden. Das Problem sind vielmehr die oben beschriebenen menschenverachtenden Zyniker und diejenigen, die sich vor vorneherein nicht an die (gerichtlich und gesetzlich) vorgegebenen Regeln halten.

Und dazu zähle ich ausdrücklich auch die Demonstrierenden, die dank „Hechinger Gefälligkeitsgutachten“ keine Maske tragen müssen. Auch dies wiederum ein Zynismus, der seinesgleichen sucht, wenn man mal auf wirklich chronisch Atemwegserkrankte und deren Leiden blickt.

Mangel an alternativen Protestformen?

Unter den Demonstrierenden sind aber sicherlich auch viele rational denkende, sich an die Corona-Vorgaben haltende Menschen, die (mangels alternativer Protestformen?) glauben, sich genau diesen Radikalen anschließen zu müssen, weil sie wegen des Teillockdowns schlicht und einfach um ihre Existenzgrundlage gebracht werden.

Wenn diese direkt Betroffenen – die eben nicht dort sind, weil sie aus kruden weltanschaulichen Gründen „den Staat“ und „die Systempresse“ ablehnen und geißeln –, wenn genau sie jenen Zynikern und radikalen Marktschreiern die rote Karte zeigen; wenn sie eigene Kundgebungen streng nach Corona-Vorgaben abhalten, dann wäre schon viel gewonnen.

Weg frei für Dialog

Dann wäre auch der Weg geebnet für einen Dialog der Vernünftigen zwischen den Demonstrierenden und Nicht-Demonstrierenden, der radikale Rest lässt sich ohnehin argumentativ längst nicht mehr einfangen. Aber die lauten Radikalisierten sind ja glücklicherweise nur eine Minderheit, auch wenn sie querdenkend so tun, als sprächen sie für „das staatsgeknechtete Volk“.

Am kommenden Montag ist wieder ein „Lichtspaziergang“ auf dem Balinger Marktplatz. Ich unterstelle jetzt einfach mal, dass dieses Leuchten ein klein wenig Licht hinübersenden soll in die Balinger Intensivstation, wo auch dann noch Covid-19-Patienten um ihr Leben kämpfen und erschöpftes Klinikpersonal jede (auch symbolische) Aufmunterung gebrauchen kann.