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Kommentar: Der grüne Populist

Von Klaus Irion

Peter Seifert provoziert. Peter Seifert polarisiert. Peter Seifert traut sich was. Peter Seifert ist ein Macher und Schaffer im besten schwäbischen Sinne.

Peter Seifert auf dem Bahnhofsgelände in Balingen.

Zusammengefasst: Peter Seifert ist ein Mann mit vielen Gesichtern. Jüngstes Beispiel: Das demonstrative Verlassen der Balinger Gemeinderatssitzung, weil ihm Oberbürgermeister Helmut Reitemann untersagt hatte, eine mehrere Seiten lange Stellungnahme zu Vorfällen am Balinger Bahnhof in Gänze vorzutragen. Es war dies jedoch ein geordneter Rückzug und keineswegs ein Hinausstürmen aus dem Saal, wie am Mittwoch in einer anderen Tageszeitung zu lesen war.

Zu Seiferts großem Bekanntheitsgrad hat nicht zuletzt seine Kandidatur um den Posten des Balinger Oberbürgermeisters im Jahr 2015 beigetragen. Doch schon zuvor war der Balinger Stadt- und Kreisrat in der Kreisstadt und auch darüber hinaus bekannt wie der sprichwörtliche bunte Hund. Womit wir wieder beim Thema Balinger Hauptbahnhof wären. Den hatte Seifert der Stadt Balingen im Jahr 2013 quasi vor der Nase weggeschnappt. Fortan war das Tischtuch zwischen den Stadtoberen und dem neuen Bahnhofsbesitzer zerschnitten.

Auch heute noch fast unfassbar – das Aufeinandertreffen beider Parteien im Bahnhofswartesaal im Mai 2015. Arglistig getäuscht habe Seifert beim Bahnhofskauf, lautete an jenem Tag der Vorwurf. Seifert habe den Bahnhofkaufvertrag im Bewusstsein unterzeichnet, dass er sich nach dem Kauf nicht an alle Vereinbarungen halten werde. Rede und Gegenrede mündeten seinerzeit in einem wüsten Gebrülle, das ahnungslose Zugreisende ratlos zurückließ.

Heimliche Freude im Rathaus?

Nun, fast drei Jahre und viele Dispute rund um die Themen Öffnungszeiten der Bahnhofshalle und Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes später, haben OB Helmut Reitemann und Co. sich wohl damit abgefunden, dass Peter Seifert den Hauptbahnhof nach seinen Vorstellungen schmeißt. Und wenn die Rathausoberen ehrlich sind, müssten auch sie sich – wenigstens heimlich – darüber freuen, was der Grüne auf die Beine gestellt hat. Ein schönes Bistro, ein einladender Fahrkartenschalter. Und dazu ein alternatives Kleinkunst- und Musikprogramm, das Balingens Stadthallen-fokussierte Kulturlandschaft um ein Kleinod bereichert. Dafür gebührt dem gebürtigen Freiburger großes Lob.

Aber da ist ja auch der eingangs erwähnte andere Peter Seifert. Derjenige, der mit stolzgeschwellter Brust die bundesweite Aufmerksamkeit genießt, seit er in einem Leserbrief und daraus resultierend öffentlichkeitswirksam in Interviews Straftaten junger Flüchtlinge und weitere Missstände rund um den Balinger Hauptbahnhof anprangert. „Grün vor Wut“ titelte die Bildzeitung über den Bahnhofbesitzer. In der Sache kann man Seifert durchaus zustimmen und seinen Ärger, seine Wut verstehen. Doch sein öffentlich zur Schau getragener Hang zur Theatralik führt dazu, dass man sich manchmal fragt, ob er seinen verbalen Pranger wirklich nur um der Lösung der gesellschaftlichen Probleme Willen einsetzt. Oder ob es ihm nicht doch auch ein Stück weit um die eigene Publicity geht.

Seifert ist kein Rassist

Die (wohl kalkulierten?) Reaktionen auf seine Interviews blieben nicht aus. Viele lobten ihn, viele beschimpften ihn. Seifert hat beides diebisch gefreut. Ein Vorwurf jedoch ging selbst ihm zu weit. „Nein, ich bin kein Rassist“, wird er seit seiner Veröffentlichung immer wieder zitiert. Und wer ihn etwas näher kennt, nimmt ihm diese Aussage ab, die er auch gern mit dem Satz ergänzt: „Wenn wir diesem gesetzlosen Treiben keinen Einhalt gebieten und der Staat nicht die Gesetze anwendet, die zur Verfügung stehen, wird die AfD noch stärker.“

Seifert ist ein grüner Populist. Eine politische Spezies, die im Schatten des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer heranwächst und das innerparteiliche Gefüge der Grünen kräftig durcheinanderwirbelt. Und er ist damit auf dem besten Weg, im kommenden Jahr bei den Kommunalwahlen einen triumphalen Wiedereinzug in den Balinger Gemeinderat und den Kreistag des Zollernalbkreises feiern zu können.

Apropos Balinger Gemeinderat: Dort gehen die Meinungen zu Seiferts Auftritt am vergangenen Dienstag, wer hätte es gedacht, auseinander. Seifert der Polarisierer. Eines jedenfalls hat er mit seinen Wutreden geschafft. Das Ratsgremium, das sich in den öffentlichen Sitzungen allzu oft im Konsens übt und dabei den für Demokratien so wichtigen politischen Streit in die Nichtöffentlichkeit verlegt, diskutierte wenigstens kurzzeitig kontrovers. Eine gute Übung im Vorfeld der Kommunalwahlen im kommenden Jahr. Denn man muss mit Blick auf die Balinger Ergebnisse bei den vergangenen Wahlen kein Prophet sein, um behaupten zu können, dass die AfD allerbeste Chancen hat, auch ins Stadtparlament einzuziehen. Auf die sich anschließenden Debatten darf man heute schon gespannt sein.

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